Runder Kopf, große Augen: der soziale Roboter „Pepper“ von SoftBank Robotics
MANDEL NGAN / AFP
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Gesellschaft

Ethikräte: Moral statt Regulierungen

Neue Technologien führen oft zu unerwünschten Nebenwirkungen. Um Nutzen und Risiken abzuwägen, sind Ethikräte ein beliebtes Mittel. Seit rund 30 Jahren beraten sie Politik und Unternehmen etwa zu Bioethik und künstlicher Intelligenz (KI) – Moral statt lästiger Regulierungen ist dabei nicht selten das Motto.

Die Frage nach der Ethik taucht immer dann auf, wenn neue Erkenntnisse die Weltöffentlichkeit erreichen. Man könnte auch sagen: Zuerst werden die Wunder der Technik besungen, danach folgt der Katzenjammer. Das war bei der Atombombe der Fall. Nur der Mathematiker und Zyniker Tom Lehrer fand Anfang 1950 noch etwas „Positives“ an dieser technischen Erfindung: „We will all go together when we go“, heißt einer seiner Songs. Keine Witwen mehr, keine Gräber.

Die wirkliche Meisterleistung aus dieser Zeit war eine andere: die Formulierung der Menschenrechte. So allgemein und umfassend wurde seitdem jedenfalls nicht mehr über Ethik diskutiert. Die Ethikräte, die es seit den 1990er Jahren gibt, beschäftigen sich mit Detailfragen: zum Beispiel mit Bioethik, Nanoethik und Ethik im Zusammenspiel mit künstlicher Intelligenz (KI).

Frage des Vertrauens …

Letzteres beschäftigt auch die Europäische Kommission. Zu viel Missbrauch, zu viel Manipulation von Wahlergebnissen und öffentlicher Meinung führte 2017 dazu, dass ein neuer unabhängiger Ethikrat gegründet wurde. Zwei Jahre später war ihre Arbeit abgeschlossen. Mit der Erkenntnis: Das Bindeglied für Mensch und Maschine, sei Vertrauen, Vertrauenswürdigkeit. Dazu wurde ein Papier geschrieben, mit dem Titel „Ethischer Leitfaden für eine vertrauenswürdige KI“.

Joanna Bryson, sie unterrichtet Technik und Ethik an der „Hertie School of Governance“ in Berlin, kann diesem Ansatz wenig abgewinnen. Ihrer Meinung nach geht es nicht darum Maschinen zu vertrauen, sondern „darum, ob die Institutionen, die die KI zur Verfügung stellen, dies auf eine vertrauenswürdige Weise tun. Zuerst muss man den Institutionen vertrauen können, die die künstliche Intelligenz beaufsichtigen und dann braucht es verlässliche Maßnahmen von Seiten der Regierungen, um Vertrauenswürdigkeit durchzusetzen. Es geht also nicht um Vertrauen, sondern um Wahrnehmung, Durchsetzung und Zuverlässigkeit.“

… bzw. der Gewohnheit

Just zu dem Zeitpunkt, zu dem die Menschen aufgefordert wurden, Technik zu vertrauen, nimmt dieses Vertrauen ab. Zu diesem Schluss kam die amerikanische PR-Agentur Edelman 2021: „Bis 2016 galt die Technologiebranche in 20 von 22 Ländern als besonders vertrauenswürdig. 2021 war sie nur mehr in sieben Ländern Nummer Eins. (Trust Barometer 2021, Edelman). Vertrauen, so der Technikphilosoph Alfred Nordmann, lässt sich mit „Gewohnheit“ ersetzen. Auf jeden Fall ist das einfacher als ständige Aufmerksamkeit und Selbstbeobachtung, die Ethikkommissionen einfordern. Von der Gesellschaft, der Politik, Wissenschaft und Industrie.

