Blitze vor einem Seeufer
APA/dpa/Julian Stähle
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Gottfried Kirchengast

Weniger CO2-Ausstoß, Wende noch nicht gelungen

Brennende Wälder, Hitze und Sturmunwetter – hier zeigen sich die Auswirkungen der Klimaerwärmung, sagte der Geophysiker Gottfried Kirchengast, am Samstag im Ö1 Journal zu Gast. Die hohen Temperaturen an der Oberfläche des Mittelmeers übersetzen sich demnach direkt in Starkreden und Hagel im Süden Österreichs.

Hinsichtlich der heimischen Klimabilanz sieht der Forscher erste positive Signale – 2022 sind die CO2-Emissionen im Vergleich zum Jahr davor gesunken -, von einer Trendwende spricht er aber noch nicht.

Wir haben diese Woche jeden Tag Bilder von brennenden Wäldern gesehen. Menschen mussten flüchten, weil die Brände sich unerwartet schnell ausgebreitet haben. Auslöser von Bränden ist ja immer der Mensch, aber gibt es Klimafaktoren, die die Brandsituation verschärfen?

Gottfried Kirchengast: Waldbrände entstehen leichter, wenn es trocken und heiß ist, wenn Wälder etwa durch Schädlinge schon geschwächt sind. Und genau das haben wir durch den Klimawandel in den letzten paar Jahrzehnten gesehen und können deswegen auch nachweisen, dass durch diese Klimabedingungen die Waldbrände häufiger und umfangreicher geworden sind.

Gleichzeitig sagen aber viele Menschen: „Im Süden hat es früher auch schon gebrannt.“ 2007 etwa ist in Griechenland eine enorme Fläche verbrannt. Auch damals hat es Temperaturen über 40 Grad Celsius und starken Wind gegeben. Also nachgefragt: Hat es das früher schon gegeben oder sehen wir momentan etwas tatsächlich Neues?

Kirchengast: Was es in der Erdgeschichte nie gegeben hat, war, dass jedes Jahr viele Milliarden Tonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre geschaufelt werden. Die Natur hat solche Prozesse nie gehabt. Diese Art von Triebkraft, die ja jetzt schon Jahrzehnte voranschreitet, ist neu im System. Und die bewirkt über die globale Erwärmung Änderungen in Wetter und Klima. Wenn mehr Energie in den Meeren und in der Lufthülle ist, dann entfalten sich auch Extreme viel stärker. Das ist etwas Neues in der Erdgeschichte.

Das Mittelmeer ist derzeit besonders warm. 28,7 Grad, das ist die höchste je gemessene Durchschnittstemperatur an der Oberfläche. Wie beeinflussen solche hohen Wassertemperaturen die aktuelle Situation?

Kirchengast: Durch Verdunstung ist deutlich mehr Wasserdampf in der Lufthülle verfügbar. Dieses verstärkte Feuchtigkeitsangebot in Kombination mit Hitze führt zu heftigen Niederschlägen oder Gewitterstürmen. Es entstehen auch heftigere Auf- und Abwinde sowie kompaktere, höher reichende Gewitterwolken.

Gottfried Kirchengast Gast bei Tarek Leitner
Thomas Ramstorfer / First Look / picturedesk.com

Gottfried Kirchengast ist Professor für Geophysik an der Universität Graz und gründete das dortige Wegener Center für Klima und Globalen Wandel.

Das heißt, das ist auch ein Effekt, den wir tatsächlich mit den starken Gewittern auch im Süden Österreichs zum Beispiel noch sehen?

Kirchengast: Ganz genau. Wenn große Feuchtigkeitsströme entstehen, können wir das direkt nachverfolgen, dass Starkregen das Gewittergeschehen hier verstärkt und extremer wird. Durch heftigere Auf- und Abwinde, die dann durch physikalische Prozesse notwendigerweise entstehen, steigt die Hagelträchtigkeit und größere Hagelkörner können entstehen. So schlägt globale Erwärmung auf die einzelnen Wettersysteme und auch auf die Extreme durch.

Der Juli wird wahrscheinlich der heißeste bisher gemessene Monat sein. Die Temperatur liegt demnach um 1,5 Grad Celsius über jener von 1850. Das ist ein Stichdatum, das man heranzieht, weil es als Beginn der Industrialisierung gesehen wird. 1,5 Grad in diesem Fall oder 0,4 Grad beim wärmeren Mittelmeer – das klingt eigentlich alles nach wenig. Warum ist es dennoch relevant?

Kirchengast: Da muss man sich den Zusammenhang zwischen Wetter und Klima so vorstellen: Die Auswirkungen, die wir fühlen, steigen überproportional. Und diese kleinen Zahlen sind nur vermeintlich klein, denn zwischen einer Eis- und Warmzeit über Hunderttausende von Jahren gibt es auch nicht mehr Änderung als einige wenige Grad. Also dann ist 1,5 Grad für das planetare System insgesamt sehr viel.

Stichworte Eiszeit und Warmzeit: Viele Menschen sagen, wenn man den Beobachtungszeitraum ausdehnt, also ganz weit zurückgeht in der Erdgeschichte, dann sieht man Phasen, in denen es schon deutlich wärmer war als heute. Und diese Menschen sprechen dann auch von einer natürlichen Schwankung. Das hört man auch immer wieder aus Teilen der Politik. Was sagen Sie dazu?

