Ceca hebt vor einem Mikrofon die Arme
AFP – ROBERT ATANASOVSKI
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Kulturwissenschaft

Turbo-Folk als Erinnerungsort

Turbo-Folk hat in den 1990er Jahren als Soundtrack des Milošević-Regimes und der Jugoslawien-Kriege gegolten. Heute hat sich die Bedeutung des Musikgenres gewandelt: Zumindest in Wien ist seine politische Dimension in den Hintergrund getreten – und die Musik zu einer Art Erinnerungsort für Menschen aus allen Teilen Ex-Jugoslawiens geworden.

Elemente traditioneller Volksmusik vom Balkan und des Nahen Ostens kombiniert mit harten Beats von der Drum-Machine: Das ist die musikalische Dimension von Turbo-Folk. Politisch berühmt und berüchtigt machten ihn vor 30 Jahren seine Nähe zum serbischen Nationalismus und seine Rolle beim Zerfall Jugoslawiens.

Eine zentrale Figur für beide Dimensionen ist Svetlana Ražnatović, mit Künstlerinnennamen Ceca. Die Ikone des Turbo-Folk wird für ihre Musik bis heute gefeiert. Wegen ihrer Ehe mit Željko Ražnatović, genannt Arkan, war sie lange umstritten. Die Hochzeit von Ceca und Arkan hat das serbische Fernsehen in den 90er Jahren stundenlang live übertragen. Später wurde Arkan für Kriegsverbrechen in den Jugoslawienkriegen vom internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt und schließlich unter noch immer nicht geklärten Umständen ermordet.

Cecas Liebe zur Heimat

Einer der größten Turbo-Folk-Hits ist Cecas „Beograd“ aus den 90er Jahren. „In dem Lied lässt sich diese Verschränkung von Turbo-Folk und nationalistischer Ideologie ganz schön beobachten“, sagt Lena Dražić, Musikwissenschaftlerin und aktuell Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien. „Im Video, das auch eine ganz wichtige Rolle in der Rezeption gespielt hat, sieht man die Sängerin vor verschiedenen Kulturdenkmälern der Stadt Belgrad, der damaligen Hauptstadt Jugoslawiens. Ceca verbindet ihre Liebe zu Belgrad mit ihrer Liebe zu einem Mann.“

„Das ist quasi eine Parallelschaltung von dieser romantischen Liebe zu einer Heimatliebe – was auch erklärt, warum Turbo-Folk lange Zeit den Ruf hatte, der kulturelle Ausdruck des serbischen Nationalismus zu sein“, erklärt die Musikwissenschaftlerin.

Gemeinsamkeit: Verlorene Heimat, Marginalisierung

Ceca ist dennoch bis heute überaus populär. Das zeigt sich etwa bei ihren alljährlichen und stets ausverkauften Konzerten in Wien. Hier kommen Menschen aus allen Nachfolgestaaten Jugoslawiens zusammen. „Ceca wird nicht mehr primär mit Nationalismus konnotiert“, erklärt Dražić. „Sie symbolisiert heute so was wie eine jugoslawische Mutterfigur, die politische Dimension ist stark in den Hintergrund getreten.“

Vortrag

Lena Dražić hält am am 12. Juni um 18.15 Uhr am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien den Vortrag “Turbo-Folk and Place. Attributions of Meaning to a Globalised Music Genre“.

Ceca im Besonderen und Turbo-Folk im Allgemeinen erinnern in Wien an eine gemeinsame – verlorene – Heimat, so Dražić. „Gleichgültig ob mit bosnischen, serbischen oder kroatischen Wurzeln, sie alle teilen einerseits die Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien und andererseits die Erfahrungen, von der österreichischen Gesellschaft an den Rand gedrängt zu werden.“ Diese Marginalisierung verbinde die unterschiedlichen postmigrantischen Gruppen und habe zu einer Art Solidarität und „fast so etwas wie einem neuen Jugo-Nationalismus“ geführt. „Die Menschen betonen nicht mehr primär ihre Wurzeln in Serbien, Kroatien oder Bosnien, sondern erschaffen mit Aussagen wie ‚wir sind alle Jugos‘ quasi eine gemeinsame Identität.“ Turbo-Folk spiele dabei eine ganz wichtige Rolle.

Unterschiede zwischen Wien und Belgrad

Ein weiteres und aktuelleres Beispiel: das Lied „Samo Jako“, ursprünglich ein Turbo-Folk-Song der Sängerin Stoja, vor ein paar Jahren aber von den Musikern Relja und Coby gesampelt, zwei Vertretern der Musikrichtung Trep Folk (abgeleitet vom englischen „Trap“) . „Trep Folk hat sich in den 2010er Jahren aus der postjugoslawischen Hip-Hop- und Rap-Bewegung entwickelt und ist interessanterweise vor allem vom deutschsprachigen Trap beeinflusst. Da ist RAF Camorra auch ein wichtiger Name“, erklärt Lena Dražić.

Am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien untersucht Dražić gerade Turbo-Folk und Trep Folk. Sie folgt dabei einer Grundthese der Forschung zu Popularmusik: Die Bedeutung von Musik liegt demnach nie in der Musik selber, sondern wird immer zwischen der Musik und den Menschen, die sie hören ausverhandelt. Da Musik immer verschiedenen Zwecken dient, ist ihre Bedeutung auch nicht überall gleich. Dieser These geht Dražić nun anhand von Turbo-Folk nach.

Was die Menschen in Wien mit der Musik verbinden, hat sie bereits in einer Pilotstudie untersucht. Nun möchte sie das an einem der Ursprungsorte des Turbo-Folk fortsetzen – in Belgrad. „Ich möchte mir dabei anschauen, wie sich die Bedeutungszuschreibungen der Hörer und Hörerinnen unterscheiden. In Belgrad, quasi dem Ursprungsort von Turbo-Folk und seinen Weiterentwicklungen, und in Wien einer Stadt, die weltweit eine der größten Migrationspopulation mit ex-jugoslawischen Wurzeln beheimatet, die aber dennoch eine Minderheit ist.