Ein Pärchen steht Stirn-an-Stirn auf einem Flughafen
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Liebe

Auch Distanzprofis litten in der Pandemie

Die Coronavirus-Pandemie ist auch ein Härtetest für Beziehungen gewesen. Fernbeziehungen waren ein Spezialfall – sie waren räumliche Trennungen zwar gewohnt, Reiseverbote brachten ihre üblichen Wiedersehensrituale aber durcheinander. Auch die „Distanzprofis“ litten unter der Pandemie, sagen nun Fachleute – und geben Tipps für ein (noch) besseres Gelingen.

Vier Wände, drei Kinder und zwei Partner, die oft gestresst sind – eingespannt zwischen Homeoffice, Haushalt und Erziehung: Solche Alltagsszenen haben sich Paare in Fernbeziehungen erspart. Dafür waren sie in der Pandemie anders gefordert. Reisebeschränkungen, Quarantäne und Lockdowns veränderten ihren üblichen Rhythmus, sich wiederzusehen – der üblicherweise alle paar Wochen oder Monate beträgt, wie die Soziologin Marie-Kristin Döbler von den Universitäten Erlangen und Tübingen weiß.

Sie hat schon vor der Pandemie zur „Nicht-Präsenz in Paarbeziehungen“ publiziert, ihr Urteil nach drei Jahren Corona fällt ambivalent aus: „Auf der einen Seite waren Fernbeziehungen im Vorteil, weil sie bestimmte Mechanismen der Distanzüberbrückung schon praktiziert hatten – und somit auf Ressourcen zurückgreifen konnten, die es ihnen erleichtert haben, Nähe trotz räumlicher Distanz herzustellen. Andererseits hatten sie damit zu kämpfen, dass sie nicht wussten, wann sie sich das nächste Mal sehen.“

Beziehung unter dem Vergrößerungsglas

Speziell für internationale Paare stieg laut Soziologin Döbler mit den stets wechselnden und landesabhängigen Einreise- und Quarantänebedingungen die Unsicherheit. „Wir sprechen hier nicht nur von einigen Wochen, sondern von mehreren Monaten oder vielleicht von mehr als einem Jahr.“ Eine Unsicherheit, die für viele Paare eine zusätzliche Belastung während der Lockdowns darstellte und bis zur Trennung führen konnte.

Um Trennungen zu verhindern, suchten einige der Betroffenen Hilfe in der Paartherapie. „Diese Paaren berichteten oft von Gefühlen des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht gegenüber von außen kommenden Verboten, einander zu besuchen,“ erzählt Roland Bösel, mit seiner Frau Sabine Bösel Teil eines Psychotherapeuten-Paars in Wien. Generell habe die Coronakrise Beziehungen unter ein Vergrößerungsglas gehalten. „Paare mit weniger Zusammenhalt haben diese unangenehmen Gefühle, wie Machtlosigkeit gegen limitierende Umstände, in ihre Beziehung hineingetragen und sich zerstritten. Andere Paare hat der gemeinsame Unmut über die Beschränkungen noch mehr zusammengeschweißt.“

Mehr als die Hälfte war schon in Fernbeziehung

Die genaue Zahl von Fernbeziehungen anzugeben, ist – schon dank unscharfer Definition – gar nicht so einfach. Laut einer Studie von 2013 führten in den USA fünf Prozent aller Ehen eine Beziehung auf Distanz – und fast die Hälfte der Studierenden. Laut einer Studie der Online-Partnervermittlung Parship in Deutschland waren 60 Prozent der Befragten zumindest schon einmal in einer Fernbeziehung, die Zahlen für Österreich dürften ähnlich sein. Dennoch werden räumlich getrennte Beziehungen noch immer häufig mit Zweifel betrachtet. „Fernbeziehungen sind seit Jahren unerforscht. Einer der Gründe dafür ist, dass die Öffentlichkeit glaubt, sie seien selten und nicht normal,“ heißt es in der US-Studie von 2013.

