Ärztin mit Datenblatt im Krankenhaus
©ipopba – stock.adobe.com
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Patienten in Weiß

Wenn Mediziner selbst erkranken

Ärztinnen und Ärzte sind immer für ihre Patientinnen und Patienten da, wissen stets Rat und führen kompetent aus gesundheitlichen Krisen. Untersuchungen deuten darauf hin, dass sie selbst oft wenig achtsam mit ihrer Gesundheit umgehen und sich Belastungen und daraus resultierende psychische Leiden schwer eingestehen können.

Einen gesunden Lebensstil zu pflegen, sich gut zu ernähren, Sport zu betreiben, auf seine Work-Life-Balance zu achten und sich im Krankheitsfall zu schonen und daheim zu bleiben – diese Empfehlungen gehören zum ärztlichen Standardrepertoire. Weit weniger achtsam gehen viele Ärztinnen und Ärzte aber mit der eigenen Gesundheit um.

So haben Studien gezeigt, dass Angehörige dieser Berufsgruppe sehr häufig auch dann arbeiten, wenn sie krank sind. Sehr viele geben an, keinen Hausarzt zu haben. Vielmehr verlassen sich die meisten im Krankheitsfall auf Selbstdiagnosen und Selbsttherapie, auch wenn das jeweilige Leiden gar nicht ins eigene Fachgebiet fällt. Vorsorgeuntersuchungen werden zwar wahrgenommen, aber nicht deutlich mehr als von der Vergleichsbevölkerung. Lediglich beim Impfen liegen die Raten über dem Durchschnitt.

Belastete Psyche

Auch die seelische Gesundheit ist bei Medizinerinnen nicht besser als bei anderen Berufsgruppen – ganz im Gegenteil: Nach Expertenschätzung sind etwa zwei Drittel der gesundheitlichen Probleme von Ärzten psychisch bedingt. Zeitdruck, wirtschaftliche Zwänge, ein hoher bürokratischer Aufwand, Fremdbestimmung und Hierarchien sind Faktoren, die dazu beitragen. Und da ist auch noch die hohe Verantwortung, die der Arztberuf mit sich bringt: Jede Handlung kann über Wohl oder Weh eines Patienten entscheiden.

Leidenschaft, die Leiden schafft

Die meisten Ärztinnen und Ärzte empfinden ihren Beruf als sinnstiftend und erfüllend. Gleichzeitig führt dieser hohe Grad an Identifikation aber auch dazu, dass sie Belastungen länger aushalten als ihnen guttut; und viele können sich selbst oder anderen gegenüber nicht eingestehen, dass sie Probleme haben. Bei Dauerstress ist eine schwere Krise jedoch programmiert: Burnout, Depressionen und daraus resultierende Abhängigkeitserkrankungen sind in diesem Beruf keine Seltenheit.

Suchtmittel Nummer eins ist – wie in der Allgemeinbevölkerung – Alkohol. Um herunterzukommen, Spannungs- und Angstzustände abzubauen oder um sich aufzuputschen und weiter leistungsfähig zu sein, greifen einige aber auch noch zu anderen potentiell süchtig machenden Substanzen, von denen die meisten für sie auch leicht zugänglich sind – zu Sedativa und Amphetaminen, manche auch zu Opiaten und Kokain. Schätzungen aus Deutschland gehen von etwa acht Prozent alkohol- oder medikamentenabhängigen Ärztinnen und Ärzte aus, das wären mehr als 32.000 Betroffene. Aus Österreich liegen weder zu Sucht noch zu psychischen Erkrankungen insgesamt Zahlen vor.

Dass die gesundheitlichen Probleme von Medizinern sehr ernst zu nehmen sind, dafür spricht die im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhte Suizidrate, wobei Frauen häufiger betroffen sind als ihre männlichen Kollegen. Begründet wird das oft durch familiäre und pflegerische Zusatzbelastungen. Besonders oft kommen Suizide in den Fachbereichen Anästhesie und Psychiatrie vor.

