Hinweisschild mit einem Pfeil
AFP – FRANCK FIFE
AFP – FRANCK FIFE
Kulturgeschichte

Der Pfeil: Von der Waffe zum Zeichen

Tagtäglich orientieren wir uns an Pfeilen. Dass wir damit bedenkenlos einem Zeichen folgen, dessen materieller Referent ein gefährliches, oft tödliches Geschoß darstellt, entgeht den meisten. In einem Gastbeitrag erörtert die Kultur- und Medienwissenschaftlerin Rebekka Ladewig, wie aus dem Akt des Zielens das Zeichen des Zeigens geworden sein könnte.

Rebekka Ladewig
IFK Wien

Über die Autorin

Rebekka Ladewig ist Kultur- und Medienwissenschaftlerin und lebt und arbeitet in Berlin und Weimar. Derzeit ist sie Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften | Kunstuniversität Linz in Wien. Zurzeit forscht sie zu einem von der VolkswagenStiftung geförderten Projekt über die Kultur- und Bildgeschichte des Pfeils an der Bauhaus-Universität Weimar.

Workshop

Der von Rebekka Ladewig konzipierte Workshop „Projektion und Entwurf. Zur Archäologie von Pfeil und Pfeilzeichen“ findet am 27. und 28. Jänner 2022 als Kooperation zwischen dem Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften Wien und der Bauhaus-Universität Weimar statt und wird von der VolkswagenStiftung gefördert.

Pfeilzeichen sind allgegenwärtig in modernen Lebenswelten: Sie dienen der räumlichen Orientierung, finden sich auf technischen Geräten und vermitteln zwischen Bild, Schrift und Zahl, in Diagrammen, Formeln oder Karten, in alten wie in neuen Medien. Die materielle Dimension dieses Zeichens und seine Herkunft aus dem nomadischen Gefüge der Bogenwaffe ist angesichts der bemerkenswerten Ausdifferenzierung der Zeichenfunktion weitgehend verschüttet. Jedenfalls folgen wir mit dem Richtungspfeil meist bedenkenlos einem Zeichen, dessen dinghafter Referent für längere Zeiten der Menschheitsgeschichte ein gefährliches, oft tödliches Geschoss darstellte.

Pfeil-Objekt und Pfeil-Zeichen

Was aber hat das Pfeil-Zeichen mit dem Pfeilgeschoss zu tun? Welcher Zusammenhang sollte zwischen einem der ältesten Zeichen des Menschen und dessen erster, technologisch avancierter Fernwaffe – dem von einem Bogen beschleunigten Pfeil – bestehen? Objekt und Zeichen werden in der Forschung meist säuberlich voneinander getrennt, denn sie fallen in die Zuständigkeiten verschiedener Disziplinen: Mit dem Pfeil als Teil der Bogenwaffe beschäftigen sich ethnografische, anthropologische und archäologische Untersuchungen, während die Bogenwaffe selbst zuweilen einen Gegenstand waffenhistorischer Forschungen bildet und damit in den Bereich der Technikgeschichte fällt.

Das Pfeilzeichen wird dagegen von Seiten der Kommunikationstheorie und Semiotik erforscht, und den vielfältigen symbolischen und ikonografischen Bedeutungen des Pfeils – etwa dem Liebespfeil, mit dem Amor die Liebe entfacht (oder auslöscht) – widmet sich die Kunst- und Bildgeschichte. Wie ein Gemälde von Parmigianino aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien zeigt, stellt Amor den Bogen, mit dem er seine Pfeile abschießt, auch selbst her. Er beherrscht damit sowohl das Register des Gebrauchs als auch das der Herstellung der Bogenwaffe – in der französischen Technikphilosophie eine wichtige Unterscheidung.

Diesen nach Ding und Zeichen geschiedenen Forschungsrichtungen entgeht aber die entscheidende Tatsache: Die mit der Bogenwaffe verbundenen körper- und kulturtechnischen Operationen gehen in die Art und Weise ein, wie Richtung, Kraft und auch entwerfendes Denken bis heute konzipiert werden.

Die Handgreiflichkeit des Pfeilzeichens

Nur vereinzelt wurde bisher auf die handgreifliche Dimension des Pfeils hingewiesen. Als erster hat wohl der in Wien geborene Kunsthistoriker Ernst Gombrich in einem kurzen Text aus dem Jahr 1973 auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Gombrich war eine Pfeildarstellung auf der Golden Plaque ins Auge gefallen, die seinerzeit für mediale Aufmerksamkeit sorgte.

