Die griechische Ökologin Aspa Chatziefthimiou untersucht spezielle Bakterienmatten in Khor Al-Adaid, die nur an wenigen Orten der Welt so gut zugänglich sind wie in Qatar
Vedran Strelar
Vedran Strelar
Katar

Wissenschaftsstandort der Zukunft

Am Sonntag beginnt die umstrittene Fußball-WM in Katar. Als Wissenschaftsstandort ist der Golfstaat wenig bekannt – das könnte sich aber ändern. Denn die konservativ-islamische Regierung fördert die Ansiedelung westlicher Universitäten und finanziert viele Forschungsprojekte, die mit dem heißen Klima des Landes zu tun haben – und in Zeiten der Erderwärmung immer relevanter werden.

2008 verordnete der Vater des heutigen Emirs, Sheikh Hamad Bin Khalifa Al Thani, seinem Land ein Entwicklungskonzept, das unter dem Namen „Qatar Vision 2030“ die Leitlinien für eine Erneuerung in allen wirtschaftlichen, humanitären, sozialen und die Umwelt betreffenden Belangen vorgibt. Eines der Ziele war es, eine wissensbasierte Gesellschaft aufzubauen, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gut gerüstet begegnen kann. Eine wohlkalkulierte Überlegung, denn außer seinem Reichtum an fossilen Energieträgern hat der kleine Staat, der nicht größer als Oberösterreich ist, kaum etwas zu bieten. Nur Sand und Steine, soweit das Auge reicht.

Sand und Stein, soweit das Auge reicht – Tafelberg in Al Amriya
Joseph El Haddad
Sand und Stein, soweit das Auge reicht – Tafelberg in Al Amriya

Katar zählt zu den heißesten und trockensten Gebieten der Erde. Eine ebene Geröllwüste prägt die Landschaft, in der nur äußerst spärliche Vegetation auftritt. Es gibt keine Flüsse und Seen. Die jährlichen Niederschlagsmengen belaufen sich auf gerade einmal 80 Millimeter pro Jahr. Schon jetzt stehen die Lebensräume unter extremem Druck. Klimamodelle sagen für das Ende des 21. Jahrhunderts Temperaturspitzen von 60 Grad Celsius voraus. Das bedeutet, dass ein ungeschütztes Verweilen im Freien für den Menschen innerhalb weniger Stunden zum Tod durch Kreislaufversagen führen kann.

Sendungshinweis

„Universum Qatar – Perlen im Sand“: 15.11., 20:15 Uhr, ORF 2.

Für die Wissenschaft bieten die hyperariden Bedingungen an der Grenze des gerade noch Lebensmöglichen ein faszinierendes Forschungsfeld, in dem die unmittelbaren Auswirkungen der Erderwärmung auf die Ökosysteme gleichsam „live“ beobachtet und untersucht werden können.

Badewannentemperatur im Meer

Von besonderem Interesse ist der Persische Golf. Aufgrund seiner geringen Tiefe – sie erreicht im Mittel nur 35 Meter – ist er in den Sommermonaten seit seinem Bestehen das heißeste Meer der Erde. Die hier lebenden Arten haben sich durch evolutionäre Anpassungen an die Badewannenverhältnisse gewöhnt. Mit regelmäßig auftretenden Wassertemperaturen von bis zu 36 Grad im Juli und August ist die Toleranzgrenze der meisten Meeresbewohner jedoch erreicht. Jeder weitere Temperaturanstieg hat massive Auswirkungen auf das sensible Gleichgewicht, das gerade noch aufrechterhalten werden kann. Die Gefahr, dass die Artenvielfalt rapide abnimmt und Ökosysteme dadurch zusammenbrechen, steigt mit jedem Jahrzehnt.

Meeresbiologinnen und -biologen des Environmental Science Center an der Universität von Katar arbeiten derzeit an einem Programm zur Erhaltung der Korallenriffe in den küstennahen Gewässern Katars. Denn etwa 90 Prozent aller im Golf gefangenen Fischarten stehen mit diesem Habitat in Beziehung.

Wissenschaftliches Team untersucht die rasch wachsenden Hitzeschäden an den letzten intakten Riffen in Qatarischen Gewässern
Bruno Giraldes
Wissenschaftliches Team untersucht die rasch wachsenden Hitzeschäden an den letzten intakten Riffen in Katarischen Gewässern

Weltweit bleichen Korallen bei Temperaturen rund um 30 Grad. Die Nesseltiere vor Ort halten bis zu 34 Grad durch. Doch selbst Hardliner wie sie geraten nun in Bedrängnis. „Das Problem liegt nicht darin, dass sich das Meer insgesamt erwärmt, sondern dass sich die Dauer der Temperatur-Maxima Jahr für Jahr verlängert“, so der Meeresbiologe Pedro Range. „Dadurch bleibt den Korallen im Winter, wenn das Wasser abkühlt, weniger Zeit, sich wieder zu regenerieren. So nimmt die Widerstandskraft gegen die Bleiche ab.“

Im Labor schafft das wissenschaftliche Team kontrollierte Bedingungen für Tages- und Nachtlängen, Wassertemperatur und Mondphasen, unter denen sich der Reproduktionszyklus der Korallen beschleunigen lässt. „Der Vorteil dieser entwickelten Methode ist“, so Pedro Range, „dass durch die natürliche Vermehrung die genetische Vielfalt erhalten bleibt und daher der Evolution die Gelegenheit geboten wird, schneller Anpassungen an die steigenden Temperaturen zu entwickeln“. Ein Wettlauf gegen die Erderwärmung, denn die Natur benötigt Zeit, sich an Veränderungsprozesse zu adaptieren. Sollte sich das Projekt als erfolgreich erweisen, könnten die gewonnenen Erkenntnisse auch bei der Rettung von Korallenriffen in anderen Meeren von Nutzen sein.

