Durch methodische  Rückzüchtung kommt der Tauros seinen mythischen Urahnen, Generation für Generation immer näher. Wissenschaftlich gesehen, ist er kein Auerochse. Deshalb der Name Tauros – angelehnt an den griechischen Namen für Stier.
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Wildtiere

Der Auerochse als Landschaftsgestalter

Der Auerochse ist einst das mächtigste Landtier Europas gewesen – bis der Mensch ihn ausgerottet hat. Nun versuchen Forscherinnen und Forscher, den mächtigen Urahn aller Hausrinder wiederauferstehen zu lassen: Erste Projekte mit rückgezüchteten Rinderrassen zeigen, dass nicht nur die Artenvielfalt von der Rückkehr wilder Huftiere profitiert, sondern auch das Klima.

Das Verschwinden des Auerochsen ist das erste detailliert belegte Aussterben einer Tierart. Vom Menschen wurden die rund eine Tonne schweren Stiere mit ihren gigantischen Hörnern kultisch verehrt und in Höhlenmalereien oder im griechischen Mythos des Minotauros verewigt. Die Domestizierung des Auerochsen begann vor rund 10.000 Jahren, die Gene des wilden Auerochsen zerstreuten sich fortan in unzähligen zahm gezüchteten Kuhrassen.

Rund 1,2 Milliarden Rinder leben heute auf dem Planeten. Der wilde Urahn verlor im Laufe der Jahrhunderte immer mehr an Lebensraum, vor allem weil er intensiv bejagt wurde. Die letzten Auerochsen wurden zwar im 16. Jahrhundert südwestlich von Warschau unter den Schutz eines Landesherrn gestellt, gehegt und gepflegt, doch es war für diese Tierart zu spät – das letzte Exemplar starb 1627.

Auerochse 2.0

Forscherinnen und Forscher wollen den ausgerotteten Urahn aller Rinder nun wieder zum Leben erwecken. 2009 startete das interdisziplinäre und länderübergreifende Tauros-Programm in den Niederlanden. Mit modernster Gentechnik wird der ausgestorbene Auerochs jetzt sozusagen wieder zum Leben erweckt. Ziel ist es, ein Rind zu erschaffen, das dem ursprünglichen Wildtier genetisch sehr ähnlich ist und vor allem ökologisch seine Rolle in der Natur übernehmen kann.

Sendungshinweis

„Universum“ zeigt die Doku „König der Wildnis – Das Tauros Projekt“, 18.4., 20.15 Uhr, ORF2.

2014 konnte aus einem rund 7.000 Jahre alten Fossil erstmals die DNA eines Auerochsen vollständig sequenziert werden. Diese dient nun als eine Art Vorlage, wie Programmleiter Ronald Goderie erklärt: „Bald war uns klar, dass viel des ursprünglichen Genmaterials verloren gegangen ist. Einst gab es Millionen dieser Tiere, wir haben nur noch eines, dessen Gene wir komplett untersuchen können. Wir wollen nun ein Tier züchten, das so nahe wie möglich an den Auerochsen herankommt.“ Im Fachjargon wird dieses Vorgehen Rückzüchtung genannt, die Rasse, die dabei hervorgeht, Tauros-Rind.

Seit 2015 werden Tiere aus dem Tauros-Programm in die karge Hochebene Lika am Fuß des Velebit-Gebirges gebracht
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Seit 2015 werden Tiere aus dem Tauros-Programm in die karge Hochebene Lika am Fuß des Velebit-Gebirges in Kroatien gebracht

Zurück in die Wildnis

Erste Wiederansiedlungen in Nationalparks und geschützten Gebieten mit rückgezüchteten Tieren haben bereits stattgefunden. Neben den Niederlanden gibt es bereits in Portugal, Spanien, Kroatien, Tschechien und Rumänien Tauros-Rinder, deren Verhalten nun genau beobachtet wird. Denn den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geht es weniger darum, den Auerochsen genetisch identisch zu rekonstruieren, sondern große Huftiere zu züchten, die wie ihre Urahnen alleine in der Wildnis überleben können.

