Martin Hetzer, neuer Präsident des Institute of Science and Technology (ISTA), am Dienstag, 14. Februar 2023, im Rahmen eines PressegesprŠchs in Klosterneuburg.
APA/KLAUS TITZER
APA/KLAUS TITZER
ISTA-Chef Hetzer

„Ich will ein Netzwerk ohne Grenzen“

Der neue Präsident des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) heißt Martin Hetzer. Gestern hat der Molekularbiologe seine Vision für das österreichische Forschungsinstitut vorgestellt: Wissenschaft als kollektive Grenzüberschreitung.

Die Expansion geht auch in der Ära Martin Hetzer weiter. Derzeit arbeiten 75 naturwissenschaftlich orientierte Forschungsgruppen am ISTA in Klosterneuburg, 2036 werden es mit 150 doppelt so viele sein. Soweit lässt sich die Entwicklung des Instituts – nicht zuletzt aufgrund der langfristigen Budgetzusagen von Land und Bund – vorhersehen.

Wohin es inhaltlich gehen wird, könne er indes nur skizzieren – das liege aber in der Natur der Sache, betonte ISTA-Präsident Hetzer gestern bei einer Pressekonferenz. Schließlich handle es sich bei Wissenschaft um eine Reise ins Ungewisse. Eine Orientierungsmarke bot er Medienvertretern dennoch: Am ISTA wolle man sich auf Spitzenninveau konsolidieren und etwa mit Traditionsunis wie Oxford und Cambridge in Konkurrenz treten, sagte der aus Wien stammende Gesundheitsforscher und ehemalige Forschungsmanager am kalifornischen Salk-Institute.

Darüber hinaus sehe er vor allem in der Zone zwischen den Disziplinen ein Terrain, wo Neues zu finden ist und zukünftig Durchbrüche gelingen werden. Wie das in der Praxis aussiehen könnte und warum Klosterneuburg Kalifornien gar nicht so unähnlich ist, erklärt Hetzer im ORF-Interview.

Herr Hetzer, was werden Sie als neuer ISTA-Präsident anders machen als ihr Vorgänger Thomas Henzinger?

Martin Hetzer: Ich möchte Tom Henzinger zunächst meine Anerkennung aussprechen, dass er das Institut von Nichts auf diese Größe entwickelt und zu einem Erfolg gemacht hat. Ganz zu Beginn war das ISTA ein akademisches Start-Up, nun gilt es auf dem Bestehenden aufzubauen: Meine Vision ist es, ein Wissenschaftsnetzwerk herzustellen, in dem sich Forscher und Forscherinnen frei bewegen können – und nicht durch einzelne Disziplinen eingeengt werden. Wenn man Wissenschaft betreibt, ist das immer eine Reise ins Unbekannte. Hier ist das fächerübergreifende Forschen oft der Schlüssel. Ermöglicht wird dieses Übergreifen häufig durch neue Technologie – und das ist der zweite Punkt, der mir sehr wichtig ist: das „T“ in ISTA. Ich will Technologen hier ans Institut holen, die uns neue Welten eröffnen können.

Konkret gesprochen: Welche Disziplinen könnten sich am ISTA nun treffen und was würden sie tun?

Hetzer: Nehmen wir zum Beispiel die Materialforschung. Neue Materialien weisen oft völlig unerwartete Eigenschaften auf, die etwa für das Beherrschen von Quanten wichtig sind. Neue Materialien sind also geeignet, um sich dem Quantencomputer anzunähern. Ein anderes Beispiel: das James-Webb-Teleskop und die Suche nach fernen Galaxien. Um bestimmte Formen von Galaxien in diesen sehr datenreichen Bildern zu finden, verwenden Wissenschaftler Methoden aus der Künstlichen Intelligenz. Das Machine Learning hat diesen Bereich wirklich transformiert – und es stellt sich heraus: Einige dieser Methoden kann man auch verwenden, um Strukturen von Molekülen zu studieren oder zu entdecken. Obwohl wir hier von völlig unterschiedlichen Größenordnungen sprechen, von Molekülen im Nanometer-Bereich und Lichtjahre großen Galaxien, können sich diese Bereiche gegenseitig befruchten.

