Melonen
AFP – OLI SCARFF
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Wirtschaft

Streit über „Patent auf Leben“

Erst im Mai 2020 hat die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts entschieden, dass für konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere keine europäischen Patente mehr erteilt werden dürfen. Dennoch könnten aufgrund rechtlicher Schlupflöcher nun weitere Patente zugelassen werden.

Um Obst und Gemüse gegen Schädlinge und die Klimaerwärmung zu wappnen und den Ertrag zu steigern, kombinieren Züchter unterschiedliche Sorten miteinander. Eine Praxis, die vermutlich seit Gregor Mendel besteht. Dabei kreuzt man Pflanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften und selektiert jene Nachkommen, wenn sie die gewünschte genetische Beschaffenheit haben.

So hat auch der Konzern Monsanto vor rund zehn Jahren zwei Melonensorten gekreuzt – eine davon war natürlich resistent gegen ein Melonenvirus, das die Pflanzen gelb werden lässt und den Ernteertrag mindert.

Neues Biopatentverbot mit Lücken

Nach dem neuen europäischen Patentverbot könnte Monsanto diese gezüchtete Melone eigentlich nicht patentieren lassen. Denn mit Patenten können nur technische Erfindungen geschützt werden. Wurde eine Pflanze also mit Hilfe von Gentechnik manipuliert, ihr beispielsweise gezielt ein Virenresistenzgen eingeschleust, ist das Verfahren und die Pflanze patentierbar. Nicht mehr rechtlich schützen lassen kann man sich hingegen ein klassisches Züchtungsverfahren wie Kreuzung und Selektion. Auch die dadurch entstandene neue virenresistente Melonensorte kann am europäischen Patentamt (EPA) in München eigentlich nicht mehr patentiert werden. Schließlich handelt es sich um eine natürliche Veränderung und nicht um eine technische Innovation.

Trotz dieser Regelung könnte das Melonenpatent nun doch erteilt werden. Denn das Patentverbot für Zuchtpflanzen und Zuchtverfahren gilt nur für Anträge nach Juli 2017. Der Streit um die Monsanto-Melone hat aber bereits früher begonnen, nachdem das Europäische Patentamt 2011 ein Patent erteilt und es 2016 wieder aufgehoben hat. Gegen diese Entscheidung hat Monsanto Einspruch erhoben, die Anhörung soll nun im November stattfinden.

Monsanto hätte „gute Karten“, so Christoph Then, Sprecher des internationalen Bündnisses „No Patents on Seeds!“ („Keine Patente auf Saatgut!“) im Gespräch mit science.ORF.at. „Die Beschwerdekammer sagt schon ausdrücklich, wir wenden diese neue Regel nicht an, weil das Patent eben vorher angemeldet worden ist. Es ist rechtlich und inhaltlich schwer nachvollziehbar, warum es so einen Stichtag gibt.“ Laut Then gäbe es eine Reihe von Pflanzen, die nun von dieser Stichtagsregelung profitieren könnten.

Artenvielfalt und Ernährungssicherheit

Problematisch sind solche Biopatente nicht zuletzt, weil sie für 20 Jahre beschränken können, womit und wie gezüchtet werden kann und schließlich, was im Supermarkt erhältlich ist. Denn Patentinhaber können es anderen nicht nur verbieten, die Pflanze nachzuzüchten. Andere Züchter und Züchterinnen können das patentierte Saatgut dann auch nicht mehr für die Entwicklung neuer Sorten verwenden – oder nur nach Bezahlung einer Lizenzgebühr. Damit könnten solche Patente die weltweite Ernährungssicherheit auf lange Sicht gefährden, warnt Then. „Ich brauche laufend Zugang zu biologischer Saatgutvielfalt, um Sorten züchten zu können, die mit den veränderten Umweltbedingungen, wie Klimaerwärmung, Schädlingen und Keimen gut zurechtkommen. Pflanzen müssen immer wieder verbessert und auch an regionale Bedingungen angepasst werden können. Das wird durch solche Monopolrechte verhindert.“

