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Pavel Losevsky – stock.adobe.com
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Medizin

Soziale Aktivitäten auf Rezept

Einsamkeit, Armut, psychische Leiden: Nicht jedes Problem, mit dem Menschen einen Arzt aufsuchen, ist medizinisch gut behandelbar. Neun Arztpraxen in Österreich verschreiben nicht nur Medikamente, sondern auch soziale Aktivitäten – etwa Tanzkurse. Das Pilotprojekt soll nun ausgeweitet werden.

Manchmal würde schon ein längeres Gespräch helfen, aber dafür haben Allgemeinärztinnen und -ärzte meist keine Zeit. Hier setzt das Konzept der „sozialen Verschreibung“ an: Der Arzt stellt ein „Rezept“ aus, und die Patientin oder der Patient geht ein Zimmer weiter, wo eine Fachkraft – etwa eine Sozialarbeiterin oder eine Gesundheitsfachkraft – für ein Gespräch bereit ist.

Ein Pilotprojekt dazu wird derzeit in neun Arztpraxen österreichweit ausprobiert. Es kann dazu führen, dass jemandem, der sich gesundheitlich angeschlagen fühlt, statt eines Medikaments auch einmal ein Tanzkurs verschrieben wird. Gefördert wird das Projekt vom Gesundheitsministerium und organisiert von Gesundheit Österreich.

Gespräche führen zum Kernproblem

Projektleiterin Daniela Rojatz von Gesundheit Österreich erzählt im Interview von einer Person, die sehr häufig in einer Arztpraxis auftauchte – meist ging es um Blutdruckprobleme: „Man hat aber nicht wirklich viel gefunden, was man medizinisch hätte lösen können.“ Nach einem ausführlichen Gespräch mit der sozialen Fachkraft und einem Hausbesuch wurde festgestellt, dass die Person aus finanziellen Gründen nicht heizen konnte und regelmäßig in die Praxis kam, um sich aufzuwärmen.

Die „Verbindungsperson“ zwischen Arzt und Patient kann auch eine Diätologin oder eine Ergotherapeutin sein. Sie sollte eine dreijährige Ausbildung vorweisen. Wichtig ist außerdem, dass sie einen guten Überblick über das soziale Angebot in der Umgebung hat. Denn das ist der Kern der Projekts: die Vermittlung an die richtige Adresse. Im Gespräch werden zunächst die Sorgen und Probleme herausgefiltert, aber auch, wo Ressourcen liegen.

„Diese Fachkräfte haben dann die Möglichkeit, aufgrund auch der Kenntnisse der regionalen Netzwerke und Strukturen an entsprechende Angebote in der Region, etwa einen Verein, eine Selbsthilfegruppe oder einen Sportverein, zu vermitteln“, so Rojatz. Die sozialen Angebote selbst gibt es allerdings nicht gratis – es sei denn, es handelt sich um für alle kostenlose Angebote.

Suchtprobleme, Einsamkeit

Stichwort Selbsthilfegruppen: Im Primärversorgungszentrumm Medius in Graz waren es zuletzt zwei Männer mittleren Alters, bei denen der Arzt das Gefühl hatte, eine „soziale Verschreibung“ könnte ihnen guttun. Beide tranken zu viel Alkohol und gaben das auch zu. Im Gespräch mit den Gesundheitsexperten verfestigte sich dann der Entschluss, etwas gegen das Suchtproblem zu unternehmen. Schließlich musste nur noch die passende Initiative gefunden werden.

Oft geht es auch um Einsamkeit. Diese kann bekanntermaßen krank machen, so auch die Erfahrung von Sozialarbeiter Christoph Pammer von Medius. Er berichtet etwa von einer 80–jährigen ehemaligen Ballettlehrerin, die immer wieder wegen unspezifischer Befindlichkeitsstörungen in die Praxis kam.

