Runzelige Haut, große Nagezähne: Nacktmull in Großaufnahme
Felix Petermann, MDC
Felix Petermann, MDC
Sprache

Der Dialekt der Nacktmulle

In den unterirdischen Kolonien der Nacktmulle gibt die Königin den Ton an – im Wortsinn, wie Wissenschaftler jetzt durch Zufall herausgefunden haben: Das Alphaweibchen bestimmt, welcher Dialekt im Staat gesprochen wird.

Nacktmulle mögen nicht zu den attraktivsten Arten im Tierreich zählen, bemerkenswert sind die in Ostafrika heimischen Nager allemal. Sie bekommen keinen Krebs, sie spüren kaum Schmerzen und werden für ihre Größe ungewöhnlich alt. Nun fügen Forscher der Liste erstaunlicher Eigenschaften eine weitere hinzu: Nacktmulle sind ziemlich flexibel, was ihre Kommunikation anlangt. Jede Kolonie verwendet offenbar ihren eigenen, unverwechselbaren Dialekt, berichtet ein Team um Gary Lewin vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin im Fachblatt „Science“.

“Ausgesprochen fremdenfeindlich“

Nachgewiesen haben das die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch akustische Computeranalyse von 36.00 Piepslauten, die die fast blinden Tiere in ihren unterirdischen Kolonien abgeben. „Wir wollten wissen, ob diese Laute für die Tiere, die nach strengen Regeln in ihrem eigenen kleinen Staat leben, eine soziale Bedeutung haben“, sagt Lewin. Das ist wohl der Fall. Denn der Dialekt stärkt einerseits den Zusammenhalt innerhalb der Gruppe. Er dient aber auch – und das ist die dunkle Seite der kooperativen Nacktmullgemeinschaft – dem Erkennen und der Abwehr von Eindringlingen.

„Man könnte sagen, dass die Tiere ausgesprochen fremdenfeindlich sind“, sagt Lewin, der die Nacktmulle schon seit 20 Jahren erforscht. „Vermutlich geht dieses Verhalten auf die permanente Nahrungsknappheit in den trockenen Steppen ihrer ostafrikanischen Heimat zurück.“

Königin tot: Sprachverwirrung

Den Beweis dafür, dass es sich bei dem Dialekt tatsächlich um einen solchen handelt und nicht etwa um einen zufälligen Gewöhnungseffekt, haben die Forscher und Forscherinnen unter anderem mit künstlich erzeugten Piepslauten erbracht: Nacktmulle erkennen die Sprache ihres Baus und lassen sich auch nicht vom Körpergeruch fremder Tiere aus dem Konzept bringen.

Runzelige Haut, große Nagezähne: Nacktmull in Großaufnahme vor einem Mikrophon
Felix Petermann, MDC

Eine Schlüsselrolle dürfte die Königin des Staates spielen, wie Lewin und sein Team durch Zufall herausgefunden haben. Während der zwei Jahre dauernden Studie kam es nämlich in einer der Kolonien zwei Mal zu einer Art Revolution, bei der die Königinnen getötet wurden. In den Phasen der Anarchie machte sich in der Gemeinschaft babylonische Sprachverwirrung breit, die dialektalen Ähnlichkeiten schienen sich quasi aufzulösen – bis die soziale Ordnung wieder hergestellt war: Nach Etablierung einer neuen Anführerin piepsten die Tiere wieder sehr ähnlich, allerdings in einem neuen Dialekt.

„Menschen und Nacktmulle scheinen sich viel ähnlicher zu sein, als irgendjemand hätte ahnen können“, sagt Lewin. „Nacktmulle verfügen über eine Sprachkultur, die sich entwickelt hat, lange bevor es den Menschen überhaupt gab.“ Das kann auch Alison Barker, die Erstautorin der Studie, bestätigen. Sie kann die Koloniedialekte nach all den Monaten im Labor mittlerweile mit freiem Ohr unterscheiden, ganz ohne Messgerät.