Zeitgenössische Darstellung des Schriftstellers und Dichters Johann Christian Friedrich Hölderlin (undatiertes Archivbild).
dpa/A0009 dpa
dpa/A0009 dpa
Hölderlin

„Eines zu sein mit Allem, was lebt“

Friedrich Hölderlin zählt noch immer zu den wichtigsten deutschsprachigen Dichtern seiner Zeit. Weniger bekannt sind seine philosophischen Schriften. Aber auch in seinen lyrischen Werken spiegelt sich seine spezielle Sicht der Welt. Am 20. März jährt sich der Geburtstag des Dichterphilosophen zum 250. Mal.

Friedrich Hölderlin verstand sich selbst als Dichterphilosoph, der die üblichen Grenzen zwischen Poesie und Philosophie sprengen wollte. Seine Reflexionen sind untrennbar mit seinen Gedichten, den Hymnen und Elegien verknüpft. Dabei handelt es sich keineswegs um einen philosophischen Traktat in Versform, sondern um eine Metaphysik der Schönheit, die die ganze Dichtung prägt.

Biographie

Friedrich Hölderlin wurde am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar geboren. Beim Studium in Tübingen schloss er mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling Freundschaft. In Jena hörte er Vorlesungen des Philosophen Johann Gottlieb Fichte. Aus finanziellen Gründen nahm Hölderlin eine Hofmeisterstelle bei der Frankfurter Bankiersfamilie Gontard an: Später war er in Bordeaux als Hofmeister tätig war. Bei seiner Rückkehr nach Deutschland zeigten sich erste Anzeichen einer psychischen Krankheit. Es folgte eine Jahrzehnte andauernden Depersonalisation. Am 7. Juni 1843 starb er in Tübingen.

Die philosophischen Texte Hölderlins sind keine ausgearbeiteten Systementwürfe; es liegen keine Hauptwerke wie etwa Hegels „Phänomenologie des Geistes“ oder Schellings „Philosophie der Offenbarung“ vor. Hölderlin wollte Schillers „Ästhetische Briefe“ neu konzipieren und plante ein Werk über Schönheit und Erhabenheit in Bezug auf Platon, Schiller und Kant. Das waren Vorhaben, die nicht oder nur fragmentarisch ausgeführt worden sind. „Aber in dem Wenigen, was wir von Hölderlin haben, vor allem in seinen Briefen finden sich unglaubliche Passagen philosophischer Gedankenarbeit, die von einer hohen philosophischen Kraft sind“, betont Violetta Waibel vom Institut für Philosophie der Universität Wien im Gespräch mit science.ORF.at.

Gegen die „Buchstabenphilosophen“

Hölderlin war kein Fachphilosoph; er bezeichnete die akademischen Gelehrten „als Buchstabenphilosophen“, mit denen er nichts zu tun haben wollte. Im Gegensatz dazu entwickelte er die Utopie eines künftigen Zeitalters, in dem eine allumfassende Gottheit herrschen sollte – eine Gottheit, die Schönheit, Natur und Intellekt vereint. Solch eine Sphäre wäre der Schauplatz einer Lebensweise, die sich gegen jegliche Form von dogmatischen ideologischen oder religiösen Dogmen richtet.

Der zentrale Topos dieser Utopie ist die „Offenheit“, die Hölderlin emphatisch preist. In dem Gedicht „Gang aufs Land“ heißt es: „Komm ins Offene, Freund!“ So lautet auch der Titel einer umfangreichen Biographie Hölderlins, die der in Badenweiler tätige Literaturwissenschaftler und Philosoph Rüdiger Safranski verfasst hat. Er erläutert, welche Bedeutung „das Offene“ für Hölderlin hatte: „Das Offene ist für Hölderlin die Luft zum Atmen, das Freie, auch die Öffnung hin zur Transzendenz, für das Göttliche würde Hölderlin sagen, was eine freie Sicht, eine voluminöse Erfahrung ermöglicht. Das alles ist das Offene, deswegen ist dieser Ausdruck bei ihm emphatisch, verheißungsvoll, es ist fast etwas Utopisches."

Gemälde von Hölderlin, wiedergegeben in Foto, Ernst Hader 1896
ÖNB
Gemälde von Hölderlin, wiedergegeben in Foto, Ernst Hader 1896

Das göttliche Sein

Der Ausgangspunkt für Hölderlins philosophische Reflexionen war das Sein – jener Urgrund, aus dem sich alles entfaltet hat. Er verlieh dem Sein den Charakter des Göttlichen, wie Safranski betont: „Wenn Hölderlin vom Göttlichen spricht, spricht er über Erfahrungen, die das Alltagsleben überschreiten. Das kann in der Liebe sein, in der Freundschaft, in gesellschaftlichen Aktionen oder durch ein intensives Naturerlebnis erfolgen. Seine ekstatischen Erfahrungen mit dem Religiösen, mit dem Dionysischen stehen immer in einem Gegensatz zu dem Gewöhnlichen, zur prosaischen alltäglichen Wirklichkeit, zu dem, was man das Realitätsprinzip nennen könnte."

