US-Turnerin Simone Biles
AP/Gregory Bull
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Sportpsychologie

Biles-Ausstieg „absolut stark“

Über die mentale Gesundheit zu sprechen, ist nach wie vor nicht weit verbreitet in der Gesellschaft – auch und besonders nicht im Spitzensport. Die US-Turnerin Simone Biles tat es zuletzt dennoch und stieg aus dem olympischen Wettkampf in Tokio aus. Ein Schritt von „absoluter Stärke“, wie die Sportpsychologin Andrea Engleder meint.

Der psychische Zustand sei ein Thema, über das nicht viel geredet werde, sagte Andrea Engleder im Interview mit der APA. Bei Biles vermutet sie nichts Akutes im Sinne einer punktuellen Stressbelastung. „Sondern es wird ein Zuviel über einem längeren Zeitraum gewesen sein, der da einfach jetzt im Höhepunkt gegipfelt ist.“ Bei Olympia sei der Druck und die Erwartungshaltung von außen besonders hoch.

“Kampf gegen Dämonen“

Simone Biles sei ja auch nicht irgendwer, sie sei Weltklasse und Vorbild für ganz viele Athletinnen. „Das muss man erst einmal tragen. Und wenn eine mentale, emotionale Überlastung kommt, ist das natürlich großartig, wenn man da nicht mehr drüber geht. Ich vermute, dass sie lange genug drüber gegangen ist“, sagte die Sportpsychologin, die in Japan die österreichischen Athletinnen und Athleten betreut. Biles selbst hatte sich dahingehend geäußert, dass „es manchmal in Ordnung“ sei, große Wettbewerbe auszusitzen, um sich auf sich selbst zu konzentrieren. Sie sprach vom „Kampf gegen Dämonen“ vor dem Wettkampf.

“Manchmal auch scheue Wesen“

Die japanische Tennisspielering Naomi Osaka hatte sich zuvor bei den French Open zurückgezogen und eine Depression sowie soziale Phobie öffentlich gemacht. In Tokio entzündete die Japanerin dann überraschend das olympische Feuer. „Als Psychologin sage ich: Hut ab“, erklärte Engleder. „Man glaubt immer, das sind Personen, die so gerne auf der Bühne stehen, sich öffentlich zeigen und dieses Rampenlicht genießen. Das trifft nicht auf jeden zu. Die sind auch mal scheue Wesen. Wie wir in der Bevölkerung verschiedene Persönlichkeiten haben, haben wir auch im Sport ganz unterschiedliche.“

Das mit dem Fackellauf sei vielleicht auch dadurch möglich geworden, weil die Feier so reduziert gewesen sei, also keine Zuschauer im Stadion waren, meine Engleder. „Dass es für sie aushaltbarer war.“ Es sei keine Respektlosigkeit von Athleten, sich von den Journalisten zurückzuziehen. „Es ist für sie ein Bewertetwerden, sich zu zeigen, nach außen eine Rolle darzustellen, die auch ganz wichtig ist. Aber wenn die Haut dünn ist aufgrund irgendwelcher zusätzlicher Belastungen, dann geht das einfach nicht mehr. Da müsste es Exit-Strategien geben, Interviews in einem anderen Setting, online statt persönlich. Da muss man breiter denken.“

Lösungsstrategien für etwaige Coronavirus-Fälle

In Tokio geht Engleder aktiv auf die österreichischen Athletinnen und Athleten zu. „Ich bin bei den Trainings, um die Beziehung aufzubauen und Betreuung anzubieten. Natürlich habe ich auch die Aufgabe, wenn irgendetwas passiert, im Rahmen der Krisenintervention. Ich bin auch Psychotherapeutin. Dann wird es darum gehen zu stabilisieren, aber nicht nur den Athleten, sondern den gesamten Betreuer-Staff.“

Sie sei froh, dass das Team Österreich von einem Coronavirus-Fall und dem Quarantänehotel noch verschont geblieben sei. „Mein Kollege und ich haben uns stark damit auseinandergesetzt, wie wir tun, welche Möglichkeiten wir haben. Ob wir dort hinfahren können, uns wenigstens vor die Tür setzen dürfen, um mit den Leuten zu plaudern.“ Man habe Spiele, Rätselhefte, Bücher und Puzzle mitgenommen, um es so kurzweilig wie möglich gestalten zu können, wenn es wirklich zu dem Szenario kommen sollte. „Dass eine Struktur geschaffen und gehalten wird. Es ist ja wie eine Zelle.“

Frühe Medaillen sehr positiv

Tatsächlich gibt es massive Beschwerden über die harschen Bedingungen in den Quarantäne-Hotels, weshalb das Internationale Olympische Komitee (IOC) nun Unterstützung für die betroffenen Athleten zugesichert hat.

Um die Stimmung innerhalb der österreichischen Mannschaft muss man sich keine Sorgen machen. „Die Medaillen haben eine enorme Wirkung, es ist großartig, dass schon am Beginn der Spiele eine Medaille gemacht wurde, das gab einen enormen mentalen Schub, ist ein Riesenvorteil“, sagte die Psychologin des „Österreichischen Bundesnetzwerk Sportpsychologie“.

Man spüre als Athlet einerseits „da geht was für Österreich“, andererseits gebe das denen, die im Rampenlicht stehen und auf denen als Medaillenhoffnung der Fokus liege, auch ein bisschen Entspannung, weil die Aufmerksamkeit auf die Medaillengewinner gerichtet sei, erläuterte die Oberösterreicherin.