Frau telefoniert vor Bildschirmen, greift sich an die Stirn
APA/BARBARA GINDL
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Pandemie

Telefonseelsorgen haben Konjunktur

Wenn die Infektionszahlen steigen, haben Telefonseelsorgen Hochkonjunktur. Das zeigt eine Studie, für die über acht Millionen Anrufe rund um den Globus ausgewertet wurden. Wenn die Infektionszahlen hoch waren, nahmen sie zu – in der ersten Welle um mehr als ein Drittel im Vergleich zu vor der Pandemie.

Ängste, Einsamkeit, Isolation von Angehörigen: Für viele wird die derzeitige Situation wieder zur Kraftprobe für die psychische Gesundheit. Wer niemanden zum Reden hat oder sein Umfeld nicht damit belasten möchte, der kann auch bei der Telefonseelsorge anrufen. „Die Pandemie zeigt, wie wichtig diese Hotlines sind,“ so Valentin Klotzbücher von der Universität Freiburg. Er ist Co-Autor einer neuen Studie, die über acht Millionen Anrufe von Telefonseelsorgen aus über 19 Ländern analysiert hat.

„Wir waren auf der Suche nach direkten Daten zur psychischen Gesundheit und sind so auf die Schweizer Telefonseelsorge aufmerksam geworden“, so der Statistiker und Ökonom. Die Daten waren für das Team so interessant, dass sie weltweit Telefonseelsorge-Hotlines um anonymisierte Messwerte baten, um diese auswerten zu können – darunter auch die der Wiener Telefonseelsorge.

35 Prozent mehr Anrufe

Der Trend in den Daten zeigt klar, dass Telefonseelsorgen in Zeiten mit hohem Infektionsgeschehen öfter angerufen werden. In der ersten Pandemiewelle 2020 etwa gingen über alle 19 untersuchten Ländern hinweg um bis zu 35 Prozent mehr Anrufe ein als noch vor der Pandemie. In Österreich waren das statt rund 200 Anrufen pro Tag dann rund 250. Für die zweite Welle stellten die Forscher ähnliche Werte fest. Nur in den Zeiten, wo das Infektionsgeschehen niedrig war, sanken auch die Anrufe wieder fast auf das Niveau vor der Pandemie.

Neben der Anzahl der Anrufe sahen sich die Wissenschaftler auch die besprochenen Themen an. Auffällig hier: Die Motive, weshalb die Anrufer und Anruferinnen zum Hörer griffen, änderten sich. Die Themen Angst, Einsamkeit und physische Gesundheit wurden während der Pandemie öfter angesprochen als davor. Beziehungsprobleme und Gewalt hingegen wurden weniger oft thematisiert.

Nur geringe Veränderungen

Insgesamt waren die Veränderungen aber nur sehr klein, was die Forscherinnen und Forscher durchaus überrascht hat. Das Thema Angst verzeichnete mit einem Plus von zwei Prozent im Vergleich zu Vor-Corona bereits die höchste Zunahme. Auch alle anderen Änderungen bewegten sich im einstelligen Prozentbereich. Geäußerte Suizidgedanken nahmen in den Hochphasen der Pandemie sogar eher minimal ab als zu – zumindest was die Auswertung der Telefonseelsorgen betrifft.

Interessant ist laut Forschern aber der Zeitpunkt, an dem das Thema Suizid relativ gesehen doch häufiger in den Anrufen genannt wird: Das ist genau dann der Fall, wenn die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie strenger wurden. Abgenommen haben diese dann wieder, wenn Regierungen finanzielle Hilfen zugesagt haben.

Klotzbücher und seine Kollegen würden sich jedenfalls wünschen, dass die Politik künftig mehr mit den Daten aus Telefonseelsorgen arbeiten. Auch, wenn diese nicht repräsentativ seien, würden sie doch schnell und einfach verfügbar sein. „Man kann ja genau sehen, wie viele Leute gestern zu welchem Thema angerufen haben,“ so Klotzbücher. Dadurch hätte man eine Art Echtzeit-Stimmungsbarometer.