Alina Fritsch als Miriam Rothschild im Doku-Drama von Klaus T. Steindl
ORF/ Hubert Mican
ORF/ Hubert Mican
Geschichte

Die vergessenen Frauen der Rothschilds

Die Geschichte der Familie Rothschild spiegelt mehr als 200 Jahre die bewegte Zeitgeschichte Europas wider. Aufstieg, Erfolg und letztlich die Tragödie der Dynastie stehen repräsentativ für das Schicksal vieler wohlhabender jüdischer Familien am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. In den Tiefen der Familienarchive in Vergessenheit geraten: die Rothschild-Frauen.

Ihr Vermögen vermehrten die Rothschilds vor allem durch Investitionen in Eisenbahnen und Finanzierung von Staaten. Diese unternehmerischen Entscheidungen trafen ausschließlich die Rothschild-Männer – wie es vom „Urvater“ Mayer Amschel 1812 testamentarisch festgelegt wurde. „Die Geschichte der Rothschild-Familie ist ein Krimi“, sagt die Judaistin Gabriele Kohlbauer-Fritz, die die aktuelle Ausstellung über den Wiener Zweig der Rothschild-Familie im Jüdischen Museum Wien kuratiert hat, „und auch die Geschichte der Rothschild-Frauen ist einer“.

Sendungshinweis

Universum History: „Die Rothschild-Saga. Aufstieg, Glanz, Verfolgung“, 21.12.2021, 22:35, ORF 2

Mayer Amschel Rothschild und seine männlichen Nachkommen- die Frauen sind unsichtbar
ÖNB – Autor unbekannt
Mayer Amschel Rothschild und seine männlichen Nachkommen – die Frauen sind unsichtbar

In ihrer Blütezeit war die mächtige Bankiersfamilie über ganz Europa verteilt, mit Filialen in Wien, Frankfurt, Paris, London und Neapel. Am Ende mussten durch die inzestuöse Heiratspolitik und das Ausbleiben von Nachkommen mehrere Filialen schließen. Der erstarkende Antisemitismus und der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs besiegelten das Ende der mächtigen Dynastie zumindest in Österreich.

Weg aus dem Ghetto

Doch zurück zu ihrem Beginn: Rund 3.000 Menschen drängten sich Mitte des 18. Jahrhunderts im Frankfurter Ghetto, unter unvorstellbaren hygienischen Bedingungen, umgeben von einer Mauer. Sie waren Juden – ausgegrenzt und ohne Aussicht auf ein Entkommen. Der junge Mayer Amschel Rothschild bekam 1756 seine große Chance: Er sollte einen der wenigen Berufe erlernen, die Juden erlaubt sind – den Handel mit antiken Münzen. Damit begann der Aufstieg einer Dynastie, die rund 150 Jahre später zu den mächtigsten Bankiersfamilien zählen sollte. Ein Aufstieg, an dem jedoch – wie könnte es auch anders sein – die Frauen der Familie maßgeblich mitgewirkt haben.

Die Rothschild-Matriarchin

So konnte Mayer Amschel sein bescheidenes Vermögen nur deshalb vermehren, weil er mit Gutle Schnapper eine Frau aus wohlhabendem Hause heiratete. Sie brachte eine Mitgift von 2.400 Gulden mit in die Ehe – das entsprach dem Jahresgehalt eines gut verdienenden Beamten am Hof. Es war das Startkapital für Mayer Amschels Karriere – seine Kreditwürdigkeit wurde dadurch enorm aufgestockt.

Gutle beriet nicht nur ihren Mann bei seinen finanziellen Entscheidungen, zeichnete für das Wechselgeschäft verantwortlich und beaufsichtigte das Kreditgeschäft während seiner Reisen, sondern – was für den Aufbau eines generationen-überdauernden Familienunternehmens nicht unerheblich war – gebar insgesamt 18 Kinder. Zehn von ihnen überlebten – fünf Söhne und fünf Töchter. Die Söhne wurden von Mayer Amschel in die Bankgeschäfte eingelernt und mit der Zeit strategisch in Europa „verteilt“. So ging Salomon Rothschild nach Wien, Nathan nach Manchester, Carl nach Neapel und Jakob nach Paris.

