Marie-Christine Friedrich als Queen Elizabeth I.
Rizar Photo / ORF
Rizar Photo / ORF
Ökonomie

Aufstieg und Fall des British Empire

Die Krönung von Prinz Charles III. zum König Englands fällt zusammen mit tiefgreifenden Veränderungen für das Vereinigte Königreich und seine Menschen. Das British Empire, einst eine Weltmacht, ist spätestens seit der Rückgabe Hongkongs an China zwar faktisch zu Ende – nicht aber in den Köpfen vieler Briten und Britinnen.

Als Motor der frühen Globalisierung und des Kapitalismus hat das British Empire die Grundlagen für unsere heutige Welt gelegt, mit allen Begleiterscheinungen wie Ausbeutung, Abhängigkeit und Gewalt. Nun fehlt es nach dem Brexit nicht nur an Arbeitskräften und Wirtschaftswachstum – sondern sogar an Gurken.

Der Thronfolger in der Businessclass

„So ist das Ende des Empire“, vermerkte Prince Charles 1997 in sein Tagebuch. Er war gerade auf dem Flug nach Hongkong. Als Thronfolger sollte er die Krone bei der Rückgabe der letzten Kronkolonie an China vertreten. War für ihn der Verlust von Hongkong tatsächlich das Ende des British Empire? Seinen Aufzeichnungen nach mokierte er sich eher über die Tatsache, dass er, im Gegensatz zu Premierminister Tony Blair und anderen Regierungsmitgliedern, die im gleichen Flieger in der ersten Klasse residierten, in die Business Class gesetzt wurde.

Nun ist, nach dem Tod seiner Mutter Elizabeth II., aus dem Prince ein King geworden. Am Samstag, dem 6. Mai, wird er dann auch in einem sakralen Akt gesalbt und gekrönt. Er trägt damit die Krone nicht nur für das Vereinigte Königreich, sondern auch für 14 konstitutionelle Monarchien in aller Welt. Für große Nationen wie Kanada, Australien und Neuseeland, aber auch für kleine Staaten wie die Bahamas, Jamaika und Tuvalu. Alles ehemalige Kolonien des British Empire, das zu seinem Höhepunkt Anfang des 20. Jahrhunderts ein Viertel der Menschheit als Untertanen zählte. Ein Weltreich, in dem die Sonne nie unterging.

Von Piraten, Unternehmern und Börsianern

Das British Empire begann mit einer Königin: Elisabeth I. (1533–1603). England war vorher vor allem mit sich selbst beschäftigt gewesen. Erst im Elisabethanischen Zeitalter wandte es sich vom Rande Europas aus den Weltmeeren zu. Die Tudor-Königin förderte die „Privateers“. In ihrem eigenen Selbstverständnis sahen sich diese als königlich privilegierte Unternehmer zur See, eine Mischung aus Abenteurer, Entdecker und Handelstreibende.

Sendungshinweise

Universum History zeigt anlässlich der Krönung von King Charles III. die Dokumentationen „Kampf der Königinnen – Mary Stuart vs. Mary Stuart“: 28.4., 22.35 Uhr, ORF2; „Charles III. Vom Außenseiter zum König“, 3.5., 21.05 Uhr, ORF2; „Victoria – Geheimnisse einer Jahrhundertqueen“, 5.5., 22.35 Uhr, ORF2; „Queen Mum – Mit Schirm, Charme und Gin“, 5.5., 23.10 Uhr, ORF2.

In anderen Ländern wurden diese frühen Entrepreneure eher als Piraten bezeichnet. Das Bild des Seeräubers als Urtyp des modernen Unternehmers hält sich bis heute: „Der Pirat, so wird es auch in der Ökonomie und Geschichtswissenschaft diskutiert, habe die ökonomischen Freiheiten ausgebaut. Die eher liberale Gesellschaft auf Piratenschiffen gelte als Motor für kapitalistische Entwicklungen“, sagt die Amerikanistin Alexandra Ganser von der Universität Wien, die Narrative über Piraten untersucht hat.