In der kroatischen Lika-Hochebene wachsen Tauros-Kälber wild und frei auf
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In der Lika-Hochebene wachsen Tauros-Kälber wild und frei auf

Die ersten Herden bewähren sich: Sie zeigen ein hoch entwickeltes Sozialverhalten und bilden etwa bei Gefahr Gruppen, wobei sie die Jungtiere schützend in die Mitte nehmen, während die Stärksten mit ihren Hufen und Hörnern Feinde wie Wölfe abwehren. Die Herden werden von älteren und erfahrenen Kühen angeführt, die etwa wissen, wo es auch im Winter genügend Futter gibt.

Große Grasfresser ersetzen Landwirte

Das Tauros-Projekt könnte jedoch auch Abhilfe für ein Problem schaffen, das immer drängender wird: Jedes Jahr wird in der EU eine Million Hektar Land von Viehhirten und Bauern aufgegeben. In drei Jahren entspricht das in etwa der Fläche von Belgien. Werden diese Landschaften sich selbst überlassen, verwalden sie vollständig. Dann würden viele andere Tiere ihren Lebensraum verlieren – ein ökologisches Desaster droht. Wilde Huftiere sollen als natürliche Landschaftsgestalter dafür sorgen, dass Weiden erhalten bleiben. Neben Tauros-Rindern werden auch andere Huftiere wie wilde Pferderassen und Bisons in Pilotprojekten in Nationalparks und geschützten Reservoirs wieder angesiedelt.

Über hunderttausende von Jahren haben Wildpferde mit Auerochsen und Bisons den Lebensraum gestaltet. Gemeinsam weideten sie das Land ab und hielten so die Vegetation offen.
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Über hunderttausende von Jahren haben Wildpferde mit Auerochsen und Bisons den Lebensraum gestaltet

Mehr Biodiversität durch wilde Huftiere

In Österreich wurden bisher es noch keine Tauros-Rinder wiederangesiedelt. Ein vergleichbares Projekt der Naturschutzorganisation WWF entwickelt sich jedoch im Auenreservat im niederösterreichischen Marchegg äußerst positiv. Seit 2015 leben dort 23 Konik-Pferde. Wie der Auerochse wurden auch die ursprünglichen Wildpferde in Europa ausgerottet. Die hier eingesetzte polnische Rasse hat sich zwar mit domestizierten Bauernpferden vermischt, steht seinem Urahn genetisch jedoch noch sehr nahe. In Marchegg ist seither zu beobachten, wie die Natur von den Koniks profitiert. Früher musste ein Landwirt hier zweimal im Jahr mähen, um die Weiden zu erhalten, das ist nun nicht mehr notwendig.

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WWF-Projektbereichsleiter Jurrien Westerhof sieht auch Vorteile für die Artenvielfalt: „Die Misthaufen dieser Pferde schaffen natürliche Habitate, während der Kot von Hausrindern und -pferden durch den Einsatz von Wurmmitteln und Antibiotika biologisch gesehen giftiger Müll ist. Wir sehen, dass es wieder mehr Insekten gibt und sogar Arten dazukommen, die hier in der Region verschwunden waren.“ Aus allen Projekten mit wilden Huftieren werden solch positive Trends berichtet.

Natürliche Weiden als Speicher von Treibhausgas

In Tschechien, wo bereits seit einigen Jahren Tauros-Rindern an einem ehemaligen Truppenübungsplatz der Sowjetunion angesiedelt wurden, haben Wissenschaftler noch eine weitere überraschende Entdeckung gemacht: Die natürlichen Weidenökosysteme speichern weltweit bis zu 30 Prozent Kohlenstoff. Das ist um 50 Prozent mehr, als Wälder es können. Dalibor Dostal, Direktor der Naturschutzinitiative European Wildlife und Projektpartner des Tauros-Programmes erklärt, wie das funktioniert: „Der Kot von Huftieren, die eben nicht mit Antibiotika behandelt werden, können von Käfern schneller abgebaut werden. Und diese bringen so große Mengen von organischem, kohlenstoffreichem Material in die Erde ein.“

Durch die Rückkehr von wilden Huftieren in brachliegende Gegenden würden vor allem die Natur und das Klima profitieren. Jetzt liegt es wieder einmal am Menschen, ob er die Ansiedelung dieser Wildtiere in einzelnen Regionen zulässt, um damit die äußerst fragile Artenvielfalt zumindest weitgehend zu erhalten.