Im Environmental Science Center in Qatar werden Mondzyklen, Temperatur und Tagesrhythmen kontrolliert – die Korallen vermehren sich in Tanks auf Abruf
Vedran Strelar
Im Environmental Science Center in Qatar werden Mondzyklen, Temperatur und Tagesrhythmen kontrolliert – die Korallen vermehren sich in Tanks auf Abruf

Überlebenstricks der Schildkröten

Wie weit natürliche Anpassung geht, haben Untersuchungen an Echten Karettschildkröten, die unter der Ägide des Umweltministeriums und der Universität von Katar durchgeführt werden, ans Licht gebracht. Die vom Aussterben bedrohte Art wird im Rahmen eines strengen Schutzprogrammes während der Brutsaison intensiv überwacht, um Veränderungen in der Population zu registrieren. Der Fortbestand von Meeresschildkröten ist generell eng mit der Erderwärmung verknüpft. Für die meisten Arten sind Nesttemperaturen von durchschnittlich 29 Grad ideal, da dann etwa gleich viele Männchen wie Weibchen geboren werden. Steigen die Temperaturen, verändert sich dieses Gleichgewicht zu Gunsten der Weibchen, wodurch auf lange Sicht ein Sinken der Vermehrungsrate droht.

AD | Universum: Qatar – Perlen im Sand

Qatar, vieldiskutierter Austragungsort der Fußball-Weltmeisterschaft 2022, ist ein Land der Extreme.

„Bei unseren Untersuchungen der Karettschildkröten, die ihre Eier an den Stränden Katars vergraben, konnten wir diesen Trend nicht feststellen“, erläutert der britische Meeresbiologe Mark Chatting, die unerwarteten bisherigen Ergebnisse der Studie. Der Grund dafür liegt an den besonderen Gegebenheiten des Persischen Golfes. Im Winter kühlt er auf unter 14 Grad ab, wodurch es im Jahresverlauf zu großen Temperaturschwankungen kommt, auf die sich die Schildkröten in ihrem Brutverhalten eingestellt haben. Mark Chatting: „Die Adaption der Tiere ist so einfach wie genial. Sie erweitern die Dauer der Brutperiode, die von April bis Juni reicht, um einen Ausgleich des Geschlechterverhältnisses zu schaffen. Gelege am Beginn der Saison entwickeln bei kühleren Temperaturen mehr Männchen, während gegen Ende der Saison Anfang des Sommers mehr Weibchen geboren werden. Dadurch bleibt das Gleichgewicht erhalten.“

Leben im Sand

Die wissenschaftliche Forschung in Katar ist besonders geeignet, ein Bewusstsein für die feinen Abstimmungen innerhalb der Ökosysteme zu schaffen. Unter den Extrembedingungen der Wüste sind die Habitate auf wenige Arten reduziert, die in einem umso größeren Abhängigkeitsverhältnis zueinanderstehen. Im Vergleich zu gemäßigteren Zonen hat der Verlust einer Spezies daher größere Auswirkungen, da die Diversität fehlt, um Ausfälle zu kompensieren.

Ein Beispiel dafür sind die Sanddünen Katars. Angetrieben vom „Shamal“, einem kräftigen Nordwestwind, wandern sie mit einer Geschwindigkeit von bis zu 50 Metern pro Jahr über die Halbinsel. Im Südosten des Landes nähern sie sich wichtigen Industriegebieten und drohen diese zu vergraben. In einer Studie der Weill Cornell Medicine University wurde daher nach Methoden gesucht, um die Dünen durch das Einbringen von Bakterienpopulationen gleichsam zu verkleben und so die Bewegung der Sandmassen auf ökologisch vertretbarem Weg zu stoppen.

Bei den Untersuchungen wurde allerdings deutlich, dass durch die geplanten Manipulationen Habitate zerstört würden. „Dünen sind keine bloße Anhäufung von toten Sedimenten; sie sind ein Lebensraum für viele Spezies“, fasst die Biologin Sara Abdul Majid die Erkenntnisse ihrer Forschungsarbeit zusammen. „Allein in einer einzigen Düne konnten wir 27 Tier- und 25 Pflanzenarten identifizieren.“

Die Wanderdünen von Al Kharaara bewegen sich je nach Größe bis zu 50 Meter pro Jahr Richtung Süden
Joseph el Haddad
Die Wanderdünen von Al Kharaara bewegen sich je nach Größe bis zu 50 Meter pro Jahr Richtung Süden

Die Forscherinnen und Forscher konzentrierten ihre Untersuchungen auf eine kleine Eidechsenart, deren Dasein vollkommen an die Sanddünen gebunden ist: den Apothekerskink. „Wir konnten herausfinden, dass sich dieses Tier ein Leben lang und über Generationen hinweg in ein und derselben Düne aufhält. Für den Wechsel zu anderen Dünen ist er nicht ausgestattet. Er kann die Strecken nicht überwinden, da sie aus Geröll bestehen, und er schutzlos der Hitze ausgeliefert wäre“. Der Apothekerskink ist für seinen angestammten Lebensraum bestens gerüstet.

