Frau in Gefängnis steht am Fenster, mit den Händen am Fenster
APA/dpa/Felix Kästle
APA/dpa/Felix Kästle
Psychologie

Alleinsein kann so müde machen wie Hunger

Soziale Isolation kann ähnlich müde machen wie Nahrungsentzug. Das zeigt eine Untersuchung von Wiener Psychologinnen und Psychologen, die auch Daten vom ersten CoV-Lockdown in Österreich und Italien berücksichtigten.

Im Fachjournal „Psychological Science“ interpretieren sie die Beobachtung als Folge eines aus den Fugen geratenen Grundbedürfnisses, unter dem manche Menschen stark leiden.

Weniger Energie, mehr Müdigkeit

Einerseits untersuchte das Team um Giorgia Silani von der Fakultät für Psychologie der Universität Wien die Reaktionen und Wahrnehmungen von 30 Teilnehmerinnen an einem Laborexperiment unter verschiedenen Isolationsbedingungen. Diese verbrachten an drei Tagen je acht Stunden im Labor. Die Zeitspanne verging entweder mit sozialen Kontakten und Essen, oder mit Gesprächen und ohne Nahrungszufuhr, oder, in der dritten Bedingung, ohne Sozialkontakte, aber mit Verpflegung. Im Tagesverlauf gaben die Teilnehmerinnen mehrfach Auskunft über ihr Stressempfinden sowie ihre Stimmung und die wahrgenommene Müdigkeit. Ebenso protokolliert wurden u. a. der Spiegel des Stresshormons Cortisol und die Herzfrequenz.

„In der Laborstudie fanden wir auffallende Ähnlichkeiten zwischen sozialer Isolation und Nahrungsentzug. Beide Zustände führten zu verminderter Energie und erhöhter Müdigkeit, was überraschend ist, wenn man bedenkt, dass wir durch Nahrungsentzug buchstäblich an Energie verlieren, während dies bei sozialer Isolation nicht der Fall ist“, so die Erstautorin der Studie Ana Stijovic.

Menschen sind soziale Wesen

Um abzuschätzen, ob sich Hinweise auf ähnliche Prozesse auch in mehr oder weniger alltäglicheren Situationen finden, griffen die Fachleute auf Daten aus einer größeren Feldstudie aus der Zeit des ersten Lockdowns zurück. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Studie machten über mehrere Tage hinweg wiederholt Angaben zu ihrem Verhalten und Erleben sowie zu dem von ihnen empfundenen Stressniveau. In der Feldstudie fanden sich Daten von 87 Personen, die in dieser Zeit angegeben hatten, mindestens acht Stunden am Stück alleine verbracht zu haben.

„Der im Labor beobachtete Rückgang des Energieniveaus nach sozialer Isolation zeigte sich auch bei jenen Teilnehmern der Feldstudie, die allein lebten oder sich als sehr gesellig beschrieben“, heißt es in der Arbeit. Die Fachleute interpretieren dies als Folge eines aus dem Gleichgewicht geratenen grundlegenden psychologischen Bedürfnisses nach Kontakt zu anderen Menschen. Als Spezies, die den Austausch mit Artgenossen braucht, gebe es durchaus Parallelen zwischen dieser Reaktion mit jener auf Nahrungsentzug, heißt es in einer Aussendung der Uni Wien.

Psychisches Gefüge aus den Fugen

Die menschliche Psyche sinnt mehr oder weniger automatisch darauf, nach Phasen der Isolation wieder mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Ist das nicht möglich, gerät das psychische Gefüge aus den Fugen. Allerdings ist diese Reaktion auch stark von der Persönlichkeitsstruktur abhängig, wie die Studie zeigt.

Während bekannt ist, dass lange anhaltende Einsamkeit und verstärkte Müdigkeit zusammenhängen, sei über die psychologischen Muster, die bei sozialer Isolation ablaufen, insgesamt relativ wenig bekannt, so die Forscher: „Die Tatsache, dass wir diesen Effekt schon nach einer kurzen Zeit der sozialen Isolation beobachten“, weise darauf hin, dass dieses psychologische Ungleichgewicht längerfristig zu Anpassungsproblemen führt.