Schlacht um Stalingrad auf TikTok, Ascan Breuer
Viktor Jaschke
Viktor Jaschke
Zeitgeschichte

Die Schlacht um Stalingrad auf TikTok

In diesen Tagen jährt sich das Ende der Schlacht von Stalingrad zum 80. Mal. Der in Wien lebende Filmemacher Ascan Breuer hat sich auf besondere Weise mit diesem zeitgeschichtlichen Thema auseinandergesetzt: Er verarbeitete die Feldpostbriefe seines Großvaters in Form von Kurzvideos, die er auf der Social-Media-Plattform TikTok veröffentlicht.

Knapp einhundert Briefe schreibt der Soldat Max Breuer von der Ostfront an seine Frau in Hamburg. Als er im Sommer 1942 einberufen wird, ist sie gerade hochschwanger mit dem zweiten gemeinsamen Kind. In seinen Briefen äußert Max Breuer sich durchaus kritisch über diesen Krieg, der so viel „Elend über die Menschheit bringt und noch bringen wird“.

Die Feldpost wurde offenbar nicht zensuriert. Der Soldat erzählt darin von der schlechten Behandlung jüdischer Zwangsarbeiter und anderen Verbrechen der Wehrmacht. So beschreibt er etwa, wie seine Kameraden aus dem Auto heraus auf die Hühner der Russen schießen und meint dazu: „Ich verstehe jetzt, warum man die Deutschen als Barbaren bezeichnet.“

Die „alte Nazi-Geschichte“

Der Enkel, Ascan Breuer, ist Filmemacher und lebt in Wien. Den Großvater kennt er nur durch diese Briefe. Eigentlich wurde in seiner Familie wenig darüber gesprochen, erzählt Breuer. Auch er selbst hatte viele Jahre Berührungsängste mit der „alten Nazi-Geschichte“. Irgendwann hat er die alten Feldpostbriefe doch herausgekramt: „Und ich war als Filmemacher überrascht über diese Story, die dort erzählt wird und auch über den Charakter meines Großvaters, der in den Briefen deutlich wird.“ Seinen Vorfahren beschreibt er als „einfachen kleinen Schlawiner, der versucht hat, sich zu drücken, wo es nur geht.“

Zunächst veröffentlichte Ascan Breuer die Briefe in Textform auf Facebook und als E-Book. 2018 und 2019 ging er schließlich selbst auf Spurensuche in Russland und fuhr die gesamte Marschroute des Großvaters nach. Von Belarus bis Stalingrad, dem heutigen Wolgograd, tausende Kilometer quer durch die russische Steppe. Er filmte die Schauplätze und sprach mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus der jüdischen Gemeinde.

Daraus entstand die Doku-Webserie „Starless in Stalingrad“. Die hochformatigen Kurzvideos verbinden die Bilder von heute mit Texten von damals. „Die gesamte Webserie funktioniert auch dahingehend, dass sie so etwas skizzenhaftes hat“, sagt Ascan Breuer. Der Großvater springt in seinen langen Briefen von einem Thema zum anderen. Und doch werde darin eine Geschichte erzählt: „Man reist eine gewisse Strecke entlang und jeder weiß, wir reisen einer Katastrophe entgegen.“

Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung

Die Katastrophe passiert dann Ende Jänner, Anfang Februar 1943. Die 6. Armee der Wehrmacht, darunter zigtausende Österreicher, wird bei Stalingrad von der roten Armee eingekesselt. Die Öffentlichkeit in Deutschland und Österreich erfährt offiziell lange Zeit nichts davon. Doch der Soldat Max Breuer berichtet seiner Frau über die schwierige Lage. Denn die Feldpost der Wehrmacht funktioniert auch aus dem Kessel heraus, berichtet Ascan Breuer. Mit Hilfe einer Luftbrücke wurde versucht, Nahrungsmittel für die Soldaten in den Kessel zu bringen.

Schlacht um Stalingrad auf TikTok, Ascan Breuer
Viktor Jaschke
Der Filmemacher Ascan Breuer auf seiner Reise durch Russland

Am Rückweg wurde die Feldpost mitgenommen: „Er schrieb fast täglich Briefe aus dem Kessel heraus. Sie hungerten. Aber er versuchte auch, meine Großmutter zu beruhigen: Na, es wird schon irgendwie, wir werden da schon wieder rauskommen.“ Diese Hoffnung erfüllt sich nicht. Was auch der Soldat Max Breuer nicht weiß: Das Oberkommando in Berlin hatte die eingekesselten Soldaten längst aufgegeben. Am 2. Februar 1943 kapituliert ein Großteil der deutschen Wehrmacht im Kessel von Stalingrad.

Max Breuer wird sein zweites Kind – den Vater des Filmemachers – niemals zu Gesicht bekommen. Seine Spuren verlieren sich im März 1943 in einem russischen Kriegsgefangenenlager. Mit seiner Geschichtsaufarbeitung im TikTok-Format möchte Ascan Breuer auch einen Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung leisten. Denn obwohl Österreicher – und insbesondere Wiener – einen großen Anteil der 6. Armee stellten, sei das Ganze in Österreich kaum Thema, so Breuer: „Aber es gibt sehr viele Nachkommen, die das als Mangel betrachten, die eigentlich viele Fragen haben.“