Die Fristenregelung ist aber nicht das einzige Problem im Streit über Biopatente. Noch ist nämlich unklar, so Then, wo genau die Grenze zwischen Gentechnik und „im Wesentlichen biologischen Verfahren“ verläuft, wie es im Patentrecht heißt. In einen Graubereich fallen zufällige Mutationen im Erbgut. Aktuell werden zufällige Genveränderungen vom Patentamt wie Gentechnik behandelt. Eine falsche Auslegung, erklärt Then: „Bei einer Zufallsmutation generiert man nichts anderes als genetische Vielfalt – also eine Vielzahl von zufälligen Veränderungen im Erbgut, die können z. B. durch chemische Substanzen induziert sein. Danach wähle ich dann die Pflanze aus, die ich für geeignet halte und züchte damit weiter. Das ist aber keine gezielte Gentechnik.“

Schlupfloch Zufallsmutationen

Die aktuelle Auslegung des europäischen Patentamts schafft ein großes Schlupfloch, erklärt Katherine Dolan, Expertin für Saatgutpolitik bei Arche Noah und Vorstandsmitglied von „No Patents on Seeds!“: „Die Züchter können einfach eine Mutation in den klassischen Züchtungsprozess einbauen, indem sie z. B. das Saatgut in Chemikalien legen. Aktuell ist es in der Praxis also vor allem für große Konzerne sehr leicht, das Verbot zu umgehen.“

Ein Patent auf eine zufällige Mutation hat beispielsweise Carlsberg und Heineken auf Gerste und Bier. Gegen dieses Patent geht das Bündnis „No Patents on Seeds!“ aktuell rechtlich vor. Als weiteres Beispiel nennt Katherine Dolan eine Salatsorte der niederländischen Saatgutfirma Rijk Zwaan Zaadteelt. „Diese Salatpflanzen sind klimaresistent. Normalerweise keimt Salat nur bei Temperaturen von bis zu 22 Grad Celsius. Den patentierten Salat kann man auch bei höheren Temperaturen anbauen. Auch hier gab es eine Zufallsmutation.“

Die Rechtslage ist alles andere als eindeutig. So hat die große Beschwerdekammer, sie ist die oberste rechtliche Instanz beim Europäischen Patentamt, zwar klar formuliert, wo die Grenze zwischen Gentechnik und „im Wesentlichen biologischen Verfahren“ verlaufen soll. „Die sagen, man muss in der Lage sein, gezielt in der Pflanze eine bestimmte Eigenschaft durch mein technisches Verfahren hervorzurufen. Alles andere ist ein biologisches Verfahren. Das ist eine sehr sinnvolle Sichtweise“, so Then. Die Auslegung spielt in der Praxis aktuell aber keine Rolle. „Es muss bis spätestens Anfang nächsten Jahres geklärt sein, wie das aktuell geltende Biopatentverbot so gemacht werden kann, dass es wirksam ist“, fordert Then.

Ministerium fordert klare Regelung

„No Patents on Seeds!“ und Arche Noah sind aber nicht die einzigen, die hier auf eine klare Regelung pochen. Auch aus dem Klimaschutzministerium heißt es, dass man eine eindeutige Definition von patentierbar und nicht patentierbar für die EU fordere. „Österreich nimmt seit der ersten Stunde eine sehr restriktive Position in der Frage der Patentierung von Pflanzen und Tieren ein. (…) Österreich wird auch weiter darauf drängen, dass es hier zu einer endgültigen und konsequenten Lösung kommt, die Patente auf Leben verhindert“, heißt es auf Anfrage beim Klimaschutzministerium.

Wie sich die Biopatente des EPA auf Österreich auswirken, hänge gegenwärtig noch davon ab, „wie viele europäisch erteilten Biopatente in Österreich wirksam werden“, heißt es weiter. Automatisch gültig werden europäisch erteilte Patente hierzulande nur, wenn die Patente auf Deutsch formuliert sind und Österreich vom Patentanmelder benannt wird. „Ansonsten nur dann, wenn die Übersetzung ins Deutsche vorliegt“, heißt es aus dem Klimaschutzministerium.

„Aktuell haben wir hier noch einen kleinen Schutz, weil viele Konzerne den Anspruch auf Patentschutz in Österreich fallen lassen“, so Dolan. Das heißt, österreichische Züchter könnten ebenfalls mit der virenresistenten Melone züchten, aber nur für den österreichischen Markt.

Laut dem Europäischen Patentamt wird Ende 2021 das europäische Patentrecht aber neu geregelt. Mit einem Antrag beim EPA kann direkt Patentschutz in bis zu 26 EU-Mitgliedstaaten erteilt werden. „Deshalb ist diese Klärung jetzt so wichtig. Es geht um den letzten Schub, um das Biopatentverbot wirksam zu machen.“