Er verbringt die meiste Zeit des Tages im Inneren der Düne, wo es etwas feuchter und kühler ist. Eine spezielle Ausformung seiner Nasenhöhlen ermöglicht es ihm zu atmen, ohne zu ersticken. Seine Haut ist durch mikroskopisch kleine Unebenheiten so gestaltet, dass keine Sandkörner an ihr haften bleiben und er mit raschen Schwimmbewegungen durch die Düne gleiten kann. Beide Adaptionen sind längst Untersuchungsgegenstand der Bionik, die sich neue Erkenntnisse für die Gestaltung von Oberflächen und Filtersystemen erhofft. „Wir sollten der Wüste mehr Achtung entgegenbringen“, so das Resümee von Sara Abdul Majid, „denn von ihr können wir sehr viel lernen.“

Die spezielle Haut des Apothekerskinks ist Untersuchungsgegenstand der Bionik, da sie Reibung reduziert
Martin Stoni
Die spezielle Haut des Apothekerskinks ist Untersuchungsgegenstand der Bionik, da sie Reibung reduziert

Kooperative Bakterien

Der Südosten Katars bietet einer der weltweit außergewöhnlichsten Orte für die Wissenschaft. In Khor Al Adaid, wo aufgrund extrem salzhaltiger Böden und der großen Hitze praktisch kein Leben mehr gedeihen kann, haben sich an den Ufern einer großen Meereslagune großflächig Bakterienansammlungen gebildet. Sie schließen sich in lederartigen Matten zu vielschichtigen Gesellschaften zusammen. Die griechische Ökologin Aspa Chatziefthimiou untersucht deren Entstehung und genaue Zusammensetzung.

Sie fasst die Einzigartigkeit des Ortes so zusammen: „Bakterien sind die Pioniere des Lebens, sie stehen am Beginn der biologischen Evolution. Die mikrobakteriellen Matten von Khor Al Adaid entwickeln sich weitgehend ohne Einflüsse durch andere Tier- und Pflanzenarten. Sie sind daher ein Fenster in die Urzeit der Erde, als es noch kein höheres Leben gab“. Durch die Analyse der Bakteriengesellschaften können so Erkenntnisse über die grundlegenden Mechanismen der Natur gesammelt werden.

Die griechische Ökologin Aspa Chatziefthimiou an ihrem ungewöhnlichen Arbeitsplatz, den Bakterienmatten im Südosten Qatars
Vedran Strelar
Aspa Chatziefthimiou an ihrem ungewöhnlichen Arbeitsplatz, den Bakterienmatten im Südosten Qatars

Aspa Chatziefthimiou: „Es ist faszinierend, wie komplex diese Gemeinschaften funktionieren. Sie tauschen Botschaften aus und interagieren auf äußerst intensive Weise miteinander. Einige Arten produzieren Abfallstoffe, die andere als Nahrung brauchen. Manche entwickeln Pigmente und schützen die unter ihnen liegende Schichten vor zu starker Sonneneinstrahlung. Es gibt Bakterien, die die Photosynthese durchführen, während für andere Sauerstoff tödlich ist. All dies besteht unmittelbar nebeneinander auf wenigen Millimetern. Man kann sehen, wie gut diese Bakteriengesellschaften zusammenarbeiten“.

Von Katar zum Mars

In ihrer fossilen Form, den sogenannten Stromatolithen, sind Bakterienmatten der bisher einzig bekannte Nachweis für Leben vor rund 3,5 Milliarden Jahren auf unserem Planeten. Diesen Umstand nutzt der Schweizer Geomikrobiologe Tomaso Bontognali auf der Suche nach einstigen Lebensformen auf dem Mars. „Die Wissenschaft ist sich ziemlich sicher, dass es zur selben Zeit, also vor etwa 3,5 Milliarden Jahren, flüssiges Wasser auf dem Mars gab, das ähnliche Mikroorganismen enthalten haben könnte, wie man sie heute auf der Erde findet. Der endgültige Beweis steht allerdings noch aus“.

Der Experte vergleicht Stromatolithen aus Katar mit ähnlichen Gesteinsstrukturen, die bereits 2012 im Zuge der „Curiosity“-Mission auf unserem Nachbarplaneten fotografiert wurden. „Die Übereinstimmungen sind vielversprechend“, so Bontognali. „Findet der Marsrover bei der nächsten Mission ähnliche Strukturen, wird er gestoppt, um Probebohrungen durchzuführen.“