Es sind vor allem romantisierte Erzählungen in der Literatur des 19. Jahrhunderts, die bis heute wirken. Auf der einen Seite sprechen sie eine Zielgruppe an, die von einer verklärten anarchischen Freiheit auf den Piratenschiffen schwärmt, die Existenz von Piratenparteien in vielen Ländern sei ein Beleg dafür. Auf der anderen Seite bedient das Bild des risikofreudigen Abenteurers fernab von Gesetz und Regulation auch ein neoliberales Ideal: „Es gibt die Wahrnehmung, dass die heutige Piraterie an der Börse stattfindet. Sie setzt sich hinweg über staatliche Kontrolle, zum Beispiel mit Hilfe von Algorithmen, die selbstständig so schnell agieren, dass sich ihr Handeln vollständig der menschlichen Kontrolle entzieht“, so Ganser.

Spanische Galeone, die Drake auf seiner Weltumseglung aufgebracht hat
Wikimedia/public domain
Spanische Galeone, die Drake auf seiner Weltumseglung aufgebracht hat

Elisabeth I. stattete ihre Piraten nicht nur mit Kaperbriefen aus, sondern investierte aus eigener Kasse in die räuberischen Expeditionen. Und das durchaus mit Gewinn. So konnten sie mit dem Profit aus der Weltumseglung von Francis Drake, bei der er etliche spanische Küstenstädte und Schiffe überfallen hatte, nicht nur den Staatshaushalt sanieren, sondern auch in die Gründung diverser Handelskompanien investieren.

Sogar der berühmte britische Ökonom John Maynard Keynes ließ sich zu einer simplen Rechnung hinreißen: In einem Artikel aus dem Jahr 1930 schwärmt er: „Aus jedem Pfund, das Drake 1580 heimgebracht hat, sind heute 100.000 Pfund geworden. Das ist die Macht des Zinseszins!“ Das erfüllte ihn mit Stolz, obwohl der Reichtum des Empire mit Raubgut aus Piraterie begonnen hat.

Die Handelskompanie als Staatsgewalt

Die Königin und ihre Piraten: Dieses Verhältnis könnte man auch mit dem Begriff „Private-Public Partnership“ bezeichnet werden. Das sind heute durchaus übliche Partnerschaften zwischen Firmen und staatlichen Organisationen, zum Beispiel zum Bau und Betrieb eines Autobahnabschnitts. Dabei gibt es eine Kosten-und-Aufgaben-Teilung. Für den Historiker Tim Neu von der Universität Wien ist der moderne Begriff für das England des 16. und 18. Jahrhunderts durchaus passend: „Solche Kooperationen waren damals in einem höheren Maße üblich als in der Gegenwart.“

Sogenannte Handelsgesellschaften waren dann der nächste Schritt in der Verflechtung von Krone und Big Business: eine Symbiose von imperialem Streben und Profitmaximierung. 1600 wurde die berühmt-berüchtigte Ostindische Handelskompanie gegründet. Im 18. und 19. Jahrhundert baute sie mit Intrigen und Gewalt sukzessive ihre Macht in Indien aus und betrieb damit fast die Hälfte des gesamten Welthandels. „Sie ist in England eine privatwirtschaftliche Handelsgesellschaft, in Indien hingegen Herrschaftsträger. Das heißt, die Krone hat mit dem Monopolprivileg, dass die East India Company in Indien Handel treiben darf, ihr ebenfalls die Möglichkeit gegeben, dort als quasi-staatlicher Akteur aufzutreten. Wir haben es also mit einem Hybrid zu tun“, sagt Tim Neu. Im Namen der Krone durfte die Ostindische Handelsgesellschaft auch Festungsbau sowie Gerichtsbarkeit betreiben und ein eigenes Militär unterhalten.

