Kohlekraftwerk stößt Gase aus
AFP – PATRIK STOLLARZ
AFP – PATRIK STOLLARZ
Bericht

Aufholbedarf bei CO2-Entnahme aus Atmosphäre

Unentwegt wird klimaschädliches CO2 ausgestoßen und dadurch der Planet aufgeheizt. Zur Bekämpfung der Erderwärmung müssten neuartige Formen der CO2-Entnahme aus der Atmosphäre schnellstens weiterentwickelt werden. Denn der Aufholbedarf der Staatengemeinschaft ist enorm, wie ein aktueller Bericht zeigt.

Obwohl die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre unabdingbar für die Einhaltung der Pariser Ziele ist, sehen Staaten in ihren Klimaschutzplänen die Weiterentwicklung neuartiger Formen kaum bis gar nicht vor – das ist das Fazit des Berichts von Klimaforscherinnen und Klimaforschern aus Deutschland, Großbritannien und den USA, der am Donnerstag veröffentlicht wurde. Zwar werde auch heute schon CO2 aus der Atmosphäre entnommen, allerdings fast ausschließlich durch konventionelle Methoden wie Aufforstung.

Ohne neuartigen Methoden gehe es aber nicht, so die Einschätzung der Autorinnen und Autoren. Dazu gehören direkte CO2-Entnahme aus der Luft mit anschließender Speicherung (abgekürzt DAC) und Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (abgekürzt BECCS). Dabei wird – ganz grob gesagt – Energie aus Pflanzen gewonnen und das dabei entstehende CO2 anschließend gespeichert. Da die Pflanzen immer wieder nachwachsen, können sie auf diese Weise der Atmosphäre CO2 entziehen.

„Wir stehen fast noch bei null“

Aktuell werden mit den neuartigen Methoden dem Bericht zufolge aber nur 0,002 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) CO2 pro Jahr gebunden. Zur Erreichung der Klimaziele müsste bis 2030 30-mal so viel entnommen werden, bis Mitte des Jahrhunderts sogar 1.300-mal so viel. „Da stehen wir wirklich noch total am Anfang, wir stehen fast noch bei null“, so Mitautor Jan Minx vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).

Kohlekraftwerk in Bulgarien
AFP – NIKOLAY DOYCHINOV
Die CO2-Emmissionen sind weiter auf Rekordniveau

Zum Vergleich: Schätzungen zufolge betrug der globale CO2-Ausstoß im Jahr 2022 40,6 Gigatonnen. „CO2-Entnahmen sind eine Notwendigkeit. Sie werden nicht vom Himmel fallen, wir müssen uns darum kümmern“, so Minx in einem Onlinebriefing zu der wissenschaftlichen Bestandsaufnahme, inwieweit Methoden der Entnahme von klimaschädlichem CO2 aus der Atmosphäre bereits angewendet werden und wie sie genutzt werden müssten, um die internationalen Klimaziele zu erreichen.

Keine Alternative zu Klimaschutz

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen davor, die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre als Alternative zu ambitioniertem Klimaschutz zu sehen. Eine rasche und tiefgreifende Verringerung der Emissionen sei dringend notwendig. „Es geht nicht um Entweder-oder. Wir brauchen beides“, sagte Mitautor Oliver Geden von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik. In allen realistischen Szenarien, die zur Erreichung der Pariser Klimaziele vorlägen, sei die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre eingeplant. Hier klaffe jedoch eine große Lücke zwischen dem Ziel und dem aktuellen Stand dessen, was die Länder umsetzen oder konkret planen.

Die Weltgemeinschaft hatte in Paris im Jahr 2015 vereinbart, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau deutlich unter zwei Grad zu halten, möglichst aber bereits bei 1,5 Grad zu stoppen. Damit sollen die Überschreitung gefährlicher Kipppunkte mit unumkehrbaren Konsequenzen vermieden und die katastrophalsten Folgen des Klimawandels abgewendet werden. Dafür sind die bisher geplanten Maßnahmen der Staaten jedoch längst nicht ambitioniert genug.

Pläne fehlen komplett

Kein Land lege mit seinen nationalen Klimazielen einen Plan vor, wie neuartige Entnahmemethoden bis 2030 skaliert werden sollen, heißt es im Bericht. Selbst bei den langfristigeren Klimazielen bis 2050 werde das bisher kaum eingeplant. Gleichzeitig weisen die Forscherinnen und Forscher darauf hin, dass jedes Land und jedes Unternehmen, das sich ein Netto-null-Emissionsziel – allgemeinhin als Klimaneutralität bezeichnet – gesetzt habe, die Entnahme von CO2 bereits mit eingepreist habe. Denn es werde immer Restemissionen geben, die ausgeglichen werden müssen.

Politik und Wissenschaft müssen daher klären, welche Methoden sie zur CO2-Entnahme einsetzen wollen, in welchem Ausmaß diese genutzt werden und wer das bezahlen solle. „Wer darauf keine Antwort hat, dessen Netto-null-Ziel kann man eigentlich nicht richtig ernst nehmen“, so Experte Geden.

Thema ist kaum bekannt

Die kommenden Jahre sind laut den Autoren entscheidend dafür, neuartige Methoden zur CO2-Entnahme weiterzuentwickeln und politische Rahmenbedingungen für ihre Skalierung zu schaffen. Nur wenn das geschehe, sei es realistisch, dass sie wie benötigt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in großem Maßstab zum Einsatz kämen. Ob das geschehe, hänge auch von der öffentlichen Wahrnehmung des Themas ab, betonte Christine Merk vom Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, die den Bericht begutachtet hat.

Ausschlaggebend dafür sei auch, wer wie über das Thema diskutiere, etwa in der Politik. „Bislang wird das so wenig diskutiert, dass es in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist und nicht differenziert betrachtet wird.“ Tendenziell sei die Zustimmung zu konventionellen, natürlichen Methoden wie der Aufforstung höher als zu unbekannteren Entnahmemethoden. Doch die konventionellen Maßnahmen haben ihre Grenzen: So könnten steigende Temperaturen auch Bäumen zusetzen, das mache sie als verlässliche CO2-Speicher anfälliger, so Experte Geden.