Eine Glatze
AFP – MICHAEL KAPPELER
AFP – MICHAEL KAPPELER
Dermatologie

Wie Stress zu Haarausfall führt

Wenn Menschen extrem gestresst sind, können ihnen sogar die Haare ausfallen: Erzählungen dazu gibt es viele, der genaue Mechanismus war bisher aber unklar. Laut einer neuen Studie mit Mäusen lösen bestimmte Stresshormone den Haarausfall aus – das könnte zu neuen Therapien führen.

Schätzungsweise ein Drittel aller Männer über 30 Jahren leiden unter Glatzenbildung, der Anteil steigt mit zunehmendem Alter, und auch rund 40 Prozent aller Frauen über 70 sind davon betroffen. Die Coronavirus-Pandemie könnte die Zahlen nochmals erhöhen. Laut einer jüngst veröffentlichten Studie leidet fast ein Viertel sechs Monate nach einem Covid-19-bedingten Krankenhausaufenthalt unter Haarausfall – möglicherweise ausgelöst durch den Schock und Stress von Erkrankung und Behandlung.

Stresshormon Corticosteron

Wie Stress und Haarwachstum allgemein zusammenhängen, hat nun ein Team um die Stammzellbiologin Ya Chieh Hsu von der Harvard University untersucht. Die Forscherinnen und Forscher entfernten dazu einigen Versuchsmäusen im Labor die Nebenniere – jenes Organ, das u. a. das Stresshormon Corticosteron herstellt. Im Vergleich zu normalen Artgenossen wuchsen ihnen die Haare daraufhin dreimal so schnell, berichten die Forscherinnen soeben in der Fachzeitschrift „Nature“.

Fütterten sie die nebennierenlosen Tiere dann aber mit Corticosteron, pendelte sich der Haarwuchs wieder auf „natürlich“ ein. Die Wichtigkeit des Stresshormons zeigte sich auch bei ganz normalen Mäusen, die die Forscherinnen neun Wochen lang Stress aussetzten: Während die Corticosteron-Werte stiegen, verringerte sich das Haarwachstum der Nager.

Entscheidendes Protein: GAS6

Was dabei biochemisch passiert, haben die Forscher um Hsu in einem zweiten Schritt untersucht. Eine entscheidende Rolle dabei spielen Stammzellen im Haarfollikel – also jenem Teil der Haut, der die Haarwurzel umgibt. Mit viel Corticosteron im Blut stellen die Stammzellen ihre Tätigkeit ein und produzieren keine neuen Haarzellen. Ohne Stresshormon werden sie hingegen aktiv und Haare beginnen zu wachsen.

Verantwortlich dafür ist ein Protein namens GAS6 („growth arrest-specific 6“): Das Stresshormon Corticosteron unterbindet die Produktion dieses Proteins, das üblicherweise die Zellteilung der Stammzellen aktiviert. Heißt im Umkehrschluss: Mithilfe von GAS6 lässt sich der stressbedingte Stopp des Haarwachstums wieder aufheben.

Anwendbarkeit noch fern

„Aufregende Ergebnisse“, nennt das der Dermatologe Rui Yi in einem “Nature“-Begleitkommentar. „Sie könnten Grundlage sein für die Behandlung von stressbedingtem Haarausfall“. Bevor sie auf den Menschen übertragen werden können, seien aber eine Reihe von Fragen zu klären.

So gilt zwar Cortisol als menschliches Pendant zum Corticosteron der Mäuse; ob das Stresshormon aber in ähnlicher Weise mit dem Protein GAS6 reagiert, bleibt zu erforschen. Außerdem sind die normalen Ruhephasen des Haarwachstums bei Mäusen viel länger als bei Menschen; ob also auch bei ihnen das Anti-Stress-Protein hilft, ist unklar. Und schließlich gilt es auch zu klären, ob das Protein nicht auch zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann – etwa zur Aktivierung krebserzeugender Zellmutationen.