Moral und Profit passen nicht so leicht zusammen

Letztere hat im 21. Jahrhundert die Ethik für sich entdeckt. Aber Moral und Profit passen nicht so leicht zusammen, das belegt zumindest die Berichterstattung über die neu gegründeten Abteilungen in den Unternehmen, zum Beispiel bei Facebook. Das Unternehmen vertraut auf seine KI. Damit lassen sich Werbeeinnahmen steuern und die Meinung ihrer Kunden und Kundinnen. Aber für die Kontrolle von Gewaltdarstellungen und Hassreden eignet sich das System nicht, schrieb im Oktober 2021 das Wallstreet Journal : “Die eigenen Dokumente von Facebook besagen, dass das System nicht zwischen einem Autounfall und einem Hahnenkampf unterscheiden kann.“

Was Facebook bisher getan habe, um ethische Werte in seinem Geschäft zu berücksichtigen und umzusetzen, sei minimal, so die Botschaft aus den USA. Und auch über Google lässt sich wenig Erfreuliches sagen. Die Geschäftsführung feuerte zuerst Timnit Gebru, die Leiterin der Ethikabteilung und danach ihre Stellvertreterin Margaret Mitchell, weil sie sich für ihre Chefin eingesetzt habe, berichtet die BBC im Februar 2021.

Ethik statt Regulierung

Aber was im eigenen Haus nicht klappt, erreicht man vielleicht durch Lobbyarbeit und großzügige Spenden, kurz Philanthropie. Neu an den Ethikdiskussionen, so die Leiterin des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Wien, Barbara Prainsack, ist die Tatsache, dass die Firmen jetzt in Ethikräten sitzen und mitverhandeln. Das ist in der USA so und auch bei der Europäischen Kommission.

Ö1 Sendungshinweis:

Alles eine Frage der Ethik: Der Einsatz Künstlicher Intelligenz und seine Folgen, 9.11, 19.05 Uhr

Barbara Prainsack: "Dass die Ethik von großen Technologieunternehmen großzügig finanziert wird, das ist für mich schon ein Wandel im Vergleich zu früheren Debatten. Und dass die dann noch dazu in der "High Level Group AI“ der Europäischen Kommission sitzen, wo der erste Entwurf zur ‚trustworthy AI’, also zu der vertrauenswürdigen künstlichen Intelligenz, ausgesagt hat, dass man Regulierung nicht brauche, weil wir jetzt eh die Ethik haben, das ist schon neu.“

Wellenbewegung der Debatte

Statt Gesetze die Moral. Letzteres lässt sich vielleicht leichter manipulieren. Die Europäische Kommission hat jedoch bereits nachgelegt. Im April präsentierte sie ihren Entwurf eines „KI-Gesetzes“. Darin werden Hochrisikoanwendungen definiert und reguliert. Zum Beispiel die automatisierte Gesichtserkennung und Auswertung. Die automatisierte Überwachung der Gesellschaft habe in Europa keinen Platz, betont die EU-Kommission. Das Papier liegt auf den Tisch. Jetzt wird verhandelt. Und damit wird es auch schon wieder stiller um Ethik und KI. Der Peak der Debatte ebbt ab.

Dasselbe Muster lässt sich auch Anfang der Jahrtausendwende erkennen, als die Ethikkommissionen sich mit den Errungenschaften in der Nanotechnologie auseinandersetzten. Damals wurde ein „Code of Conduct“ für die Wissenschaft und Technik niedergeschrieben, erinnert sich Alfred Nordmann. Als der Entwurf der EU-Kommission von den Nationalstaaten abgesegnet werden sollen, wurde es ruhig. Der Entwurf ist gestorben. „Er war politisch nicht durchsetzbar“, so Alfred Nordmann.

Heute redet kaum mehr jemand über Nanoethik. „Alles richtig gemacht“, meinen dazu die einen. „Irgendwann ist auch alles gesagt“, kommentieren andere. Was bleibt ist die ethische Frage, die immer neu verhandelt werden muss: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?