Corona-Pandemie als Treiber seelischer Erkrankungen

In den vergangenen fast zwei Jahren hat die Corona-Pandemie viele Ärztinnen und auch das Pflegepersonal in den Krankenhäusern an die Grenzen der Belastbarkeit und darüber hinausgebracht. Eine Umfrage unter 8.000 Wiener Spitalsärzten im Auftrag der Ärztekammer hat schon im vorigen Frühjahr beunruhigende Zahlen geliefert: So fühlte sich etwa ein Drittel der Befragten in der Arbeit alleingelassen. Mehr als die Hälfte gab an, sich körperlich und psychisch oft oder sehr oft erschöpft zu fühlen und 14 Prozent sahen sich kurz vor einem Burnout – das sind etwa 1.000 der Wiener Mediziner im angestellten Bereich.

Mit psychischen Problemen adäquat umzugehen, fällt vielen Betroffenen ungemein schwer. Burnout und Depressionen werden oft verschwiegen und Suchterkrankungen erst recht, gelten diese doch als Zeichen von Schwäche und Versagen. Mit dem Bild des Arztberufes ist das für viele einfach unvereinbar. Dazu kommt bei den meisten ein hohes Verantwortungsgefühl Kolleginnen und Kollegen gegenüber, die – würde man selbst ausfallen – einspringen müssten. Zugleich aber wächst mit der Schwere einer psychischen Erkrankung bei vielen die Angst, Fehler zu begehen – mit potentiell gravierenden Folgen für die Patientinnen und Patienten, aber auch für die berufliche Karriere.

Gefährlicher Nimbus

Leistungsfähigkeit, Aufopferungsbereitschaft und Unverwundbarkeit. Diese geradezu archaischen „Ideale“ bestimmen immer noch das Selbst- wie auch das Fremdbild von Ärzten. Sie finden ihren Niederschlag im Medizinstudium ebenso wie in der Sozialisation von Medizinerinnen, äußern sich ganz selbstverständlich im „Vorbildverhalten“ von Vorgesetzten und sind wohl der Hauptgrund dafür, dass es lange Zeit auch in Österreich kaum Daten zum Gesundheitszustand dieser Berufsgruppe gegeben hat.

Fatalerweise hindern die geschilderten Idealvorstellungen auch viele Betroffene daran, sich rechtzeitig Hilfe zu holen. Wenig verwunderlich sind psychisch erkrankte Mediziner auch jene Gruppe, die am spätesten überhaupt in Behandlung kommt. Entsprechend ungünstig sind auch die Heilungschancen.

Wandel in Sicht

Doch es scheint sich – mittlerweile auch hierzulande – ein Kultur- und Bewusstseinswandel zu vollziehen – getragen und unterstützt von einer Generation jüngerer Medizinerinnen und Mediziner, die das Thema Arztgesundheit in die Öffentlichkeit tragen und bewusstseinsbildend wirken wollen. Den meisten dieser Initiativen geht es um Prävention, darum, durch niederschwellige Hilfsangebote Ärzte aus seelischen Krisen zu helfen, noch bevor sich diese in schweren Erkrankungen manifestieren.

Dazu zählen in Österreich Projekte wie jenes des Vereins „Second Victim“ und die Inititiative „Physicians Help Physicians“ der Österreichischen Ärztekammer, die im vergangenen Jahr ins Leben gerufen wurden. Anstoß dafür war die Corona-Pandemie, die die psychischen Belastungen in Medizin und Pflege zweifellos massiv verstärkt, letztlich aber nur den Finger in eine Wunde gelegt hat, die vorher schon da war. Und die Initiatorinnen und Initiatoren wünschen sich, dass dieses Thema auch nach Ende der Pandemie in der Öffentlichkeit bleiben wird – im Sinne der Gesundheit von Ärzten und Patienten.