Cover von „Science“ mit dem molekularen Telegraphen
C. Bickel/Science
C. Bickel/Science
Physik

„Telegraph“ sendet und empfängt gezielt Moleküle

Einzelne organische Moleküle gezielt über relativ große Distanzen an einen bestimmten Ort und wieder zurück zu bewegen: Das ist Grazer Forschern mit einer Art „molekularen Telegraphen“ gelungen.

Die Methode könnte maßgeblich zum Verständnis molekularer Dynamik während chemischer Prozesse beitragen. Das wäre für die exakte Steuerung chemischer Reaktionen oder in der Katalyse wichtig, wie eine Forschungsgruppe um den Grazer Experimentalphysiker Leonhard Grill von der Universität Graz in einer Studie berichtet. Sie ist soeben im Magazin „Science“ erschienen.

Wie auf Schienen

Das wissenschaftliche Interesse von Grill liegt auf der Untersuchung und gezielten Manipulation von Einzelmolekülen auf Oberflächen mit Rastersonden-Mikroskopie, um ein grundsätzliches Verständnis physikalischer und chemischer Prozesse zu gewinnen. Dabei werden insbesondere Moleküle mit spezifischer mechanischer, chemischer, elektronischer, elektrischer oder optischer Funktion verwendet. Damit sollen zum Beispiel molekulare Bewegung, chemische Reaktionen oder molekulare Schalter untersucht oder molekulare Netzwerke und Drähte gezielt hergestellt werden.

Cover von „Science“ mit dem molekularen Telegraphen
C. Bickel/Science
Die Studie hat es auf das Cover von „Science“ geschafft.

Für ihre jüngste Studie brachten die Grazer Wissenschaftler rund um Grill zuerst organische Moleküle mit einer Länge von etwa zwei Nanometern auf einer Silberoberfläche mit der feinen Metallspitze eines Rastertunnelmikroskops in eine besondere Ausrichtung. Damit Grill und sein Team die Experimente überhaupt durchführen können, müssen sie die Versuchsanordnung nahe an den absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad Celsius abkühlen: Darüber würde alleine die thermische Bewegung der Moleküle die Sache zu sehr stören, schilderte Grill der APA.

Nachdem am Ort des Moleküls ein elektrisches Feld eingeschaltet wird, lassen sich durch elektrostatische Kräfte einzelne Moleküle wie auf Schienen perfekt entlang einer geraden Linie bewegen. Dadurch können diese Teilchen – je nach Ausrichtung des elektrischen Feldes – entweder durch die abstoßende Wirkung gezielt gesendet oder durch die Anziehungskraft aus großer Distanz empfangen werden.

0,1 Millimeter pro Sekunde

Gelungen ist das über verhältnismäßig weite Strecken von 150 Nanometer. „Normalerweise gelingt das über eine Strecke von weniger als einem Nanometer“, wie Grill erläuterte. „Wir konnten zeigen, dass sich die Moleküle trotz der sehr flachen Oberfläche entlang einer einzigen Atomreihe, also nur in eine Richtung, bewegen“, beschrieb der Forscher. Dadurch konnte man eine Präzision von 0,01 Nanometer erreichen.

„Während dieses Vorgangs ist es uns außerdem gelungen, die Zeit zu messen, also die Geschwindigkeit eines einzelnen Moleküls direkt zu bestimmen“, ergänzte Grill. Diese lag bei etwa 0,1 mm pro Sekunde. Aus der Sicht des Grazer Forschers eröffne das „völlig neue Möglichkeiten für die Untersuchung molekularer Energien während chemischer Reaktionen.“

Darüber hinaus konnten die Forscher ein Sender-Empfänger-Experiment realisieren, bei dem ein einzelnes Molekül wie bei einem Federballspiel zwischen zwei Orten gezielt transferiert wurde: Dazu wurden zwei getrennte Rastertunnel-Mikroskopspitzen getrennt voneinander positioniert und dann die „Senderspitze“ vom anziehenden in den abstoßenden Modus umgeschaltet. Dadurch bewegte sich das Molekül exakt an den Ort der „Empfängerspitze“ und übertrug zugleich die im Teilchen enthaltene Information (wie Elementzusammensetzung oder atomare Anordnung) mit hoher räumlicher Präzision.