Martin Hetzer, neuer Präsident des Institute of Science and Technology (ISTA), am Dienstag, 14. Februar 2023, im Rahmen eines Pressegesprächs in Klosterneuburg.
APA/KLAUS TITZER
ISTA-Präsident Hetzer erläutert seine Vision

Das ISTA hat seit seiner Gründung sein naturwissenschaftliches Portfolio stark erweitert, neu hinzugekommen sind etwa Umweltforschung und Astrophysik. Gibt es Pläne, auch Sozial- und Geisteswissenschaften hier anzusiedeln?

Hetzer: Für die nächste Phase stellt sich diese Frage nicht, wir werden mit Mathematik und Naturwissenschaften genug zu tun haben, um uns hier langfristig an der Spitze zu positionieren. Für die ferne Zukunft schließe ich aber nichts aus. Das wäre dann natürlich von anderen Präsidentinnen oder Präsidenten zu entscheiden. Wohin die Reise in der Naturwissenschaft gehen wird, kann ich noch nicht genau sagen, weil es davon abhängt, wen wir rekrutieren können. Das bisherige Prinzip, die besten Forscher und Forscherinnen zu holen – unabhängig vom Fach – bleibt natürlich bestehen. Mir wird es jedenfalls wichtig sein, dass wir bei der Rekrutierung Brücken bauen, also das Zusammenarbeiten über Fachgrenzen hinaus. Das ist oft auch eine Frage der Persönlichkeit. Expertise in einem Fach ist die Voraussetzung, aber es braucht auch Offenheit, mit jemandem aus einem ganz anderen Fach zu sprechen.

Wie Gaia Novarino, ISTA-Vizepräsidentin für Science Education, betont hat, wird es künftig am Institut auch einen Schwerpunkt Wissenschaftsvermittlung geben. Da würden Sozialwissenschaftler jedenfalls nicht schaden.

Hetzer: Wir werden Journalistinnen und Künstlern die Möglichkeit geben, sich hier ein halbes Jahr aufzuhalten und mit Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten. Ich hoffe, dass durch dieses Residence-Programm erreicht werden kann, was Sie gerade angesprochen haben, nämlich Menschen unzugängliche wissenschaftliche Inhalte näherbringen zu können, etwa durch Journalismus, aber auch durch Kunst. Gerade die Kunst hat ja mit der Wissenschaft vieles gemeinsam. Es geht darum, Fragen zu stellen, Dinge in Frage zu stellen.

Sie haben am Salk-Institute in Kalifornien 19 Jahre als Molekularbiologe geforscht, in jüngerer Zeit waren Sie dort auch als Forschungsmanager tätig. Das direkt am Pazifik gelegene Forschungsinstitut gilt selbst für US-amerikanische Verhältnisse als besonders feine Wissenschaftsadresse: Was herrscht dort für eine Mentalität?

Hetzer: Was mich fasziniert und sehr geprägt hat, war diese Offenheit Neuem gegenüber. Das äußert sich so: Wenn man mit einer Kollegin oder einem Kollegen über eine neue Idee spricht, dann ist sofort die Bereitschaft da, sich darüber zu unterhalten. Man denkt nicht an die hundert Gründe, warum so etwas nicht gehen kann. Diese Risikobereitschaft etwas Ungewisses zu wagen, impliziert auch, dass man scheitern kann. Das Scheitern wird hier allerdings nicht als Nachteil gesehen, sondern als notwendiger Schritt, um wieder etwas Neues zu probieren. Diese Haltung hat mich wie gesagt sehr geprägt und das werde ich wahrscheinlich nie wieder ablegen.

Man könnte sagen: Sie bringen nun einen Hauch von Pazifik in den Wienerwald.

