Impfstoff von AstraZeneca und Uni Oxford auf einem Tisch
APA/AFP/University of Oxford/John Cairns
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Coronavirus

Zusammenhang unklar: Blutgerinnsel und Impfstoff

Spezielle Blutgerinnsel im Gehirn, die tödlich sein können, haben zum Stopp der Coronavirus-Impfungen mit dem AstraZeneca-Vakzin in mehreren Ländern geführt. Ob es einen Zusammenhang zwischen beobachteten Todesfällen und dem Impfstoff gibt, ist noch unklar. Sicher ist: Vertrauensfördernd ist das nicht.

Während Österreich vorerst an dem Impfstoff festhält, wurde seine Verwendung in einigen anderen EU-Ländern ausgesetzt – darunter auch in Deutschland. Bei unseren nördlichen Nachbarn waren sieben Fälle einer speziellen Form von Blutgerinnsel in zeitlichem Zusammenhang mit einer AstraZeneca-Impfung aufgetreten. Drei der Fälle verliefen tödlich. Das war für das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) Anlass, das Aussetzen der Impfungen zu empfehlen.

Nach PEI-Angaben geht es um eine auffällige Häufung Sinusvenenthrombosen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen und Blutungen in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit dem AstraZeneca-Präparat. Bei Sinusvenenthrombosen kommt es zu einem Verschluss bestimmter Venen im Gehirn durch Blutgerinnsel. Zentrales Symptom sind Kopfschmerzen. Daneben können Erkrankte etwa epileptische Anfälle, Lähmungen sowie Sprachstörungen bekommen. Ein Mangel an Blutplättchen wiederum führt zu einer erhöhten Blutungsneigung. Als Symptome treten punktförmige Einblutungen in die Haut oder Schleimhäute auf, gelegentlich auch starkes Nasenbluten.

Kritik am Impfstopp

Für eine genaue Bewertung der Thrombosefälle fehlt es noch an vielen Informationen. „Handelt es sich um Frauen oder Männer? Sind die Betroffenen alt oder jung? Haben Sie Vorerkrankungen?“ – all das sei bisher noch nicht bekannt, sagte Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Ohne genauere Informationen ist das nicht zu interpretieren.“ Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Thrombose wurde bisher in keinem Fall festgestellt. „Die kausale Verknüpfung ist hier völlig offen“, so Berlit. „Deswegen wird ja in England und Kanada auch weiterhin geimpft.“

Der britische Experimentalmediziner Peter Openshaw verurteilte deshalb die Aussetzung der Impfungen scharf. „Ich denke, das ist ein Desaster für die Akzeptanz von Impfungen in Europa, die in einigen Ländern ohnehin schon auf wackeligem Boden steht“, sagte der Forscher des Imperial College London am Dienstag der BBC. „Es ist sehr eindeutig, dass die Vorteile einer Impfung die mögliche Sorge vor dieser seltenen Art der Blutgerinnsel weit überwiegen“, so Openshaw.

Vakzin „außerordentlich sicher“

In die gleiche Kerbe schlägt der britische Statistikprofessor David Spiegelhalter von der Universität Cambridge. „Angesichts von Ungewissheit ist es gut, vorsichtig zu sein. Aber in den derzeitigen Umständen mit steigenden Fallzahlen in Deutschland dürfte die Vorsicht es gebieten, schnellstmöglich so viele Menschen wie möglich zu impfen“, sagte Spiegelhalter am Dienstag. Außerdem seien mögliche Schäden durch die Verstärkung von Vorbehalten gegen den Impfstoff zu bedenken. „Das sind schwierige Entscheidungen in ungewöhnlichen Zeiten“, so Spiegelhalter.

In einem Gastbeitrag im „Guardian“ hatte der Wissenschaftler am Montag davor gewarnt, kausale Zusammenhänge zu sehen, wo keine sind. Die klinischen Studien, die zur Zulassung des AstraZeneca-Impfstoffs in Großbritannien führten, und die Erfahrungen aus dem Impfprogramm in dem Land mit rund zehn Millionen verabreichten Dosen des Präparats hätten gezeigt, dass das Vakzin „außerordentlich sicher“ sei.

Zusammenhänge festzustellen „sehr schwierig“

Fakt ist: Bisher wurden rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland mit AstraZeneca geimpft. Sieben Blutgerinnselfälle entsprechen etwa vier Fällen pro einer Million Geimpfter. Sinusvenenthrombosen gab es allerdings schon lange vor dem Coronavirus und seinen Impfstoffen. „Sie treten etwa einmal pro 100.000 Einwohner und Jahr auf, das heißt, die jährliche Inzidenz liegt bei rund 1 auf 100.000", erklärte Berlit. Neben wohl vor allem hormonell bedingten Fällen – etwa bei Einnahme der Antibabypille – gebe es auch septische Sinusvenenthrombosen im Zusammenhang mit bakteriellen oder viralen Infektionen.

Inwiefern also die nun beobachteten Blutgerinnsel tatsächlich auf die Impfung zurückgehen könnten und warum sie nur das AstraZeneca-Präparat und nicht die anderen Impfstoffe betreffen sollten, ist bisher unklar. „Nebenwirkungen von Impfungen können dadurch auftreten, dass das Immunsystem zu viel oder an nicht gewünschter Stelle reagiert“, erklärte Berlit. „Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einem Symptom und einer Impfung herzustellen oder zu belegen, ist immer ganz, ganz schwierig.“

Keine Häufung in Großbritannien

Wie viele Mediziner und andere Coronavirus-Expertinnen sieht auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) derzeit kein Alarmzeichen. Die Vorfälle seien nicht notwendigerweise auf das Impfen zurückzuführen, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus in Genf. „Es ist eine Routinepraxis, das zu untersuchen.“ Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hält so auch vorerst daran fest, die Impfungen fortzusetzen.

Gegen das Aussetzen der Impfung sprechen auch die Daten aus Großbritannien. „Dort kann man bei elf Millionen Impfungen und bisher drei gemeldeten Sinusvenenthrombosen ganz sicher sagen, dass keine besondere Häufung besteht“, so der Neurologe Berlit.

Bei Kopfschmerzen zum Arzt

Was sollten Menschen beachten, die kürzlich mit dem AstraZeneca-Präparat geimpft wurden? Geimpfte haben PEI-Präsident Klaus Cichutek zufolge nichts mehr zu befürchten, wenn ihre Impfung 16 Tage zurückliegt. Davor sollte man einen Arzt aufsuchen, wenn man sich nach mehr als vier Tage nach der Impfung unwohl fühlen sollte, etwa mit starken oder anhaltenden Kopfschmerzen oder punktförmigen Hautblutungen.

Für Thrombosen generell hatten Analysen der EMA ergeben, dass es keine auffällige Häufung im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gibt. Der Anteil der Thrombosekranken nach einer AstraZeneca-Impfung entspreche dem spontanen Auftreten dieser Erkrankung in der Normalbevölkerung.