Zwei Heuschrecken
Benjamin Fabian, MPI for Chemical Ecology
Benjamin Fabian, MPI for Chemical Ecology
Heuschrecken

Duftstoffe schützen vor Kannibalismus

In Schwärmen können Heuschrecken ganze Ernten vernichten. Dass die kannibalistisch veranlagten Tiere einander dabei nicht auffressen, verdanken sie laut einer neuen Studie einem bestimmten Duftstoff, der die Artgenossen davon abhält.

Heuschrecken haben verschiedene Lebensphasen. Die meiste Zeit leben sie als Einzelgänger. Dabei bleiben sie in einem Gebiet, halten Abstand zu anderen und essen relativ wenig. Wenn allerdings die Bestände wachsen, etwa durch Regen oder einen Überschuss an Nahrung, verändern die Insekten ihr Verhalten mitunter binnen weniger Stunden.

Wenn sie ihre Artgenossen riechen, sehen und berühren, steigt der Serotonin- und der Dopamin-Spiegel im Gehirn. „Aus den solitären Tieren werden aggressive und gesellige Heuschrecken, die sehr aktiv und sehr hungrig sind“, erklärt Erstautor Hetan Chang vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena in einer Aussendung zu der soeben im Fachmagazin „Science“ erschienenen Studie. Die Tiere setzen außerdem bestimmte Duftstoffe frei, die das Schwarmverhalten fördern.

Hunger macht kannibalistisch

In dieser Lebensphase sind Heuschrecken eine große Bedrohung für die Landwirtschaft. Die weltweiten Vernichtungszüge der Schwärme kosten jährlich Milliarden Dollar, schreiben die Autoren und Autorinnen. In ärmeren Weltgegenden in Afrika und Asien gefährdet das regelmäßig die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen.

Unzählige Tiere: Heuschreckenschwarm fliegt durch die Luft
YASUYOSHI CHIBA/AFP
Heuschreckenschwarm

Auch für die Heuschrecken selbst ist das Leben in Schwärmen gefährlich, denn der maßlose Hunger macht selbst vor Artgenossen nicht Halt. Das heißt, in der Not fressen sie einander gegenseitig. Für den Schwarm, der aus Millionen Tieren bestehen kann, habe es durchaus Vorteile, wenn schwächere Mitglieder als zusätzliche Nahrungsquelle dienen, heißt es in der Studie. So kann er größere Distanzen zurücklegen. Der Kannibalismus der Tiere könnte aber auch die treibende Kraft hinter den Wanderungen der riesigen Schwärme sein: Aus Angst gefressen zu werden, müssen die Heuschrecken immer weiterziehen.

Abstoßender Duftstoff

Zwei Arten sind als Plage besonders gefürchtet: die Wüstenheuschrecke und die Europäische Wanderheuschrecke. Bei beiden ist der Kannibalismus nur mäßig ausgeprägt. Um herauszufinden, ob die Tiere womöglich eine Art Gegenstrategie entwickelt haben, führten Chang und sein Team diverse Verhaltensexperimente mit Wanderheuschrecken durch. Dabei zeigte sich unter anderem, dass der Kannibalismus wie erwartet zunimmt, wenn man viele Insekten auf kleinem Raum hält.

Außerdem stellten die Forscher und Forscherinnen fest, dass die Heuschrecken in der Schwarmphase andere Duftstoffe ausstoßen als sonst, insgesamt 17. Einer davon – das hochgiftige Phenylacetonitril (PAN) – hält Artgenossen auf Abstand und verhindert so vermutlich die tödliche Angriffe. Die chemische Verbindung wurde schon vor Jahrzehnten erstmals bei Heuschrecken nachgewiesen, ihre Funktion aber bis dato nicht eindeutig geklärt.

Mittel gegen Plagen

Ob das Pheromon wirklich eine antikannibalistische Wirkung hat, wurde anschließend mit genveränderten Heuschrecken untersucht. Tatsächlich nahm der Kannibalismus deutlich zu, wenn die Tiere nicht mehr in der Lage waren, das chemische Signal zu produzieren.

In einem weiteren Schritt identifizierten Chang und Co. den Geruchsrezeptor für PAN. Die Suche war recht aufwendig, den Wanderheuschrecken haben mehr als 140 Rezeptorgene für Gerüche. Wie vermutet, nahm der Kannibalismus bei genetisch veränderten Tieren, die PAN nicht mehr riechen konnten, ebenfalls zu.

Dass Pheromone den Kannibalismus der Insekten steuern und somit ihr Schwarmverhalten nachhaltig beeinflussen, könnte sich im Kampf gegen Heuschreckenplagen als recht nützliche Erkenntnis erweisen, erklärt Studienleiter Bill Hanson: „Wenn man die Produktion von PAN verhindert oder den Rezeptor blockiert, könnte das die Heuschrecken dazu bringen, sich kannibalistischer zu verhalten und sich so selbst unter Kontrolle zu bringen.“