Der Schattenriss einer Frau im Gegenlicht in einem dunklen Gang
APA/ROLAND SCHLAGER
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Jugendliche

Mobbing erhöht Depressionsrisiko

Mobbing wird für Kinder und Jugendliche zunehmend zum Problem. Besonders Anfeindungen der sexuellen Identität erhöhen die Wahrscheinlichkeit von depressivem Verhalten und von Suizidversuchen: Dieses Ergebnis einer neuen US-Studie kann auch ein Wiener Jugendpsychiater nachvollziehen – mehr Hilfsangebote seien vonnöten.

Fast täglich hat der Wiener Kinder- und Jugendpsychiater Helmut Krönke in seiner Praxis mit Opfern von Mobbing-Attacken zu tun. Was für die einen vielleicht nur ein kleiner Spaß oder Hänseleien sind, kann bei den Betroffenen nachhaltige Folgen haben. „Manche stecken die Angriffe ganz gut weg, bei anderen können sie aber auch zu chronischen Angststörungen führen, die im schlimmsten Fall sogar in einer Depression oder suizidalem Verhalten enden können“, erklärt Krönke gegenüber science.ORF.at. Die Zahl der Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen sei in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.

Gemeinheiten per Mausklick

Mit der zunehmenden Digitalisierung der Jugend hat sich auch die Art des Mobbings verändert. Zu Prügeleien am Schulhof kommt es immer seltener, dafür steigt aber die Zahl der Gemeinheiten im Internet. In der Coronavirus-Pandemie wurde das Problem noch schlimmer, meint Krönke, der anhand seiner langjährigen klinischen Erfahrung erklärt: „Vor allem in Zeiten der Lockdowns und des digitalen Unterrichts sind die Fälle von Cybermobbing wirklich durch die Decke geschossen.“

Eine Untersuchung der EU-Initiative Saferinternet.at aus dem vergangenen Jahr hat etwa ergeben, dass 17 Prozent aller heimischen Jugendlichen Cybermobbing schon am eigenen Leib erlebt haben. Knapp die Hälfte der Befragten gab zudem an, dass sich die Situation während der Pandemie verschlimmert hat.

Online-Täter fühlen sich sicherer

Dass Anfeindungen im Internet häufiger werden, überrascht Krönke nicht. Immerhin biete Cybermobbing den Tätern eine ideale Möglichkeit, Anfeindungen auch anonym loszuwerden. „Das gibt ihnen oft ein gewisses Gefühl der Sicherheit“, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater. Vor allem auf sozialen Netzwerken und Plattformen wie TikTok sei das ein wachsendes Problem, dem die Betroffenen oft nicht ohne Hilfe entkommen können.

Außerdem ist Cybermobbing im schulischen Umfeld oft auch sehr unterschwellig – solange die Opfer nicht konkret um Hilfe bitten, kann es sein, dass Eltern oder Lehrer die Attacken lange Zeit nicht bemerken. „Als Erwachsene haben wir keinen wirklichen Zugang zu dem digitalen Umfeld, in dem sich unsere Kinder täglich aufhalten, und in den meisten Fällen interessieren wir uns auch relativ wenig dafür“, sagt Krönke.

Unterschiedliche Motive …

Warum jemand zum Opfer von Mobbing-Attacken wird, kann verschiedene Gründe haben. Die Herkunft und der kulturelle Hintergrund stehen in Österreich aber oft im Zentrum der Anfeindungen, so Krönke. Immer öfter beschäftigt sich der Kinder- und Jugendpsychiater in seiner Praxis aber auch mit Jugendlichen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Genderidentität gemobbt werden. „Die Zahl dieser Patientinnen und Patienten ist in den letzten Jahren klar angestiegen“, erklärt er.

… und unterschiedliche Folgen

So verschieden die Gründe für die Anfeindungen sind, so verschieden sind oft auch die Auswirkungen auf die Opfer. Solange das Mobbing auf eher oberflächlicher Ebene stattfindet, können die Betroffenen oft gut damit umgehen. Sobald es aber um sehr persönliche Bereiche wie die eigene Sexualität oder die Hautfarbe geht, können die Gemeinheiten tiefere Spuren hinterlassen. „Diese konsequente Erniedrigung des Selbstwerts, dieses konsequente Ausgrenzen, weil jemand anders ist, ist in vielen Fällen ein großes Problem“, so Krönke.

Davon zeugt auch eine aktuelle Untersuchung aus den USA, die derzeit im Fachjournal „PLOS One“ präsentiert wird. Forscherinnen und Forscher haben darin Daten von über 70.000 US-amerikanischen Jugendlichen untersucht, um herauszufinden, wie sich verschiedene Arten des Mobbings auf die Opfer auswirken. Anfeindungen aufgrund der eigenen Religion führten laut der Umfrage kaum zu anhaltenden Gefühlen der Traurigkeit oder Hoffnungslosigkeit. Anders sah es hingegen bei den Jugendlichen aus, die aufgrund ihrer Genderidentität gemobbt wurden. Bei dieser Gruppe sahen die Forscherinnen und Forscher einen klaren Zusammenhang zwischen den Anfeindungen, depressivem Verhalten und zum Teil auch Suizidversuchen.

Krönke kann die Ergebnisse der US-amerikanischen Untersuchung gut nachvollziehen. „Religion ist für Kinder und Jugendliche oft kaum ein wichtiges Thema, ihre sexuelle Identität und Orientierung aber sehr wohl“, erklärt er.

Leistbare Hilfe notwendig

Um die Situation in Österreich nachhaltig zu bessern, seien verschiedene Maßnahmen nötig. Ein großer Schritt in die richtige Richtung wäre etwa, dass die psychologische Behandlung von Mobbing-Opfern von den Krankenkassen übernommen wird. „Professionelle Hilfe in dem Bereich muss auch leistbar sein“, so Krönke. Das würde auch dazu führen, dass Betroffene nicht monatelang auf einen Termin warten müssen.

Der Kinder- und Jugendpsychiater wünscht sich aber auch, dass Schulen noch besser über die Gefahren von Mobbing aufklären. Außerdem regt er Eltern dazu an, sich aktiver mit den Interessen ihrer Kinder und den derzeit aktuellen Online-Plattformen zu beschäftigen.

“Auf Täter nicht vergessen“

Den Opfern von Mobbing-Attacken rät Krönke, bei Freunden, Eltern oder auch Psychologen um konkrete Unterstützung zu bitten. „Die Kinder und Jugendlichen fragen oft erst dann um Hilfe, wenn das Mobbing schon nachhaltige Schäden angerichtet hat“, erklärt er. Ein rechtzeitiges Erkennen des Problems könnte schlimmeren Folgen jedoch vorbeugen. Auch die Beobachter von Mobbing-Angriffen sollten daher aktiv gegen die Anfeindungen vorgehen.

Genauso wichtig ist es laut Krönke aber, mit den Tätern ins Gespräch zu kommen. „Wir dürfen uns nicht nur auf die Opfer konzentrieren, mit den Tätern muss letzten Endes auch gearbeitet werden. Das sind in der Regel auch Personen, denen es nicht besonders gut geht“, erklärt er.