Diese gesellschaftlichen Zweifel zeigten sich auch in Ergebnissen einer Studie zu Fern-Ehen von 2017. Rund zwei Drittel der fast 100 Teilnehmenden fühlten sich für ihren Lebensstil verurteilt, vor allem von Familienmitgliedern. „Wir gehen davon aus, dass Liebespaare Nähe suchen. Wenn nicht Nähe, sondern Distanz gesucht wird, nehmen wir an, dass auf emotionaler Ebene irgendetwas nicht stimmen kann,“ sagt die Soziologin Döbler. Sie spricht von einem Lebensstil, der typische Erwartungshaltungen von funktionierenden Beziehungen bricht.

Zwei junge Frauen sprechen miteinander auf der Straße
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Wenig Alltag, mehr Sehnsucht

Dabei wird diese Beziehungsform häufiger – nicht zuletzt durch die höhere Mobilität am Arbeitsmarkt, speziell von Frauen. Zwar auf nach wie vor niedrigerem Niveau als Männer verlassen sie doch auch zunehmend ihren Wohn- oder Ausbildungsort, um anderswo Karriere zu machen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit von Fernbeziehungen. Und die haben einige Vorteile, wie die Paartherapeutin Sabine Bösel sagt: „Bei Fernbeziehungen fällt das tägliche Einerlei weg. Man geht einander nicht im Alltag auf die Nerven und erspart sich damit meist die Konflikte vom Typ ‚immer lässt du deine Sachen herumliegen‘.“

Partner und Ko-Paartherapeut Roland Bösel ergänzt aber auch Nachteile der Beziehungsform: „Mit dem Fehlen des Alltäglichen fehlen auch die üblichen Momente, die daran erinnern, dass man ein Paar ist. Es fehlen diese Reminder, wie am Weg ins Bad kurz im Arbeitszimmer des Partners, der Partnerin vorbeizuschauen auf eine kurze Berührung. Nachrichten am Handy zu schicken, ersetzt den persönlichen Kontakt nur lückenhaft. Und die Spontaneität bleibt generell auf der Strecke.“ Paare in Fernbeziehung würden sich dafür oft rigoroser um „exklusive Paarzeit“ kümmern, versuchen also die gemeinsame Zeit besonders zu genießen.

Bewusstere Kommunikation

In der Pandemie wurde dieser Versuch für viele durch Reisebeschränkungen erschwert – und das hat Unsicherheit gefördert. Dieses Gefühl kann es zwar in jeder Beziehung geben, in Entfernung ist es aber noch schwieriger zu „managen“. Als Gegenmittel empfiehlt die Soziologin Marie-Kristin Döbler möglichst gute Kommunikation – auch über die eigenen Unsicherheiten.

Laut der Expertin reden Paare in Fernbeziehungen verstärkt über alltägliche Dinge, diese aktive Einbeziehung des Partners bzw. der Partnerin könne Fernbeziehungen zu einem großen Gewinn machen. Dem gibt eine Studie der Universität Denver recht, der zufolge Personen in Fernbeziehungen zufriedener waren als andere Paare und sich auch seltener „gefangen“ in der Beziehung fühlten.

Vor- und Nachteile der digitalen Kommunikation

Eine wichtige Rolle für eine bewusste Kommunikation spielen die Kommunikationsmittel. In der Pandemie haben sich die Möglichkeiten von Skype, Zoom und Co. über die Fernbeziehungen hinaus in weiten Teilen der Bevölkerung verbreitet. „Wichtig speziell bei Fernbeziehungen ist es, über Medien kommunizieren zu können, mit Nachrichten, Videokonferenzen etc. Es muss einem liegen und reichen, wenn’s funktionieren soll," sagt Sabine Bösel. Das zeigen auch die Ergebnisse der bereits genannten Studie zu Fern-Ehen. Mehr als 75 Prozent der Teilnehmenden hatten angegeben, dass Kommunikation über technische Medien die Absprache und Arbeitsteilung im Alltag vereinfachte.

