Moraldilemma

Menschen reagieren weltweit ähnlich

Einen Menschen töten und dafür viele retten – bei diesem moralischen Dilemma entscheiden sich viele Menschen für das „geringere Übel“, zumindest wenn sie die Entscheidung per Knopfdruck treffen können. Müsste man allerdings aktiv jemanden opfern, ziehen das deutlich weniger Mensch in Betracht – laut einer Studie ist dieser Effekt kulturunabhängig.

Das Forscherteam um Bence Bago vom Institute for Advanced Study in Toulouse hat Menschen in 45 Ländern in Experimenten vor diese schwierige Wahl gestellt, bekannt ist dieses Gedankenspiel als “Trolley-Problem“. Insgesamt konnte man Daten von rund 27.500 Studienteilnehmern für die nun im Fachmagazin „Nature Human Behaviour“ erschienenen Untersuchung berücksichtigen. An der weltweiten Studie waren auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Universität und der Wirtschaftsuniversität Wien, der Uni Salzburg und der Karl Landsteiner Universität in Krems (NÖ) beteiligt.

Bei dem „Trolley-Problem“ rollt ein Schienenfahrzeug auf fünf auf der Hauptstrecke befindliche Arbeiter zu und wird diese töten. Die Versuchsperson hat die Möglichkeit, das Fahrzeug als abseits stehender Weichensteller mit einem Knopfdruck auf ein Nebengleis zu manövrieren, wo „nur“ zwei Arbeiter stehen. Im ersten Fall lässt man als den Dingen ihren Lauf, im zweiten Fall muss man eingreifen. Hier nimmt man zwar das mehr oder weniger geringere Übel in Kauf. Man könnte aber auch argumentieren, dass man mit der Weichenstellung Mord an zwei Personen begeht, heißt es in der Arbeit.

Physische Kraft nötig

Trotzdem zeigen viele Menschen eine recht klare Präferenz für letztere Option. Das ändert sich aber, wenn die hypothetische Situation etwas anders gestaltet wird: In der Abwandlung steht man selbst auf dem Vorbau des Schienenfahrzeug und kann es stoppen, wenn man eine weitere dort befindliche Person vor den Wagen stößt. In diesem Fall treffen Menschen seltener die „utlilitaristische“ Wahl nach der Logik des geringsten Übels.

Dass psychologische- und Situationsfaktoren die Entscheidung in diesem Dilemma mitunter sehr stark beeinflussen können, zeigten US-Psychologen in einer Studie aus dem Jahr 2009. Sie argumentierten u.a. dahin gehend, dass das Aufwenden von physischer Kraft hier eine entscheidende Rolle spielt. Muss man also tatsächlich Hand an eine Person legen, um diese zum Wohle mehrerer zu töten, führt das zu anderen Einschätzungen. Untersucht wurde diese Veränderung der Einschätzung aber bisher nur in Ländern aus dem westlichen Kulturkreis, so die Autoren der neuen Studie.

Ähnliche Psychologie

Die aktuellen Ergebnisse unterstützen nun die Annahme, dass es sich hier um einen psychologischen Mechanismus handelt, der mehr oder weniger überall zu beobachten ist. Muss man persönlich Kraft aufwenden und eine Person aktiv vor den Zug werfen, trifft man die „utlilitaristische“ Wahl weltweit seltener.

Die Forscherinnen und Forscher testeten unter anderem auch, ob der Effekt in eher individualistisch-westlichen und eher gemeinschaftlich orientierten Gesellschaften etwa in Ostasien anders ausfällt. Der Gedanke dahinter war, dass in letzteren das mehr oder weniger kühle Abwägen und das Ausführen einer Tötungshandlung mit körperlicher Kraft insgesamt moralisch-ethisch weniger akzeptiert werden könnte. Es fanden sich in den Daten aber keine Hinweise, dass der Kulturkreis hier ein größerer Faktor ist. Vermutlich läuft die Abwägung überall auf der Welt nach den gleichen Mustern ab.