Auch in seinen philosophischen Schriften und in dem Briefroman „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“ bezog sich Hölderlin auf diese „allumfassende Gottheit“: „Eines zu sein mit Allem, was lebt, in seliger Selbstvergessenheit wiederzukehren ins All der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken und Freuden."

Vertreibung aus dem Paradies

Diese Einheit sei in der Neuzeit verlorengegangen; der Verantwortliche für den Sündenfall ist für Hölderlin René Descartes, der eine Teilung der Welt in Subjekt und Objekt, in eine res cogitans und in eine res extensa vornahm. Dadurch wurde die ursprüngliche Einheit zwischen Mensch und Natur zerstört. Die Reflexion vertrieb den Menschen aus dem paradiesischen „Urzustand“ und setzte ihn dem Dressurakt der Rationalisierung aus, der für die Unterdrückung der Triebe, der Emotionen, der Phantasie und der Träume verantwortlich ist. In einem Brief beklagt Hyperion – der Protagonist des gleichnamigen Romans – den Verlust des harmonischen Seins, der durch die Fixierung auf die Rationalität erfolgte, die vornehmlich von den Philosophen der Aufklärung propagiert wurde:

„Ach! wär ich nie in eure Schulen gegangen. Ich bin bei euch so recht vernünftig geworden, habe gründlich mich unterscheiden gelernt von dem, was mich umgibt, bin nun vereinzelt in der schönen Welt, bin so ausgeworfen aus dem Garten der Natur, wo ich wuchs und blühte, und vertrockne an der Mittagssonne." (Zitat Hyperion)

Hölderlin, Friedrich
ÖNB
Porträt von Hölderlin

Absturz ins Alltägliche

Die Spannung zwischen dem momenthaften Eintauchen in die Sphäre des Absoluten und der Routine des alltäglichen Daseins war für Hölderlins Leben und Werk bestimmend. Das ursprüngliche Sein, das als glückhafte Erfahrung erfahren wird, die plötzlich erfolgt, kann nicht stabilisiert werden. Ist man mit dem Absoluten, mit dem Göttlichen in Berührung gekommen, wird das Alltagsleben als Absturz in die Faktizität des Gewöhnlichen erlebt. Das Leben im ganz Falschen der gesellschaftlichen Konventionen erzeugt ein existenzielles Gefühl des Scheiterns, dem auch Hölderlin verfallen war.

Literaturhinweise

  • Ulrich Gaier: Hölderlin, UTB 1731
  • Johann Kreuzer (Herausgeber): Friedrich Hölderlin: Theoretische Schriften, Felix Meiner Verlag
  • Johann Kreuzer (Herausgeber): Hölderlin-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung, J.B. Metzler Verlag
  • Rüdiger Safranski: Komm! Ins Offene, Freund! Biographie, Carl Hanser Verlag

Kommt es zu einem längeren Aufenthalt in der Welt des Profanen, werden die Intensitätserlebnisse für Hyperion immer seltener, es kann ein tief gehendes, anhaltendes Gefühl der Resignation, ja der Nichtigkeit auftauchen. Am Ende des Romans zieht Hyperion ein Resümee seines Scheiterns, das von Samuel Beckett stammen könnte:

„Ich habe nichts, wovon ich sagen möchte, es sei mein eigen. Fern und tot sind meine Geliebten, und ich vernehme durch keine Stimme von ihnen nichts mehr. Mein Geschäft auf Erden ist aus." (Zitat Hyperion)

Liebe hilft bei der Lektüre

Friedrich Hölderlin, der Dichterphilosoph, der wie Ikarus vom Absoluten träumt und kläglich am realen Leben scheitert; der Philosoph, der sich auf der Höhe des zeitgenössischen Denkens bewegt, der Autor höchst komplexer Gedichte, die mit zahlreichen Anspielungen auf die griechische Mythologie versehen sind – das sind nur einige Facetten dieser schillernden Gestalt, die verwirrend sein mögen.

Der Hölderlin-Biograph Rüdiger Safranski hat eine Empfehlung für das zeitgenössische Lesepublikum, wie eine Annäherung an den Dichterphilosophen erfolgen könnte: „Man muss Hölderlin einen Vorschuss an Liebe gönnen. Das tun die Wenigsten. Wenn heutige Leser nur so in seine Schriften guckten, fühlen sie sich zurückgestoßen. Man muss diese Schwelle überwinden, dann eröffnet sich auch ein Zugang. Mir ist bei keinem anderen Autor so klar geworden wie bei Hölderlin, dass man ihn lieben muss, so dass er ins Offene kommt zu einem selbst. Er springt einen nicht an. Man sollte mit ihm Geduld haben und man wird dafür belohnt."