Adam Smith (1723 – 1790), schottischer Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler. Kupferstich von John Kay 1790.
Mary Evans / picturedesk.com
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Adam Smith

Der missverstandene Ökonom

Vor 300 Jahren, am 16. Juni 1723, wurde der schottische Wirtschaftswissenschaftler Adam Smith geboren. Seine Theorie vom Eigeninteresse der Menschen und der Macht der Märkte wird bis heute missverstanden. Die neoliberale Lesart vergisst, dass Smith in erster Linie Moralphilosoph war – dem es um das Glück der Menschen ging.

Nein, schön war er nicht: „Adam Smith wirkte aufgrund seines Pferdegebisses und seiner rauen Stimme eher abstoßend“, stellt der Grazer Philosoph Gerhard Streminger in seiner lesenswerten Biografie des Schotten mit unmissverständlicher Direktheit fest: „Die Pariser Schauspielerin Riccoboni soll anfangs sogar gemeint haben, dass Adam Smith ,hässlich wie der Teufel’ sei. Aber bald lernte sie dessen gütiges und menschenfreundliches Wesen zu schätzen.“

Notorischer Junggeselle

Ein gütiger und menschenfreundlicher Mann: Das war Smith im Urteil vieler Zeitgenossen. Obwohl Streminger den Fokus in seiner Biografie auf die nationalökonomischen Einsichten des großen Schotten legt, erfährt man in seinem Buch doch auch einiges über den Privatmann Smith: In den 1720er und 1730er Jahren am Firth of Forth nahe Edinburgh aufgewachsen, war der Ökonom zeitlebens von schwächlicher Konstitution.

Ö1 Sendungshinweis

Adam Smith – Der Luther der Ökonomie: Radiokolleg, 5.-7. Juni 2023, 9.30 Uhr (Teil 1 im Ö1-Podcast).

Auf Außenstehende soll er – bei aller Brillanz – doch eher verschroben gewirkt haben. Da verwundert es nicht, dass der Autor des „Wohlstands der Nationen“ keine Frau, die er begehrte, für längere Zeit an sich binden konnte. Dafür war der notorische Junggeselle für die Freundschaft begabt wie wenige andere – und für das wirtschaftswissenschaftliche Denken, als dessen liberalistischer Stammvater er gelten darf, auch wenn Smith auf diesem Gebiet oft missverstanden wurde und wird.

Marktradikales Missverständnis

Der Mensch, das egoistische Tier: So soll der schottische Meisterdenker den Homo sapiens gesehen haben, zumindest wenn es nach seinen neoliberalen Bewunderern von heute geht. Die Wirtschaft brumme dann am effizientesten, so die neoliberale Lesart der Smith’schen Lehre, wenn der Mensch seinem Gewinnstreben freien Lauf lasse – ohne sentimentale Rücksichten auf andere.

Es ist die immer gleiche Stelle aus Smith’s Hauptwerk „Der Wohlstand der Nationen“, auf die sich die marktradikalen Fans des schottischen Aufklärers beziehen: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgeres, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen“, heißt es da, „sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.“

Erstausgabe von Smiths „Der Wohlstand der Nationen“, die 2018 in den Niederlanden ausgestellt wurde
AFP – BART MAAT
Erstausgabe von Smiths „Der Wohlstand der Nationen“, die 2018 in den Niederlanden ausgestellt wurde

Moralisch aus Eigeninteresse

Der Grazer Philosoph Streminger, einer der prominentesten Experten für das Denken der schottischen Aufklärung, gerät in sanfte Rage, wenn er Smith zu einer Art Cheftheoretiker des heutigen Neoliberalismus erhoben sieht: „Der große Fehler aller marktradikalen Smith-Interpreten ist der, dass sie ,Eigeninteresse‘ mit plumpem Eigennutz gleichsetzen. Das ist aber eine grobe Missinterpretation der Smith’schen Theorie.“