Und die fünf Töchter? „Die verschwinden in der Familiengeschichte“, sagt Gabriele Kohlbauer-Fritz. Vor seinem Tod vermachte Mayer Amschel den Söhnen die Bankgeschäfte, seiner Frau und den Töchtern sein Privatvermögen. Um das Vermögen zusammenzuhalten, wurden Töchter und Schwiegersöhne im Testament dezidiert vom Unternehmen ausgeschlossen. Was allerdings das Geschlecht damit zu tun hat, ist aus heutiger Sicht natürlich nicht mehr schlüssig. „Um das zu verstehen, müsste man Mayer Amschel persönlich nach seinen Beweggründen fragen“, so Kohlbauer-Fritz. Fakt sei jedoch, dass das Unternehmen zwar hochmodern aufgestellt, das Familiensystem aber ein sehr patriarchales gewesen sei – was aber durchaus dem Zeitgeist entsprach.

Gutle Schnapper, die Ur-Matriarchin der Rothschilds
Moritz Daniel Oppenheim – Jewish Museum of Frankfurt am Main
Gutle Schnapper, die Ur-Matriarchin der Rothschilds

Nach dem Tod ihres Mannes, den sie um 37 Jahre überlebte, war Gutle Rothschild oberste Autorität und Familienoberhaupt. Bis zum Schluss wurde sie von ihren Söhnen bei ihren Geschäften zu Rate gezogen. Diese mussten, selbst als das Bankhaus Rothschild bereits Weltgeltung hat, ins Frankfurter Ghetto zurückkehren, um ihre Mutter zu sprechen. Denn Gutle blieb bis an ihr Lebensende im Stammhaus in der Frankfurter Judengasse und wurde dort zur Legende.

Die nächste Generation

24 Jahre später schrieb auch Mayer Amschels ältester Sohn Nathan sein Testament. Dieses liest sich anders als das seines Vaters: “My dear wife Hannah … is to co-operate with my sons on all important occasions and to have a vote upon all consultations." Keine Transaktionen sollten ohne Rücksprache mit seiner Frau Hannah stattfinden, der er auch testamentarisch ein Veto-Recht zuspricht.

Briefe zwischen Hannah und Nathan belegen die wichtige beratende Funktion, die sie innehatte. Mit ihrer pro-aktiven Rolle in geschäftlichen Angelegenheiten stach Hannah in der langen Geschichte der Dynastie hervor und brach damit auch mit der vorgesehenen Rolle der konventionellen jüdischen Ehefrau. Dennoch – die Töchter wurden auch von Nathan und Hannah nicht in das Banken-Unternehmertum eingeführt.

Konventionelle Biografien

Große Ausbrecherinnen gab es in der Rothschild-Dynastie, soweit dokumentiert, nicht wirklich. Briefe, vor allem von Mayer Amschels Enkeltochter Charlotte (1819-1884), zeugen von einer gewissen inneren Unruhe und Ungeduld in der eingeschränkten Rolle als züchtige Ehefrau und Mutter. „Sie waren in einem goldenen Käfig gefangen“, so Kohlbauer-Fritz, „wie viele Frauen des Großbürgertums. Sie bekamen wenig öffentliche Anerkennung- das kann man aber natürlich auch als Luxusproblem bezeichnen.“

Miriam Rothschild in einer TV-Show 1988
Miriam Rothschild in einer TV-Show 1988

Die Tätigkeiten der Frauen waren vor allem in karitativen, in sozialen und in künstlerischen Bereichen angesiedelt – und dort aber oft mit großer Wirkungsmacht. So setzte sich Rózsika Rothschild, die aus Österreich-Ungarn stammte und nach Großbritannien geheiratet hatte, für österreichische Kriegsgefangene und Kinder, die vom Ersten Weltkrieg betroffen waren, ein. Ihre Tochter Pannonica de Koenigswarter machte Karriere als Musikerin. Sie gilt als Jazzlegende und wichtigste Förderin des modernen Jazz.

Insektenforscherin Miriam Rothschild

Eine herausstechende wissenschaftliche Karriere machte Miriam Rothschild (1908- 2005) vom englischen Zweig der Rothschilds. Auf ihrem Anwesen im englischen Ashton Wold baute sie eine Insekten-Forschungsstation auf und lieferte wichtige Beiträge zur Erforschung von Flöhen. Obwohl sie keinen Universitätsabschluss hatte, wurden ihr mehrere Ehrendoktorwürden verliehen, unter anderem von den Universitäten Cambridge und Oxford. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs schaffte sie es, rund 50 jüdische Kinder aus Österreich nach Ashton Wold in Sicherheit zu bringen.