Schamane, Feuer, Sonnenuntergang, Berg
Enver Sengul – stock.adobe.com
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Gastbeitrag

Wiederkehr der Schamanen

Lange war es um den Schamanen still geworden, doch dann ist er leibhaftig auf dem Bildschirm gestanden: als Donald Trumps QAnon-Schamane bei der Erstürmung des Kapitols im Gefolge der US-Präsidentschaftswahl 2020. Auch Wladimir Putin soll sich vor der Invasion in der Ukraine bei einem Schamanen erkundigt haben. In einem Gastbeitrag skizziert der Ethnologe und Literaturwissenschaftler Ulrich van Loyen die Spannbreite schamanistischer (Selbst-)Entwürfe der Nachkriegszeit.

Dass die jeweils erwünschten Erfolge ausblieben, liegt vielleicht daran, dass Schamanismus sowohl in Amerika als auch in Russland ein Phänomen nicht einmal besonders quellentreuer „kultureller Aneignung“ ist. Schamanen, das lehrte die Ethnologin Ulla Johannsen, seien Residualformen von Staatsauguren und -weissagern dort, wo die Imperien zusammengebrochen sind.

Oft gehörte dieser Seher oder Heiler mit der Trommel, den deutsche Forscher zuerst im Sibirien des 19. Jahrhunderts entdeckt zu haben glaubten, zu kleinen Gesellschaften, deren Überlebensprinzip gerade in der Verweigerung jener Machttechniken (etwa der Schrift) besteht, die sie sonst in Konkurrenz zu den großen Anrainern bringen würden. Mittels Trance, die sich aufs Trommeln und auf andere Körpertechniken stützt, betreten Schamanen die Szene hinter der Wirklichkeit, wo sie mit der Essenz der Erscheinungen, den Seelen nämlich, interagieren. Sie befreien die Seelen aus ihren Verstrickungen, verhindern, dass sie von bösen Geistern befallen werden, und sorgen somit für persönliche Gesundheit wie für kollektive Psychohygiene. Dieses Wirken von Schamanen kann man heute noch bei den kleinen Gesellschaften des Himalaya untersuchen.

Eine erfundene Tradition

Andernorts ist es zerstört und wieder erfunden worden. Das gilt für Sibirien oder China, für die Mongolei und auch für das kulturhistorisch mit Sibirien verbundene nördliche Japan. Diese Zerstörung ist Teil der chinesischen und sowjetischen Imperialgeschichte: Schamanen wurden umgebracht, kamen in Lager, ihre Trommeln wurden zerbrochen. Die Faszinationsgeschichte des Schamanismus beginnt genau in jenem Moment, in dem kulturelle Formen von den jeweiligen Hegemonien geschleift werden und „der“ Schamane als dekontextualisierte, vor allem Trancetechniken repräsentierende Figur vorgestellt wird.

Ulrich Van Loyen
IFK

Über den Autor

Ulrich van Loyen ist Ethnologe und Literaturwissenschaftler und lehrt zur Zeit Medienwissenschaft an der Universität Siegen. Zuletzt erschien „Der Pate und sein Schatten. Die Literatur der Mafia“ (Berlin 2021).

Derzeit ist er Research Fellow am Internationalen Zentrum für Kulturwissenschaften (IFK) der Kunstuniversität Linz in Wien.

Vortrag

Van Loyen hält am 21. November 2022, 18:15 Uhr, am IFK einen Vortrag mit dem Titel „Schamanismus und die Kultur der Niederlage“, dieser findet hybrid statt.

Von Mircea Eliade bis Hans G. Findeisen und Ernesto de Martino wird in den 1940er und 1950er Jahren, oft unter Rückgriff auf Shirokogoroffs große Ethnographie des „Psychomental Complex of the Tungus“ (1935), dargelegt, was, vor allem aber: wer der Schamane ist. Eliade sah sein wichtigstes Charakteristikum im „magischen Flug“, De Martino in der Fähigkeit, im Zustand quasi reinen Erleidens die logischen Grundkategorien unseres Denkens auszubilden. In sämtlichen Fällen wurde der Schamane zum Inbegriff des Kulturhelden, in dem Buddha und Christus verschmolzen.

