Besucher laufen 2015 zur Eršffnung der Buchmesse Leipzig in den Ausstellungshallen an einer Plakatwand vorbei, auf der übergroße Bücher abgebildet sind.
APA/dpa-Zentralbild/Jens Kalaene
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Linguistik

Das Erfolgsgeheimnis von Geschichten

Gleichgültig ob ein Roman von Jane Austen oder ein Film von Steven Spielberg: Geschichten haben immer den gleichen Aufbau. Das Erfolgsgeheimnis war schon in der Antike bekannt, Forscher haben es nun anhand von 40.000 Geschichten mit über 350 Millionen Wörtern bestätigt.

Schon der griechische Philosoph Aristoteles untersuchte in seiner „Poetik“ Regeln des Dramas. Über 2.000 Jahre später fasste der deutsche Schriftsteller Gustav Freytag in seinem Lehrbuch „Die Technik des Dramas“ (1863) den Kenntnisstand von Aristoteles bis Schiller zusammen. Dramen zeichnen sich demnach durch einen pyramidenförmigen Aufbau aus, der aus mehreren Phasen besteht: Zunächst werden in der Exposition Akteure und Schauplätze eingeführt, diese Akteure beginnen zunehmend miteinander zu handeln, die Handlung strebt einem Höhepunkt entgegen, nachdem dieser erreicht ist, kommt es – vielleicht nach einem retardierenden Moment, der die Entwicklung kurz aufschiebt – zur Lösung, die auch eine Katastrophe sein kann. Das Ganze ergibt einen dramatischen Erzählbogen oder eben eine Pyramide.

Pyramide nach Freytag
James W. Pennebaker, Kate Blackburn, and Ryan Boyd

350 Millionen Wörter untersucht

Ein Forscherteam um Ryan Boyd von der Universität Lancaster hat nun eine schematische Version dieses Erzählbogens empirisch untersucht – und zwar anhand eines riesigen Datenapparats. Rund 40.000 Geschichten flossen in die Auswertung ein, darunter klassische Romane etwa von Jane Austen und Jack London, aber auch Kurzgeschichten und Filmdrehbücher wie jene von „Casablanca“ und „Jäger des verlorenen Schatzes“. Mit Hilfe von Computersoftware analysierten die Forscherinnen und Forscher so mehr als 350 Millionen Wörter.

Ihre Ausgangshypothese lautete: Jede Phase des dramatischen Erzählbogens ist durch die Häufigkeit bestimmter Wörter charakterisiert, die Exposition, also der Beginn, etwa durch besonders viele Artikel und Präpositionen (z.B. in, auf, ohne). Im Fortlauf der Geschichte, wenn die Akteure immer mehr im Austausch stehen, sollten Hilfszeit-, Umstands- und Fürwörter besonders häufig vertreten sein. Zum Höhepunkt schließlich, wenn Herausforderungen und Konflikte dominieren, sollten überdurchschnittlich viele Wörter vorkommen, die die Forscher „cognitive tension words“ nennen, also Wörter kognitiver Spannung, die den Reflexionsprozess einer Person ausdrücken, wie „denken“, „glauben“ und „verstehen“.

Erzählphasen hängen mit bestimmten Wörtern zusammen

In allen drei Erzählphasen stimmte die Erwartung der Forscherinnen und Forscher mit den empirischen Ergebnissen überein. D.h. zu Beginn kommen tatsächlich mehr Artikel und Präpositionen vor, danach mehr Hilfszeit- und Fürworter und schließlich mehr „cognitive tension words“ – und zwar tendenziell quer über alle Quellen hinweg, gleichgültig ob Roman, Kurzgeschichte oder Filmdialog. Ein Beispiel betrifft den Roman „Sturmhöhe“ („Wuthering Heigthts“) von Emily Brontë, wie auf dem Bild unten zu sehen ist:

Wörterverteilung in „Sturmhöhe“ von Jane Austen
James W. Pennebaker, Kate Blackburn, and Ryan Boyd

Während es in der Exposition („staging“) des Romans sehr viele Artikel und Präpositionen gibt (blaue Linie links; die gepunktete Linie steht für das errechnete Ideal), nimmt deren Häufigkeit im Lauf der Geschichte ab. Umgekehrt sieht es im Fortgang der Geschichte mit Hilfszeit-, Umstands- und Fürwörtern aus (grüne Linie), die kognitiven Spannungswörter sind rund um den Höhepunkt der Geschichte am häufigsten (rote Linie) und flachen dann wieder ab. Eine Analyse von zahlreichen Erzählungen kann man auf der Homepage der Forschung finden – wer will, kann auch seinen oder ihren eigenen Text hochladen und untersuchen lassen.

Keine Frage der Qualität

Die Qualität eines Textes ändert nichts an der Struktur, betont das Team um Ryan Boyd. D. h., sowohl Meisterwerke wie „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi als auch weniger bleibende, selbstverfasste Geschichten von Amateuren haben den gleichen Erzählbogen. Woher sein Erfolg kommt? Er könnte die optimale Art spiegeln, wie Menschen Informationen verarbeiten, vermuten die Forscherinnen und Forscher. Frühere Studien hätten gezeigt, dass kleine Kinder etwa sehr einfach Menschen und Dinge zuordnen können, Handlungen hingegen schwerer.

„Wenn wir eine Leserschaft erreichen wollen, muss man sich danach richten, welche Information sie braucht, aber noch nicht hat“, sagt Studienerstautor Ryan Boyd in einer Aussendung. Insofern sei es sinnvoll, eine Geschichte mit notwendiger, “logischer Sprache“ zu beginnen und sich danach vermehrt um die „action“ zu kümmern.