Renaturierter Liesingbach in Wien
ORF, Juliane Nagiller
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Renaturierung

Wie Flüsse wieder zu Lebensräumen werden

Jahrzehntelang sind die Flüsse in Österreich verbaut, gestaut und reguliert worden. Die Folge: Nur rund vierzig Prozent von ihnen sind derzeit in einem ökologisch guten oder sehr guten Zustand. Immer öfter werden Flüsse daher zurückgebaut und in einen möglichst natürlichen Zustand gebracht. Ein Beispiel: der Liesingbach in Wien.

Enten, die sich über eine kleine Stromschnelle treiben lassen; Vögel die am Ufer, im seichten Wasser nach Futter suchen; und Totholz, das mitten im Fluss Lebensraum für Insekten, Käfer und Pilze bietet. Was nach Natürlichkeit klingt, ist eine bewusst hergestellte Natürlichkeit. Bis 2027 soll der gesamte Liesingbach im Wiener Stadtgebiet renaturiert werden. Das alte, betonierte Flussbett wurde aufgebrochen und die ursprünglichen Materialien zurück in den Fluss gebracht, erklärt Magdalena Von Der Thannen, Forscherin am Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau der Universität für Bodenkultur Wien.

Unterschiedliche Sedimentablagerungen

„Wenn hier nur ein betoniertes Gerinne wäre, könnten sich viel weniger kleine Insekten, kleine Tiere unter den kleinen Steinen verstecken“, erklärt die Wissenschaftlerin. Und auch größere Tiere, wie Fische, fühlen sich in einem naturnahen Flussbett, in dem es verschiedene Fließgeschwindigkeiten gibt und Algen wachsen, viel wohler als in einem verbauten Fluss.

Das liegt auch an den unterschiedlichen Sedimentablagerungen, sagt Hans Peter Rauch, Leiter der Arbeitsgruppe Ingenieurbiologie an der BOKU. „Wir haben hier Bereiche mit feinem Sediment, wir haben aber in den Bereichen mit schnellfließendem Wasser auch größere Steine.“ Diese Vielfalt an Wassertiefen, Fließgeschwindigkeit und Sedimentgrößen ist die Grundlage für Artenvielfalt im Fluss.

Renaturierter Liesingbach in Wien
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Geplante Natürlichkeit

Im Rahmen eines Baupraktikums haben Studierende der Universität für Bodenkultur in Kooperation mit der Stadt Wien den neuen, naturnahen Lebensraum am Liesingbach gestaltet. Statt eines geraden Flussbetts, schlängelt sich der Fluss nun wieder leicht. Ihm wurde Platz eingeräumt. Platz, um mal schneller, mal langsamer zu fließen oder Sand und kleine Kieselsteine abzulagern.

Dem Fluss Platz geben und dennoch Hochwassersicherheit gewährleisten – das sei gerade im städtischen Bereich die große Herausforderung, sagt Rauch. „Wir können nicht mehr zurück zu hundert Prozent Natur. Wir haben sozusagen auch Rahmenbedingungen. Wir haben rundherum Infrastruktur, wir haben auch natürlich Erholungsbedarf, also es ist auch ein Nutzungsdruck da. Und trotzdem muss der Fluss hochwassersicher sein.“ Hochwassersicher wird der Fluss beispielsweise durch größere Steine, die den Flussverlauf lenken und ihm Stabilität verleihen.

Renaturierter Liesingbach in Wien
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Höherer Aufwand in der Gewässerpflege

In der Ingenieurbiologie wird mit natürlichen Materialien gearbeitet. Neben Steinen kam auch Holz zum Einsatz, etwa um die Böschung zu stabilisieren, in Form einer Krainerwand, einer speziellen Stützwand. Frische Weidenzweige wurden mit Draht zu einem dicken Bündel zusammengebunden; am Ufer eingebaut und mit Erde abgedeckt, erzählt Magdalena Von Der Thannen. Auch manche Böschungsabschnitte wurden mit Weidenästen versehen. Wenn die Weiden austreiben und größer werden, schaffen sie Lebensraum für Tiere und beschatten den Fluss.

Man müsse sich im urbanen Bereich bewusst sein, dass mit einem naturnahen Fluss auch ein höherer Aufwand in der Gewässerpflege einhergeht, meint Hans Peter Rauch. Die Bäume und Sträucher am Fluss müssen geschnitten werden, damit sie nicht das Wasser aufstauen und die Hochwassergefahr erhöhen. Noch ist die neue Natürlichkeit am Liesingbach fragil. Die Weiden müssen ihre neuen Standorte erst erobern. Doch in ein paar Jahren wird die Liesing nicht nur als Frischluftschneise und Naherholungsgebiet dienen, sondern auch die Ökobilanz der Stadt verbessern.