Hetzer: Mit dieser Formulierung bin ich durchaus einverstanden [lacht] – muss aber auch sagen, dass ich hier am ISTA sehr viel von diesem Pioniergeist vorfinde. Für mich fühlt sich das Institut erstaunlicherweise sehr vertraut an, obwohl wir keinen Blick auf den Ozean haben und sicher auch weniger Sonnentage als in Kalifornien.

Campus des Institute of Science and Technology Austria (ISTA)
APA/HERBERT PFARRHOFER
ISTA-Campus: Die Expansion wird fortgesetzt

Lassen Sie uns über die vorhin erwähnte Künstliche Intelligenz und über den Chatbot ChatGPT sprechen, der in den letzten Wochen für Schlagzeilen gesorgt hat. Es ist vermutlich nicht übertrieben zu sagen, dass wir uns mitten in einer Revolution befinden. Eine Revolution, die in erster Linie von den USA ausgeht. Nummer zwei in diesem Feld sind die Chinesen. Wo ist Europa?

Hetzer: Der Bereich der Künstlichen Intelligenz entwickelt sich derzeit so schnell, dass das, was man heute sagt, in zwei Wochen nicht mehr stimmen muss. Ich kenne natürlich einige Zentren in Europa, wo die von Ihnen genannten Player ebenfalls vertreten sind. Hier am Institut sind wir jedenfalls sehr gut aufgestellt, die Computerwissenschaft ist ohnehin stark vertreten, und wir haben auch einige Professoren, die sich mit Künstlicher Intelligenz auseinandersetzen. Etwa mit der Frage: Bis zu welchem Grad können wir Künstlicher Intelligenz vertrauen? Jeder, der sich mit ChatGPT beschäftigt, weiß natürlich: Da kann auch schnell sehr viel Unfug herauskommen. Wir stecken immer noch in einer Periode, wo wir es mit „idiot savants“, mit Idiotengenies zu tun haben. Also Künstlicher Intelligenz, die einen Bereich enorm beeindruckend bewältigen kann, etwa Go oder Schach – aber in anderen Bereichen gar nichts Sinnvolles zustandebringt.

In Deutschland wurde etwa kürzlich die Initiative „Large European AI Models“ vorgestellt“, die europäischen Unternehmen KI-Rechner zur Verfügung stellen soll. Aber wenn man den Etat mit jenem von Google, OpenAI und anderen Firmen in den USA vergleicht, ist das wie David gegen Goliath. Hat Europa die Revolution verschlafen?

Hetzer: Unterstützung und Anreize finanzieller Art sind natürlich wichtig. Aber ich treffe häufig Kollegen, die sich mit diesem Thema akademisch auseinandersetzen, obwohl sie bei den erwähnten Playern ein Vielfaches verdienen könnten. Weil sie von den Möglichkeiten und Herausforderungen auf diesem Gebiet so fasziniert sind, dass sie eben doch bei der akademischen Forschung bleiben. Und hier haben wir meiner Ansicht nach in Europa enormes Potenzial.

Kommen wir noch kurz zu Ihrer Forschung im Bereich Molekularbiologie der Alterung. Ist Ihre Forschungsgruppe vom Salk-Institute ebenfalls nach Klosterneuburg übersiedelt?

Hetzer: Teilweise, es ist doch eine weite Reise. Ich bin sehr froh, dass ich fünf Mitarbeiter überzeugen konnte, mitzukommen.

Wie werden sie den Job am ISTA in Zukunft anlegen: Wird sich der Forscher oder der Forschungsmanager Martin Hetzer durchsetzen?

Hetzer: Auf dem Papier könnte man es vermutlich prozentuell ausdrücken, aber so denke ich nicht. Mir ist wichtig zu sagen, dass das ein Modell ist, das international durchaus sehr erfolgreich durchgeführt wurde. An vielen Universitäten und Forschungszentren gibt es Präsidenten und Präsidentinnen, die weiter ihre eigene Forschung betreiben. Ich sehe da keinen Widerspruch. Es ist sogar ein Vorteil: Denn alle administrativen Entscheidungen treffen auch mich. Das hält mich verankert in der Realität.