“So besteht die Möglichkeit, dass wir durch Medien, Telefone oder Videotelefonie die räumliche Entfernung überbrücken können. Wir fühlen uns näher, und Fernbeziehungen verlieren dadurch ein bisschen ihren Schrecken oder ihre Herausforderung,“ ergänzt die Soziologin Marie-Kristin Döbler. Für jeden und jede sei das freilich nicht. In Interviews mit Betroffenen schon vor Corona habe sie auch Paare erlebt, die mit Bildtelefonie und dergleichen gar nichts anzufangen wissen. „Ihnen fällt besonders auf, dass die Technik zwar vieles ermöglicht, aber nicht alles – etwa keinen physischen Kontakt, keine Umarmung. Und weil sie große Sehnsucht danach haben, lehnen sie das dann komplett ab.“

Für viele andere Fernbeziehungen sind technischer Fortschritt und soziale Medien hingegen ein Segen, sagt die Expertin – verweist aber auch auf die Sinnhaftigkeit von Spielregeln und das rechte Maß, sie einzusetzen. Denn Paare können durch die Omnipräsenz von Mobiltelefonen etc. zwar spontan reden, ein allzu großer Drang, sich ständig mitteilen zu müssen, wo und mit wem man sich gerade aufhält, könne das Freiheitsgefühl des oder der anderen aber auch begrenzen. „Paare haben deshalb etwa bestimmte Telefonzeiten eingeführt, in denen sie erreichbar sind und miteinander in Austausch treten.“

Beziehung: Frau und Mann sitzen auf dem Sofa
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Schwerer wieder beisammen

Zu einer Herausforderung für Fernbeziehungen kann auch das Wiedersehen nach langer Trennung führen. Die Sehnsucht sowie idealisierte Erwartungen können die gemeinsame Zeit laut einer 2016 veröffentlichten Studie negativ beeinflussen. Döbler stimmt dem zu: „Zu den größten Herausforderungen gehört das Wiederzusammenkommen, die Aushandlung von persönlichen Freiräumen und Distanzen in Nähephasen.“

Diese Eingewöhnung an die Partnerin oder den Partner spielt auch eine wichtige Rolle beim Zusammenziehen von Paaren, die davor räumlich getrennt waren. Forschende der Ohio State University haben herausgefunden, dass sich rund ein Drittel innerhalb der ersten drei Monate nach dem gemeinsamen Einzug trennt. Gründe für die Trennungen waren erschwertes Zeitmanagement, Konflikte und erhöhte Eifersucht. Die Paare gaben weiters an, nach dem Zusammenzug manche Aspekte der Fernbeziehung zu vermissen.

Beziehungstherapeut Roland Bösel ergänzt: „Menschen in Fernbeziehungen sind unserer Erfahrung nach oft auch solche, die in engen Beziehungen große Verletzungen erlitten haben und im Schutze der Entfernung wieder ein Stück Vertrauen aufbauen möchten. Das funktioniert auch oft ganz gut. Wer dann aber zusammenzieht, den oder die holt mitunter wieder das alte Gefühl ein, Nähe sei gefährlich und würde einen verschlingen.“

Beziehungstipps der Fachleute

„Fernbeziehungen speisen die Sehnsucht, man hat Gelegenheit, sich auf den Partner, die Partnerin zu freuen,“ so das Fazit der Beziehungstherapeutin Sabine Bösel. Was das Wichtigste ist, damit sie funktionieren? „Ähnlich wie bei allen Beziehungen – erstens: sich seiner selbst bewusst sein, seine eigenen Stärken und Ängste kennen und alles, worin wir es dem Partner, der Partnerin schwer machen. Zweitens: wissen und vertreten, was einem selbst in einer Beziehung wichtig ist. Drittens: bereit sein, den anderen zu hören, willens sein, dem anderen entgegenzukommen“, sagt Roland Bösel.

Die Soziologin Marie-Kristin Döbler ergänzt: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass man an Fernbeziehungen nur viel deutlicher sieht, was man eigentlich allen Paaren raten sollte: im Austausch miteinander zu bleiben, am Leben des anderen teilzuhaben und Dinge nicht unbedingt für selbstverständlich zu nehmen.“