Bank of England
Adrian Pingstone / Wikimedia
Bank of England

Ende des 17. Jahrhunderts war es wieder eine Private-Public Partnership, die den Aufstieg des British Empire förderte: 1694 wurde die Bank of England gegründet. Der König brauchte eine schlagkräftige Flotte gegen Frankreich. Dafür gab die neu gegründete Bank Anleihen aus, fix verzinst zu acht Prozent. Innerhalb von zwei Wochen war die angestrebte Summe von 1,2 Millionen Pfund aufgetrieben und die moderne Staatsverschuldung erfunden – und damit die Möglichkeit einer Expansion der Staatsausgaben, die in der Frühen Neuzeit vor allem für das Militär gebraucht wurden.

Höhepunkt und Niedergang

Im Zeitalter Queen Victorias (1819–1901) war London das Zentrum der Welt. Von England ging die Industrialisierung aus. Der Handel mit seinen Kolonien machte ein Viertel der weltweiten Wirtschaftsleistung aus. Eine globale Macht – erzwungen mit Pulver und Blei und der dominierenden Royal Navy. Die Märkte in China wurden gewaltsam geöffnet, Indien von der Ostindischen Kompanie direkt der englischen Krone übergeben.

Queen Victoria
Alexander Bassano / Wikimedia/public domain
Queen Victoria

Nach dem Ersten Weltkrieg begann der Niedergang des Empire. Formell wurde es in das Commonwealth of Nations umgewandelt. Wichtige Länder wie Kanada oder Australien wurden als Dominions dem Mutterland gleichgestellt, andere Kolonien strebten nach Unabhängigkeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der britische Freihandelsimperialismus von der Globalisierung abgelöst. Somit wurden andere Player wichtiger, vor allem die USA, und in den letzten Jahrzehnten immer mehr China – und die EU.

Eine Insel ohne Gurken

Als 2016 rund 52 Prozent der Briten und Britinnen für den Austritt aus der EU stimmten, hoffte diese Mehrheit auf die Wiederkehr der scheinbar guten alten Zeiten. Statt zum europäischen Kontinent wollte man sich wirtschaftlich wieder nach Übersee ausrichten, dorthin, wo einst das Empire herrschte. „Das war ein großes Versprechen der Brexit-Befürworter: Global-Britain-Strategy, dass man vertiefte Handelsbeziehungen vor allem mit Ländern des Commonwealth abschließen möchte. Über Handelspolitik die wirtschaftliche Verzahnung verstärken, aber das hat nicht sonderlich gut funktioniert“, so Harald Oberhofer, Außenwirtschaftsexperte der Wirtschaftsuniversität Wien.

Oberhofer untersuchte die wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexits. Und die sind für das Vereinigte Königreich teilweise schlimmer ausgefallen als ursprünglich angenommen. Vor allem die Abhängigkeit von der EU im Agrarsektor wurde schmerzlich offenkundig, spürbar am aktuellen Gemüsemangel in den britischen Supermärkten. Arbeitskräftemangel und Teuerung, wirtschaftliche Probleme, die es auch in der EU gibt, sind in Großbritannien noch heftiger zu spüren. Aber auch der Londoner Finanzmarkt, die „City“, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, ist teilweise nach Europa abgewandert.

Prinz Charles, ungefähr 1997
Wikimedia Public Domain
Prinz Charles, ungefähr 1997

Man hat sich viel von der gemeinsamen Geschichte mit Ländern, die einst zum Empire gehört haben, erhofft, schließlich zählen doch starke Volkswirtschaften wie Kanada, Australien und Indien dazu. Doch die ehemaligen Kolonien sehen die Angelegenheit eher wirtschaftlich nüchtern: „Das hat damit zu tun, dass die EU-27 als Markt für diese Länder attraktiver ist, weil größer, weil mehr Konsumenten und Konsumentinnen, weil auch teilweise höhere Einkommen. Und deshalb ist die Priorität, zuerst einmal mit der EU zu reden und dann erst vielleicht mit dem Vereinigten Königreich“, so Harald Oberhofer.

Und auch King Charles III. wird in seiner Regierungszeit immer wieder damit konfrontiert werden, dass das Empire endgültig Geschichte ist. Von den 14 konstitutionellen Monarchien, in denen er nominell Oberhaupt ist, gibt es zumindest bei mehr als der Hälfte Überlegungen, in Zukunft eine Republik zu werden.