Kirchengast: Das ist wissenschaftlich betrachtet vollkommener Unsinn. Das Neue, das es in der Erdgeschichte nie gegeben hat, ist dieser durch die Menschen, durch die Nutzung fossiler Brennstoffe entstandene riesige Kohlenstofffluss aus der Erdkruste in die Lufthülle in ganz kurzer Zeit. Gab es irgendwann vor vielen Jahrmillionen die Temperaturen unter ganz anderen Bedingungen? Ja, zu Zeiten von „Jurassic Park“, um sehr plakativ zu sprechen. Das sind Welten, die es gegeben hat in der Erdgeschichte. Aber wie wir jetzt durch diesen menschgemachten Treibhausgasausstoß diese Systeme antreiben, das ist eine ganz andere Form der Einwirkung auf den Planeten. Das zeigt, dass es jetzt darauf ankommt, die Welt zu schützen, in der wir uns als Menschheit entwickelt haben. Nur wenn Sie keine neuen Emissionen in die Luft dazugeben, schaffen sie es, diese Prozesse zu stabilisieren.

Umweltministerin Eleonore Gewessler hat zuletzt von einem zurückgehenden CO2-Ausstoß in Österreich gesprochen. Das Wegener-Center rechnet auch an dieser Bilanz mit. Was ist da Ihr aktueller Stand? Hat Österreich den Richtungswechsel tatsächlich geschafft?

Kirchengast: Wir haben es im Jahr 2022 geschafft, wieder auf die Emissionsmenge von 2020, vom ersten Pandemiejahr, herunterzukommen. Das ist rund 74 Millionen Tonnen CO2, also das ist drei bis vier Millionen Tonnen weniger als 2021. Hauptsächlich wurde weniger Erdgas verbraucht. Es war wärmer, es gab rund 15 Prozent weniger Heiztage. Die Eisen- und Stahlproduktion war noch nicht ganz wieder auf Vorpandemie-Niveau. Also die Summe, die dazu geführt hat, war zum Teil tatsächlich Reformwirkung. Aber das war der geringere Teil, der größere Teil ist nach wie vor ein Ein-Jahres-Effekt. Die Rate war auch nicht hoch genug, die wir Richtung Klimaneutralität insgesamt brauchen.

Ich würde nicht davon sprechen, dass schon eine Trendwende gelungen ist. Es ist ein Startsignal gelungen, und es muss jetzt wirklich Ernsthaftigkeit in den langfristigen Klimaschutz hineinkommen. Es gibt zu viele Gruppen in Österreich, die Klimaschutz nicht ernst nehmen. Die größte Barriere beim Klimaschutz in Österreich ist tatsächlich eine politische, dass wichtige Player nicht ernsthaft in Richtung des Pariser Klimaziels arbeiten.

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Zuletzt haben sich viele Wissenschafter und Forscherinnen mit der letzten Generation solidarisiert. Das wurde in der Öffentlichkeit nicht immer goutiert. Das würde die Unabhängigkeit der Wissenschaft infrage stellen, hat es immer wieder geheißen. Sie haben sich auch solidarisiert. Ist an dieser Kritik nicht etwas dran, dass Aktivismus und Wissenschaft eigentlich zwei verschiedene Bereiche sein sollten?

Kirchengast: Das sind absolut zwei verschiedene Bereiche. Wenn eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler mit einer Rede auf einer Demo auftritt, macht man das nicht als Professor, als Wissenschaftler im Sinne von einem Forscher an einer Universität, sondern da ist man eine zivilgesellschaftliche Person, die sich vor dem Hintergrund ihres wissenschaftlichen Wissens hinstellt und zum Stand der Dinge Stellung nimmt.

Aber wird man nicht manchmal überwältigt von dieser Ungeduld und verlässt diese Sphäre der wissenschaftlichen Distanziertheit?

Kirchengast: Natürlich, ich bin auch ein Mensch mit Emotionen und ich bin auch besorgt, aber ich bin auch sehr lösungsorientiert. In dem Sinn fällt es mir nicht so schwer, professionell auf der einen Seite die Wissenschaft weiterzugeben, meine Forschung zu betreiben wie ein professionelles Handwerk und eine professionelle kreative Tätigkeit und andererseits meine Rolle auch als Bürger in Österreich und der Welt einzunehmen.

Der Weltklimarat IPCC hat einen neuen Präsidenten. Jim Skea ist Klimaforscher, er arbeitet vor allem an Lösungsansätzen zur Klimakrise. Und anlässlich seiner Wahl diese Woche hat er gesagt: „Die Herausforderungen sind riesig. Aber das Wichtigste ist, sich nicht durch ein Gefühl der Verzweiflung in Untätigkeit versetzen zu lassen.“ Stimmen Sie dem zu?

Kirchengast: Ich würde es positiv formulieren: Das Wichtigste ist Ermutigung und Befähigung. Jeder und jede kann lösungsorientiert mithelfen in seinem Wirkungsbereich, in ihrem Wirkungsbereich, egal ob als Bundespräsident, Bundeskanzler, in irgendeinem Beruf oder als Privatperson. Wichtig ist, dass wir uns gegenseitig tatsächlich ermutigen, weil wir wissen, auf Basis einer gesicherten Physik und einer gesicherten Klimaphysik tun wir das Richtige für die Zukunft. Und deswegen erwarte ich mir auch entsprechendes Leadership von einer Regierung, weil sonst ein Staat seine Aufgabe hier nicht professionell erfüllen kann am Weg zu den Pariser Klimazielen.