Darmbeschwerden: Frau sitzt auf dem Sofa und hält sich den Bauch
Chinnapong – stock.adobe.com
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Covid-19: Die Spur zur Darmflora

Wissenschaftlerinnen aus Hongkong bringen bei der Erforschung von Covid-19 einen neuen Faktor ins Spiel: Die Darmflora könnte den Krankheitsverlauf verbessern oder verschlechtern – je nachdem, welche Bakterien den Darm besiedeln.

Dass es zwischen der Darmflora und dem Immunsystem eine relativ direkte Verbindung gibt, wurde schon vielfach nachgewiesen. Das Coronavirus wiederum befällt nicht nur die Lunge und Atemwege, sondern auch den Verdauungstrakt. Gibt es da einen Zusammenhang? Möglicherweise ja, schreibt Siew Chien Ng in einer soeben erschienenen Studie im Journal „Gut“.

Darmflora aus der Balance

Die Gastroenterologin von der Chinesischen Universität in Hongkong hatte im Februar und März letzten Jahres Stuhl- sowie Blutproben bei 100 Covid-19 Patienten entnommen und sie mit einer Vergleichsgruppe gesunder Probanden verglichen. Resultat: Die beiden Gruppen ließen sich hinsichtlich ihrer Darmflora klar unterscheiden, Covid-19-Patienten hatten etwa mehr Ruminokokken sowie die Art Bacteroides dorei (sie dürfte unter anderem mit Autoimmunkrankheiten in Zusammenhang stehen) im Darm – und weniger Bakterien, die das Immunsystem regulieren können. Bifidobakterien und die Art Faecalibacterium prausnitzii waren vor allem bei Patienten mit schweren Krankheitsverläufen unterrepräsentiert, unabhängig vom Alter oder dem Gebrauch von Antibiotika.

Dieses Ungleichgewicht blieb, wie Ng schreibt, auch dann noch erhalten, wenn gar keine Viren mehr im Körper vorhanden waren. Und es ging mit diversen Veränderungen im Blut einher: Bei den Covid-19-Patienten ließen sich chemische Anzeichen für Gewebeschäden nachweisen, außerdem war ihr Wert von Entzündungsbotenstoffen – Cytokinen – erhöht. Diese Befunde weisen laut Ng und ihrem Team darauf hin, dass der Darm den Verlauf und die Dauer der Erkrankung direkt beeinflussen könnte. Auch jene Symptome, die Patienten noch zwei Monate nach der Infektion zu schaffen machen, wie etwa Müdigkeit, Atemnot und Gelenksschmerzen.

Wirkung oder Ursache?

Ein Beweis ist das noch nicht. Bei den vorgelegten Ergebnissen handelt es sich um eine Bobachtungsstudie, die keine Aussagen über Ursache und Wirkung treffen kann. Ob die präsentierten Zusammenhänge auch für Patienten und Patientinnen aus anderen Ländern gelten, bliebe ebenfalls noch nachzuweisen. Ng hat jedenfalls in einer noch unpublizierten Studie festgestellt, dass die Darmflora vor allem bei Älteren, Übergewichtigen sowie bei Menschen mit Vorerkrankungen geschwächt ist – also genau bei jenen, die auch zur Risikogruppe von Covid-19 zählen.

Auch sonst passen Ngs Ergebnisse recht gut in das Bild, das sich die Wissenschaft von all den Wechselwirkungen gemacht hat, die die Darmbakterien mit dem Rest des Körpers unterhalten. Diese Woche berichten etwa Forscher aus Italien, England und den USA von einem groß angelegten genetischen Screening, das Zusammenhänge zu Diabetes und Herzkrankheiten nahelegt.

Der Faktor Ernährung

Laut der Analyse in „Nature Medicine“ finden sich im Mikrobiom des Darmes zwei Gruppen mit je 15 Bakterienarten, die diese Krankheiten entweder positiv oder negativ beeinflussen und deren Vorhandensein – wie zu erwarten – wiederum von der Ernährung abhängig ist. An dieser Stelle wiederholen die Autoren eine wohlbekannte Empfehlung: Naturbelassene Lebensmittel mit viel Ballaststoffen sind gut. Nicht gut sind industriell verarbeitete Produkte. Oder, wie es Studienleiter Tim Spector vom King’s College London ausdrückt: „Wenn wir essen, ernähren wir nicht nur unseren Körper. Wir ernähren auch die Billionen von Bakterien, die unseren Darm besiedeln.“

Ng geht davon aus, dass die Ernährung auch bei Covid-19 eine wichtige Rolle spielt. Infektionen könne eine gesunde Darmflora zwar nicht verhindern, sagt die Forscherin aus Hongkong gegenüber science.ORF.at. Aber der Krankheitsverlauf lasse sich wohl auf diese Weise steuern. „Ich bin der Ansicht, dass man sich in den Kliniken nicht nur darauf konzentrieren sollte, das Virus aus dem Körper zu entfernen. Wir müssen auch die Bakterien im Darm stärken.“ Für einen Perspektivenwechsel sprechen auch Ergebnisse einer weiteren Untersuchung: Covid-19-Patienten, die ihre Darmflora wieder ins Lot gebracht hatten, produzierten mehr Antikörper gegen das Coronavirus.