Porträt von Novalis, graviert von Friedrich Eduard Eichens
Gemeinfrei
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250. Geburtstag

Novalis’ Poetisierung der Welt

Die Aufklärung hatte die Alltagswelt entzaubert. Der vor 250 Jahren geborene Dichter und Philosoph Novalis wollte sie mit einem „magischen Idealismus“ wieder verzaubern. Die Grundintention seiner Schriften lautete: „Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg.“ Novalis war auf der Suche nach der imaginären Sphäre der Schönheit und des Idealen, die er im Symbol der blauen Blume verdichtete.

Für Novalis war die Aufklärung die Zeit eines „mathematischen Gehorsams“, „in der die Welt alles bunten Schmucks entkleidet wurde“. Der Dichter lehnte diesen Willen zum universellen Zweckrationalismus ab und empfahl, den Mikrokosmos der Einbildungskraft und der Fantasie zu erkunden.

Frühe Liebe

Geboren wurde Novalis am 2. Mai 1772 als Sohn einer adeligen Familie in Oberwiederstedt nahe Halle an der Saale. Sein eigentlicher Name war Friedrich von Hardenberg. Erst später, nach der Veröffentlichung seiner poetischen Werke, nannte er sich Novalis – „einer, der Neuland bestellt“. Er studierte Rechtswissenschaften in Jena und absolvierte in der thüringischen Kleinstadt Tennstedt eine Ausbildung zum Verwaltungsbeamten.

Ö1-Sendungshinweis

Die Poetisierung der Welt. Zum 250. Geburtstag des Dichters und Philosophen Novalis, Ö1-Dimensionen, 2. Mai 2022, 19.05

Hier lernte er die erst zwölfjährige Sophie von Kühn kennen, mit der er sich 1795 heimlich verlobte und die bereits im März 1797 verstarb. Dieser Verluste erschütterte ihn zutiefst und ließen Suizidgedanken aufkommen. Ein spezielles Dokument dieser existenziellen Krise sind die im Jahr 1800 veröffentlichten „Hymnen an die Nacht“, in denen geschildert wird, wie der trauernde Dichter am Grab seiner Geliebten in eine tiefe Depression verfällt.

Zitat: „Abwärts wend ich mich zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht. Fernab liegt die Welt – in eine tiefe Gruft versenkt – wüst und einsam ist ihre Stelle. In den Saiten der Brust weht tiefe Wehmut. In Tautropfen will ich hinuntersinken und mit der Asche mich vermischen.“

„Dämmerungsschauer“ des Transzendenten

Die Sehnsucht, der Geliebten in den Tod zu folgen, wurde von einem allmählichen Sinneswandel abgelöst. Das trauernde Ich verspürte eine Ahnung, „einen Dämmerungsschauer“ des Transzendenten. In weiterer Folge breitete sich dieses ozeanische Gefühl aus und es kam zu einer kurzfristigen Verschmelzung mit dem Absoluten, in der die Teilhabe am ewigen Sein erfolgt.

Novalis schrieb: „Unendliches Leben/Wogt mächtig in mir/Ich fühle des Todes/Verjüngende Flut/Zu Balsam und Äther/Verwandelt mein Blut/Ich lebe bei Tage/Voll Glauben und Mut/Und sterbe die Nächte/In heiliger Glut.“

Studien zu Fichte

Nach dem Tod von Sophie von Kühn vertiefte sich Novalis in die philosophischen Werke von Johann Gottlieb Fichte. In seiner Schrift „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“ zeigte Fichte, wie das Ich sich selbst bestimmt oder „setzt“. Dieses Ich ist mit einer Welt des „Nicht-Ich“ konfrontiert, die ihm als Außenwelt, als Objekt gegenübersteht.

So entsteht ein Bruch, ein „Riss im Sein“, der sich in der Trennung von Subjekt und Objekt artikuliert. Der Welt des Gegenständlichen, Objektiven steht das Subjekt gegenüber; der Gegensatz scheint unüberbrückbar zu sein. Fichtes Schriften boten für Novalis zahlreiche Anregungen, die er stark modifizierte.

Romantisierung der Welt

Angeregt dafür wurde Novalis von der frühromantischen Bewegung, zu der die Brüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel, der Dichter Ludwig Tieck und der Religionsphilosoph Friedrich Schleiermacher zählten. Das Ziel dieser Dichtergruppe war die Vermählung von Dichtung, Philosophie und Lebenspraxis. Die Welt sollte nach der Entzauberung durch die Aufklärung wieder verzaubert – romantisiert werden.

In den Worten von Novalis: „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“

Roman „Heinrich von Ofterdingen“

Die literarische Umsetzung dieses Projekts erfolgte im Roman „Heinrich von Ofterdingen“, der unvollendet blieb. Erzählt wird die Entwicklung eines Jünglings zum Dichter, wobei die Träume, Fantasien, Begegnungen mit märchenhaften Gestalten und die Sehnsucht nach dem Absoluten zentrale Themen sind.

Der handlungsarme Roman spielt in einer idealisierten Epoche des Mittelalters und schildert eine Expedition in unbewusste Zonen des Protagonisten Heinrich von Ofterdingen. Der Roman beginnt mit der Vision der blauen Blume – dem Symbol der frühromantischen Dichtung – die der Jüngling im Traum erlebt:

„Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte. (…). Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit.“

Poetische Liebe

Nach dem Aufwachen begibt sich Heinrich auf eine Reise nach Augsburg, die ihn zu seinem Großvater führen sollte. Dort wird er von seinem Großvater herzlich empfangen und dem Dichter Klingsohr und seiner Tochter Mathilde vorgestellt, in die er sich leidenschaftlich verliebt. Die Liebe zu ihr kann nicht prosaisch beschrieben werden, sondern bedarf einer eigenen Poesie, die aus der Einbildungskraft, der Fantasie entspringt.

Dichter, Philosoph, Salineningenieur

Novalis führte eine „Doppelexistenz“. Dichtung und Philosophie waren zwar Schwerpunkte in seinem Leben; beruflich arbeitete er als Salineningenieur und nahm Studien an der Bergakademie in Freiberg auf, um sich in den naturwissenschaftlichen Fächern Geologie, Bergbaukunde, Chemie und Mathematik weiterzubilden. Das facettenreiche, intensive und produktive Leben von Novalis fand ein frühes Ende.

Er starb am 25. März 1801 in Weißenfels nach einem Blutsturz, der durch die Tuberkulose verursacht wurde. Einer seiner letzten Sätze lautete: „Religion ist der große Orient in uns, der selten getrübt wird. Ohne sie wäre ich unglücklich. So vereinigt sich Alles in Einen großen friedlichen Gedanken, in Einen stillen ewigen Glauben.“

Nachfahren in Anarchismus und Surrealismus

Novalis Projekt einer „Poetisierung der Welt“ war keineswegs eine singuläre Episode, sondern wurde von anarchistischen Kommunarden wie Erich Mühsam oder Gustav Gräser am Monte Verità in Ascona fortgesetzt. Es tauchte bei den Surrealisten um André Breton auf, deren Ideal „eine konvulsivische Schönheit“ war. Und die französische Protestbewegung von Mai 68 skandierte „Fantasie an die Macht“.

Gemeinsam war diesen unterschiedlichen Gruppierungen, „der Wille zur Transgression“ der Alltagswelt. Das Gründungsdokument dafür hatte bereits Novalis enger Freund Friedrich Schlegel formuliert, der die Forderung nach einer „progressiven Universalpoesie“ erhob:

„Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie, und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen.“