„Denn Smith war in erster Linie Moralphilosoph. Und in seiner Sicht der Dinge liegt es im Eigeninteresse des Menschen, ein gutes, und das heißt für Smith immer auch: ein moralisch gutes Leben zu führen. Der Mensch ist in seinen Augen dann glücklich, wenn er moralisch handelt, wenn er sich also nicht nur sein eigenes, sondern auch für das Glück anderer zuständig fühlt. Adam Smith zum Apologeten des Eigennutzes zu ernennen, ist eine skandalöse Verdrehung dessen, was er wirklich gedacht hat.“

Literaturhinweise

Gerhard Streminger: Adam Smith – Wohlstand und Moral – Eine Biographie. C. H. Beck, 254 Seiten.
Adam Smith: Philosophische Schriften, herausgebeben von Norbert Paulo. Suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 310 Seiten.

„Unsichtbare Hand“ braucht Staat

Einem rücksichtslosen Laissez-faire-Kapitalismus hat Smith nie das Wort geredet. Die „unsichtbare Hand“ des Marktes muss seinem Verständnis nach mit der sichtbaren Hand des Staates ineinander wirken. In seiner fesselnd geschriebenen und kurzweilig zu lesenden Biografie erklärt Streminger den schottischen Philosophen zum frühen Fürsprecher einer „sozialen Marktwirtschaft“: „Adam Smith vertrat NICHT die Meinung, dass der Markt als solcher das Gemeinwohl befördere. Vielmehr ist dazu nur ein geregelter Markt imstande, in dem sich die Marktteilnehmer wie faire Sportler verhalten.“

Davon kann auf den globalisierten Finanzmärkten von heute natürlich keine Rede sein. Mit dem Smith’schen Analyseinstrumentarium allein wird man dem Wall-Street-Kapitalismus der 2020er Jahre allerdings auch nicht beikommen können. Denn der Schotte – ein Zeitgenosse von James Watt, dem Erfinder der Dampfmaschine – war ein Theoretiker des Übergangs vom Manufaktur- zum frühen Industriezeitalter. Die Spekulationsexzesse des heutigen Finanzkapitalismus hätte sich der Markttheoretiker Smith schlicht und einfach nicht vorstellen können.

Statue von Adam Smith in Edinburgh, Schottland
AFP – OLI SCARFF
Smith-Statue in Edinburgh, Schottland

„Man muss den Philosophen aus seiner Zeit heraus verstehen“, betont Streminger: „Als pragmatischem Aufklärer ging es Smith darum, das Leben der Menschen zu verbessern.“ Und das war dringend notwendig im ökonomisch unterentwickelten, von Hungersnöten geplagten Schottland des 18. Jahrhunderts.

Die zentrale Frage, die den Philosophen in seinem Hauptwerk „Der Wohlstand der Nationen“ umtreibt, lautet: Wie lässt sich in bitterarmen Gesellschaften, wie die schottische seiner Zeit eine war, der allgemeine Wohlstand mehren? Smith’s Antwort: durch Arbeitsteilung, durch Freihandel und durch die Wirkmacht der Märkte. Instrumente, die samt und sonders auf Wachstum und Expansion hinauslaufen.

„Neues Testament der Nationalökonomie“ steht noch aus

Der „Wohlstand der Nationen“ ist bisweilen als das „Alte Testament der Nationalökonomie“ bezeichnet worden. Ein „Neues Testament“ muss erst noch geschrieben werden. Wobei dieses „Neue Testament der Nationalökonomie“ selbstredend auf die begrenzten Ressourcen unseres Planeten Rücksicht zu nehmen hätte.

Denn die Ökologie – der Schutz der Umwelt und die Limitiertheit der natürlichen Ressourcen – kommen im Denken des Expansionstheoretikers Smith nicht vor. Aber mit immer noch mehr Expansion werden wir heute nicht mehr weit kommen. Es wäre interessant zu wissen, wie Smith darüber gedacht hätte.