Dabei war gerade der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen. Und damit waren die imperialen Höhenflüge von Deutschland, Italien oder Japan eindrucksvoll gescheitert. Geblieben war indes die Schuld, mit unabsehbaren Ausmaßen. Eingespannt zwischen Größenwahn und herbeigebombter Steinzeit fanden sich auch die Künstler, die daraus eine „Kultur der Niederlage“ schufen. Joseph Beuys (1921-1986) etwa, dessen Inszenierung als Schamane mit dem Absturz und der Rettung durch die Krimtataren erklärt wird.

Höhenflug, Absturz, liminale Phase zwischen Leben und Tod: Aus diesen Elementen baut sich der Schamanismus der Kulturhelden der ehemaligen Achsenmächte. Sie beanspruchen eine höhere Berufung, gerade weil sie nahe am Untergang gewesen sind. Und schicken sich an – wie Beuys mit seiner Aktion „I like America and America likes me“ (1974), bei der er mit einem Kojoten, einem von indigenen Überlieferungen stark aufgeladenen Tier, in den Käfig steigt – aus dieser Position heraus anwaltschaftliche Positionen für andere Indigene zu übernehmen.

Teil der Nachkriegskultur

Das Phänomen bleibt keineswegs auf die Hochkultur beschränkt. In Deutschland betreibt man in der Nachkriegszeit Blackfacing und ernennt sich, nicht nur zu Karneval, zu „Eingeborenen von Trizonesien“. Auch das hat einen wahren Kern: Die primitivistische Anverwandlung tut einerseits so, als ob sie den fremden Blick der Besatzungsmächte ganz assimilierte, andererseits ist es auch eine Exkulpierungsstrategie angesichts der von Deutschen im Zweiten Weltkrieg begangenen Gräuel. Dass im Gefolge dessen „Hunnen“ und „Mongolen" und damit Schamanen in die deutsche Populärkultur drängen, spricht für komplexe Beziehungen zwischen Ent-Schuldung und neuer Selbstermächtigung.

Im Kalten Krieg, dem gegenseitigen Belauern in einer bipolaren Welt, wird der Schamane schließlich zu einer Figur, die gerade auf der Seite jener, die keinerlei politische Macht haben, für den Glauben an eine andere Zukunft sorgt. Schamanistisch ist die Reise zu sich selbst – man denke an C. Castanedas „Lehren des Don Juan“ (1968) – wie die in die Politik – und beides kann miteinander verschaltet werden (s. die Cover des Romans von Castaneda und Beuys’ „La rivoluzione siamo noi.“)

Jake Angeli, QAnon Shaman, Kapitol, Washington, D.C
STRMX/AP
Der mit seiner Büffelhornfellmütze beim Angriff auf das US-Kapitol im Jänner 2021 als „QAnon-Schamane“ bekannt gewordene Jacob Chansley wurde vergangenes Jahr zu knapp dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt

Das Raumausschreitende vor dem Zweiten Weltkrieg soll durch eine neue Standfestigkeit auf der Erde korrigiert werden – davon berichtet Martin Heideggers „Kehre“, aber auch das von Ernst Jünger geleitete Organ „Antaios“ (1959-1972), dessen erste Nummer indes mit der Reflexion auf schamanistische Praktiken anhebt. Vielleicht, so gilt es zu überprüfen, ist der Schamane auch deshalb die Referenz jener, die im Kalten Krieg nicht zerrieben werden wollen und auf beide Pole in Äquidistanz gehen, weil der Schamane eine ausgleichende, die Grenzen bewahrende Funktion ausübt: Er hält die Heere der Toten in Schach, die jeweils von einer Seite aus loszubrechen und neue Verwüstungen zu bringen drohen. Elias Canetti hat darüber in „Masse und Macht“ geschrieben.

Die Wiederkunft der Schamanen bei Trump und Putin ist so gelesen ein Zeichen der Drohung – wird das stehende Heer der Toten losgelassen? – wie auch eines der Krise – Schamanen sprechen für das, was vom Imperium lokal irgendwo übrig blieb. Auch wenn bei ihnen Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen – als Zeitzeichen ernst nehmen sollte man sie auf jeden Fall.