Golden Plaque, Carl Sagan & Frank Drake, 1972
Wikimedia Commons
Golden Plaque, Carl Sagan & Frank Drake, 1972

Bei der Golden Plaque handelte es sich um eine 15 mal 22,5 Zentimeter große Aluminiumplatte, die 1972 an Bord der Raumsonde Pioneer 10 ihre Reise in den extrasolaren Raum antrat. Entworfen von den Astrophysikern Carl Sagan und Frank Drake, stellte sie den ersten einer Reihe bisher einseitig verlaufener Kommunikationsversuche mit einer außerirdischen Intelligenz dar. Gombrich zufolge hätten intelligente Außerirdische aber den Richtungspfeil am unteren Bildrand, der die irdische Herkunft der Raumsonde und ihre Flugbahn zwischen Jupiter und Saturn anzeigte, ohnehin nicht als solchen erkennen können – es sei denn, sie wären mit dem Gebrauch der Bogenwaffe vertraut. Er stellte damit einen direkten Zusammenhang zwischen Richtungspfeil und Pfeilprojektil her.

Zur Archäologie des Pfeils

Zwar ist es schwierig, diesen Zusammenhang eindeutig nachzuweisen, allerdings lassen sich Übergänge und Bezüge zwischen materiellen und semiotischen, also zeichenhaften Dimensionen herstellen, die einen solchen Zusammenhang nahelegen. Von der herausragenden Bedeutung, die dem Pfeil schon in der Frühgeschichte zukam, zeugen zahlreiche Darstellungen auf Feld- und Höhlenmalereien des Jungpaläolithikums.

Wisent mit Pfeilen, Grotte de Niaux, Schwarzer Salon, ca. 13.500 bis 12.550 v.u.Z.
Wikimedia Commons
Wisent mit Pfeilen, Grotte de Niaux, Schwarzer Salon, ca. 13.500 bis 12.550 v.u.Z.

Sie datieren damit, archäologisch belegt, auf einen Zeitraum, in dem der Gebrauch von Pfeil und Bogen als Jagdwaffe auch in Europa weit verbreitet war (wohingegen die ältesten Funde von Pfeilprojektilen auf ca. 60.000 bis 65.000 Jahre v.u.Z. datieren und aus Südafrika stammen). Mit der Speicherung und Übertragung von Energie, die dem physikalischen Prinzip der Bogenwaffe zugrundeliegen, geht hier also die Speicherung von Informationen einher. Bild und Beute – der erlegte Wisent und seine Darstellung – sind aufeinander bezogen, und dies in einem buchstäblich handgreiflichen Sinne: In der Technik des Zielens, im Anvisieren der Beute, werden Hand und Auge auf eine Weise koordiniert, die auch beim Führen der zeichnenden Hand anleitend wird. Der physikalische Entwurf geht dem zeichnerischen Entwerfen voraus. Auf ähnliche Weise ließe sich argumentieren, dass sich die Geste des Zeigens, für die der Pfeil heute als Zeichen einsteht, aus dem Akt des Zielens entwickelt hat.

Bogenwaffe und Pflug

Nicht nur kulturell, sondern auch politisch bedeutsam wird die Geschichte der Bogenwaffe in dem Moment, in dem man sie als Gegenstück zum Kulturwerkzeug des Pflugs wahrnimmt und damit die gesellschaftlichen Organisationsprinzipien des nomadischen und des sesshaften Lebens aufruft. Entscheidend ist dabei eine lange vorherrschende Auffassung, die Kultur mit Agrikultur gleichsetzt, die also in den nomadischen Praktiken des Jagens und Umherziehens (genauer: eines vom Vieh Gezogen-werdens) keine kulturalisierende Bedeutung erkennt.

Bereits in der Antike stellte das Nomadische – in Gestalt des skythischen Reitervolks, das aus der Schwarzmeerregion wiederholt in Griechenland eingefallen ist – eine Bedrohung für die alten Zivilisationen des Südens dar, wie Herodot in seinen Historien schildert. Die Fluchtlinien einer kriegerischen Unterwerfung und kolonialen Unterdrückung nomadischer Kulturen lassen sich von hier aus durch die Geschichte des Mittel-alters und noch der frühen Neuzeit verfolgen, in der in Europa mit dem Aufkommen des Postwesens die ersten Wegweisesysteme und Richtungshinweise die Territorien raum-zeitlich konfigurierten.

Shooting the Last Arrow, Standing Rock Reservation, North Dakota, Frank B. Fiske, 1917
Library of Congress
Shooting the Last Arrow, Standing Rock Reservation, North Dakota, Frank B. Fiske, 1917

Eine reflexhafte, gleichsam ins Symbolische gewendete Abwehr des Nomadischen findet sich noch zu Beginn der 1920er-Jahre in einer Einbürgerungszeremonie der nordamerikanischen indigenen Bevölkerung: Das „Ritual on Admission of Indians to Full American Citizenship“, erdacht von Franklin L. Lane, der von 1913 bis 1920 Innenminister der Regierung Woodrow Wilsons war, sah vor, den Übergang vom Stammesangehörigen zum amerikanischen Staatsbürger durch einen letzten Pfeilschuss zu besiegeln. Nach diesem letztmaligen Gebrauch war der Bogen abzugeben und die Hände auf einen bereitstehenden Pflug zu legen. Damit, so die Phantasie der Kolonisatoren, würde sich die Transformation des Indigenen in einen fleißig pflügenden amerikanischen Staatsbürger vollziehen.