Der Arzt hatte den Verdacht, dass sie einsam ist, und verschrieb ihr ein Rezept für die Sprechstunde mit der Gesundheitsfachkraft. „Nach der Zuweisung in die Gesundheitssprechstunde nimmt sie jetzt den einzigen in Graz vorhandenen Schwimmkurs für Seniorinnen in Anspruch“, so Pammer. Schwimmen sei früher ein Hobby der Frau gewesen. Im Schwimmverein schloss sie neue Freundschaften und ist wieder in die Gesellschaft integriert. In die Praxis komme sie seither kaum noch.

Fragebogen gibt erste Hinweise

Bei Medius arbeiten gleich mehrere Personen als Verbindungsexpertinnen: Diätologen, Physiotherapeuten, Ergotherapeutinnen, Sozialarbeiterinnen und Psychotherapeuten. In Fragebögen tragen die Patientinnen und Patienten neben den Krankheitsdaten auch Informationen über ihr Ernährungsverhalten, ihren Alkoholkonsum und ihre soziale Zufriedenheit ein.

„Wenn die Patienten und Patientinnen angekreuzt haben, dass sie mit irgendeinem Verhalten, einer Situation eher unzufrieden oder sehr unzufrieden sind, dann tritt das Pflegepersonal auf und schlägt vor, in die Gesundheitssprechstunde zu gehen“, sagt Maria Wesely von der Gesundheitsförderung bei Medius. „Je nachdem, mit welchem Verhalten die Patientin oder der Patient nicht so zufrieden ist, wird eine Gesundheitssprechstunde bei einer Physiotherapeutin oder einem Sozialarbeiter ausgemacht.“ Diese können jeweils in ihren Bereichen an passende Angebote weitervermitteln.

„Kleiner Stups von außen“

Grundsätzlich kann sich natürlich jede Person auch von zu Hause aus einen entsprechenden Verein oder Kurs suchen. Die Gesundheitssprechstunde habe aber zwei Vorteile: Durch das Ansprechen in der Arztpraxis bekämen „die Verhaltensänderung noch einmal einen anderen Sinn“, sagt Sozialarbeiter Pammer. Viele Menschen brauchten diesen Rahmen, um ihr Verhalten konkret zu ändern.

Das betreffe vor allem ältere Menschen: Sie klagten zwar gerne, änderten allerdings erst einmal wenig. „Ganz einfach, weil sie ein anderes Zeitempfinden haben oder anders mit ihrer Lebensplanung generell umgehen“, so Pammer. „Da braucht es oft einen kleinen Stups von außen, damit man nicht in der Lethargie verharrt.“ Das Ziel sei, aus passiven Patienten aktive Patienten zu machen, die ihre Gesundheit selbst in die Hand nehmen.

Entlastung für Ärztinnen und Ärzte

Bisher verschreiben neun Praxen in Österreich soziale Angebote. Laut Gesundheit Österreich profitiere rund ein Fünftel der Patientinnen und Patienten, die einen Arzt aufsuchen, von dem Angebot. In den vergangenen sechs Monaten seien rund 180 Personen beraten und davon rund 85 Prozent an regionale Angebote vermittelt worden. Laut einer Befragung von Gesundheit Österreich würden 98 Prozent der Patienten die „soziale Verschreibung" weiterempfehlen.

Projektleiterin Rojatz betont, dass das Programm auch für Ärztinnen und Ärzte eine Entlastung darstelle: „Wir wissen, dass es sehr belastend für die Ärzte sein kann, wenn sie Bedarf erkennen, aber nicht helfen können. Weil sie eben nicht die Zeit haben, mit der Person ausführlich zu reden. Zudem kennen sie auch nicht alle Einrichtungen und Vereine in der Umgebung und wissen nicht, welche Angebote es gibt.“

Bis Anfang November können sich weitere Arztpraxen für Förderungen bewerben. Das Gesundheitsministerium hat die bisherige Fördersumme verdoppelt und stellt weitere 540.000 Euro für das Projekt zur Verfügung.