Die Untersuchung fand auf einem der größten frühbronzezeitlichen Gräberfelder in Europa statt. Das Areal befindet sich im unteren Traisental, die Überreste stammen nach Schätzungen aus der Zeit zwischen 2200 und 1600 v. Ch. Mithilfe einer neuen Methode, bei der der Zahnschmelz untersucht wurde, konnten die Geschlechter der dort bestatteten Kindern bestimmt werden.
Die Art, wie sie bestattet wurden, lässt laut dem Team um Katharina Rebay-Salisbury vom Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie für Wissenschaften (ÖAW) Rückschlüsse zu, ob die Bestatteten einen „typisch weiblichen“ oder einen „typisch männlichen“ Stellenwert in der Gesellschaft hatten.
Unterschiede bei Bestattung
Konkret wurde für die nun im Fachmagazin „Journal of Archaeological Sciences“ erschienene Studie das Geschlecht von 70 Kindern unter zwölf Jahren untersucht. Dabei wurde die Praktik, in welcher Stellung die Kinder bestattet wurden, mit jener der Erwachsenen verglichen.

Es zeigte sich, dass bei Kindern genau die gleichen geschlechtstypischen Bestattungspraktiken angewendet wurden wie bei Erwachsenen: Frauen und Mädchen wurden mit angehockten Beinen auf der rechten Körperseite liegend bestattet, mit dem Kopf nach Süden, Männer und Buben auf der linken Körperseite mit dem Kopf nach Norden.
Frauen hatten mehr Spielraum
Unter den 70 Kindern, die auf dem Gräberfeld „Franzhausen I “ untersucht wurden, stellten die Forscherinnen und Forscher fest, dass ein Kind in unüblicher Art bestattet worden war. Ein Skelett eines rund fünfjährigen Kindes war eindeutig als Mädchen identifizierbar, da im Grab eine Beigabe in Form einer Kette aus Knochenstückchen und Bronzeteilen gefunden wurde. Bestattet wurde das Mädchen allerdings in einer für Buben typischen Haltung.

Ein Grund dafür könnte sein, dass es sich bei dem Mädchen vielleicht um die einzige Tochter eines Paars gehandelt haben könnte, erklärt Katharina Rebay-Salisbury: „Möglich ist es, dass das etwas zu tun hat mit Erbregeln oder mit der Weitergabe von Status innerhalb von Verwandtschaftsbeziehungen.“
„Daraus lässt sich folgern, dass Frauen möglicherweise etwas mehr Spielraum hatten, um Geschlechtergrenzen zu überschreiten und ihr Geschlecht im Verlauf ihres späteren Lebens zu ändern“, so Rebay-Salisbury. Das korreliert auch mit den Zahlen bei Erwachsenen: Bei zwei bis vier Prozent der Bestatteten zeigt sich, dass sie nicht ihres biologischen Geschlechts gemäß beigesetzt wurden. Auch hier ist das überwiegend bei Frauen der Fall.
Zahnschmelz zeigt Geschlecht
Bisher konnte das Geschlecht bei bestatteten Kindern schwer festgestellt werden, weil sich erst nach der Pubertät die Struktur und der Aufbau des Skeletts geschlechterspezifisch ausbildet. Es gibt zwar DNA-Analysen, aber diese sind kostenintensiv und vom Erhaltungszustand der Knochen abhängig.

So kam eine revolutionäre neue Methode zum Einsatz, die die Archäologen gemeinsam mit Chemikern und Gerichtsmedizinern der Universität Wien entwickelt haben: Untersucht wird dabei der Zahnschmelz – darin enthalten sind Peptide, also aus Aminosäuren aufgebauten Moleküle. Diese werden im Zahnschmelz geschlechtertypisch angelegt. „Man braucht nur einen klitzekleinen Teil des Zahns mit Säure abwaschen und dadurch bekommt man schon genügend Peptide aus dem Zahn heraus, um sie analysieren zu können“, erläutert die Forscherin. Der Vorteil der Methode ist, dass sie besonders schonend ist und die menschlichen Überreste erhalten werden können.
Fragen der Gleichbehandlung
Auf den Ergebnissen der Studie aufbauend ergeben sich nun weitere Fragen, so die Archäologin: „Wurden Buben oder Mädchen bevorzugt behandelt oder gibt es zum Beispiel mehr Krankheiten bei den Mädchen oder eine bessere Ernährung bei den Buben?“ Außerdem soll mittels DNA-Analysen versucht werden, mehr über das verwandtschaftliche Verhältnis der Menschen auf dem Gräberfeld zu erfahren.
Dadurch erhofft man sich Erkenntnisse darüber, wie Männer und Frauen in der Vergangenheit zusammenlebten. Schließlich sei es wichtig, vergangene Gesellschaftsstrukturen zu erforschen, um die Gegenwart besser verstehen zu können, sagt Katharina Rebay-Salisbury: „Die Urgeschichte ist immer noch das Fundament, auf all dem das aufgebaut hat. Daher ist es schon wichtig, woher diese streng binären Geschlechtersysteme kommen – auch um sie überwinden zu können.“