Coronaviren unter dem Mikroskop
Coronavirus

Kampf der Metaphern in der Pandemie

Es rollt die „zweite Welle“, man „kämpft“ gegen steigende Infektionszahlen und die Schulen wurden geschlossen, da Kinder „Virenschleudern“ seien: Im Sprechen über das Coronavirus finden sich viele Metaphern. Sprachbilder machen komplexe Sachverhalte begreifbar, neutral sind sie aber nicht.

Als Robert Koch im ausgehenden 19. Jahrhundert erkannte, dass Bakterien Infektionskrankheiten übertragen, griff er, um diese Erkenntnis populär zu machen, zur allgegenwärtigen Kriegsmetaphorik. Die Menschheit befand sich plötzlich im Kampf. Sie musste kämpfen gegen ein Heer an Bakterien, die man zwar nicht sehen, die aber Tuberkulose, Milzbrand oder Cholera auslösen können. Koch sprach von „Eindringlingen“ und „Invasionen“.

Kriegsmetaphorik: Von der Kaiserzeit bis heute

„Gerade in der Bakteriologie und der Virologie haben sich Metaphern aus dem Kriegsbereich eingeschlichen“, erklärt Heiner Fangerau, Professor für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Universität Düsseldorf. Der Medizinhistoriker vermutet dahinter keine absichtlichen Motive, vielmehr seien diese Metaphern Ausdruck der damaligen Zeit. Sie würden die Sprache des imperialistischen Kaiserreichs und das damalige Denken im Militärjargon widerspiegeln.

Sendungshinweis

Mit Metaphern in der Wissenschaft beschäftigt sich heute Abend auch die Sendereihe „Dimensionen“.

Dieser Militärjargon wird bis heute fortgeschrieben. Wenn Kinder als Virenschleudern bezeichnet werden, um damit verkürzt zum Ausdruck zu bringen, dass sie ebenso infektiös wie Erwachsene sein könnten, dann sei das problematisch. „Weil eine Schleuder eine Angriffswaffe ist, die eigentlich dazu da ist, auf Distanz Tod zu bringen.“ Ähnliches gelte für Kriegserklärungen, wie sie etwa der französische Präsident Emanuel Macron bereits im Frühjahr dieses Jahres ausgesprochen hat. Wird dem Virus der Krieg erklärt, dann werden all diejenigen abgewertet, die sich nicht ausreichend am Kampf beteiligen. Jugendliche etwa, die trotz Pandemie soziale Kontakte pflegen.

Die Aufgabe von Metaphern sei es, einen komplexen Sachverhalt auf ein greifbares Bild zu bringen. „Insofern sind die ganzen Kriegsmetaphern in Bezug auf virales Geschehen eigentlich kommunikativ gut geeignet“, so Fangerau. „Sie transportieren aber noch ein anderes Bild hinten dran, sodass man überlegen muss: Benutze ich jetzt diese Metapher oder benutze ich sie nicht.“

Wenn die „zweite Welle“ rollt

Wir befinden uns aktuell in der „zweiten Welle“, das werden Politikerinnen und Politiker nicht müde zu betonen. Die Welle drückt in einem Wort aus, wofür man ansonsten viele Worte bräuchte. Sie beschreibt ein ansteigendes Infektionsgeschehen über einen gewissen Zeitverlauf in einer bestimmten Population. „Wie viel einfacher ist es da von einer Welle zu sprechen“, sagt Heiner Fangerau. Die Welle sei gleichzeitig aber auch ein sehr schwieriges Bild, da sie die Vorstellung einer unaufhaltsamen Katastrophe, einer unbeeinflussbaren Gefahr mittransportiere. „Deshalb ist die Welle als Metapher schwierig und gleichzeitig, da es um eine Kurve geht, ja eigentlich falsch.“

Die Welle sei eine der weitverbreitetsten Metaphern, um Phänomene der Ausbreitung zu beschreiben, erklärt Ulrike Felt, Professorin für Wissenschafts- und Technikforschung an der Universität Wien. „Sie haben das auch im Bereich der Übergewichtigkeit gehabt, wo Begriffe wie Fett-Tsunami und ähnliches in österreichischen Medien aufgetaucht sind.“ Ein Individuum, das von einem System überrollt wird, das werde mit der Welle ausgedrückt und mache die Welle als Metapher problematisch.

Feuermetaphorik?

Covid-19 sei alles andere als eine Naturkatastrophe, meint Ulrike Felt. Vielmehr habe die Krankheit viel damit zu tun, wie wir leben und mobil sein wollen. Unter #reframecovid werden im Internet alternative Sprachbilder für die Pandemie gesammelt. Die Linguistin Elena Semino von der Universität Lancaster wirbt etwa für die Verwendung von Feuermetaphern. Der Wald brenne und der Funke, also das Virus, springe von Baum zu Baum. Je stärker der Wind, also das Infektionsgeschehen, desto schneller lodere das Feuer.

Dem kann Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt etwas abgewinnen. Feuermetaphern seien vielfältiger als Meeresmetaphern. „Mit Feuermetaphern könnte man nicht nur Geschichten von Ausbreitungen erzählen, sondern stärker auch Geschichten von Eindämmungen.“ Feuer sperrt man nämlich auch ein oder macht Schneisen drum herum. Metaphern seien unvermeidbar, umso wichtiger sei es immer wieder zu reflektieren, welche Bilder und kulturellen Vorstelllungen mit einer bestimmten Metapher mittransportiert werden.