Tropenwald: Luftaufnahme des Omo Forest Reserve in Nigeria
MOISE GOMIS/AFP
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Biodiversität

Sicherheitsabstand tropischer Bäume erhöht Vielfalt

Regenwälder sind Hotspots des Artenreichtums. Eine neue Studie an tropischen Bäumen zeigt nun, wie diese Vielfalt zustande kommt: Die Einhaltung eines „Sicherheitsabstandes“ zu erwachsenen Individuen derselben Art erlaubt es, dass besonders viele Arten koexistieren.

Sie beherbergen zwei Drittel aller Arten der Erde und speichern enorme Mengen CO2: Die immergrünen, tropischen Regenwälder spielen eine Schlüsselrolle im Klima- und Naturschutzdrama. Ökologen und eine Ökologin der Universität Texas haben die Waldgesellschaft auf Barro Colorado untersucht, um diese enorme Vielfalt zu erklären. Die Insel im Panamakanal steht seit 100 Jahren komplett unter Naturschutz und gilt als das besterforschte Ökosystem der Welt. Sie ist nur 15,6 Quadratkilometer groß, dennoch gibt es dort 130 verschiedene Baumarten – das sind doppelt so viele wie in ganz Österreich.

Überzufälliges Abstandhalten

Für die Studie wurde das Verteilungsmuster von 41 Baumarten über 30 Jahre untersucht. „Wir kennen den exakten Standort eines jeden Baumes hier und wissen auch, wie weit die Samen sich ausbreiten“, erklärt Hauptautor Michael Kalyuzhny. Mithilfe von Computermodellen zeigte das Forscherteam, wie der Wald zusammengesetzt sein müsste, wenn die Bäume einfach dort wachsen würden, wo die Samen hinfallen. Dabei wurde zufälliges Absterben der jungen Bäume angenommen sowie für bestimmte Baumarten typische Verbreitungsdistanzen. „Es zeigte sich, dass der echte Wald gar nicht so aussieht wie modelliert – die Bäume einer Art sind in Wirklichkeit viel weiter voneinander entfernt“, so Kalyuzhny.

Die Entfernung zwischen den violett-blühenden Bäumen der Art Dipteryx oleifera ist 5,5 Mal so groß wie erwartet – LIZENZ angeben!
Christian Ziegler
Die Entfernung zwischen den violett-blühenden Bäumen der Art Dipteryx oleifera ist 5,5 Mal so groß wie erwartet

So stehen die verholzten Pflanzen im Mittel rund zweimal so weit voneinander weg, wie durch den Zufall erwartet, in extremen Fällen sogar mehr als fünfmal so weit. Manche Bäume isolieren sich so auf 100 Meter Abstand von Nachbarn der eigenen Spezies. Die Effekte zeigen sich auch bei seltenen Arten, nur einige Spezialisten weichen davon ab. Das sind etwa solche Arten, die besonders viel Licht benötigen – diese drängen sich dort auf kleinem Raum, wo es viel davon gibt.

Vielfalt durch Distanz

Warum die erwachsenen Bäume diese großen Lücken einhalten, erklären die Fachleute mit der Nischentheorie. Diese besagt, dass verschiedene Arten unterschiedliche Nischen besetzen – also unterschiedliche Ansprüche an die Umwelt haben. Innerhalb derselben Art ist die Konkurrenz stärker als zwischen den Arten – denn die Artgenossen stellen ja dieselben Ressourcenansprüche an zum Beispiel Lichtverfügbarkeit, Niederschlagsmenge oder Nährstoffversorgung. Diese Faktoren kontrollieren, wo sich die Pflanzen etablieren können.

Nun ist der tropische Regenwald generell sehr ressourcenreich, weshalb dieser Lebensraum in erster Linie negativ kontrolliert ist: Artgenossen leiden auch an denselben Schädlingen. Je näher man aneinander sitzt, desto eher kann man sich mit dem Pilz, dem pflanzenfressenden Insekt oder einer Baumkrankheit anstecken – also lieber auf Distanz gehen. Wenn die Individuen der Art A weiter auseinanderstehen, bleiben dazwischen mehr Platz und mehr Ressourcen für andere Spezies, die wiederum eigene Schädlinge haben und durch Art A nicht gefährdet sind. Keine einzelne Art kann dominieren und die Vielfalt wächst.

Die Ökologen Michael Kalyuzhny und Annette Ostling
Christian Ziegler
Ökologe Michael Kalyuzhny und Ökologin Annette Ostling

Adulte Bäume verlässlicher

Frühere Forschung zu diesem Thema hat sich mit Jungpflanzen beschäftigt, doch die aktuelle Studie liefert einen seltenen Nachweis für das innerartliche Abstandhalten erwachsener Bäume. Das erlaubt – in Kombination mit den Langzeitdaten – ein besseres Verständnis der echten Waldgesellschaften. Tropische Bäume können nämlich mehrere hundert Jahre alt werden und in den unterschiedlichen Lebensstadien verschieden auf ihre Nachbarn reagieren. Erst bei alten Bäumen zeigt sich, mit wem sie eine langfristige Nachbarschaft ertragen.

Eine hohe Diversität macht Ökosysteme stabiler und resilienter gegenüber Störungen – in Zeiten des sechsten Massensterbens also wünschenswert. „Wir glauben, dass unser Ansatz die Prozesse aufdecken kann, die die Zusammensetzung von Waldgesellschaften beeinflussen“, so heißt es in der Studie. Zukünftige Arbeiten sollen Wälder weltweit dahingehend analysieren. Das könnte gezielte Förderung der Diversität ermöglichen und wichtige Erkenntnisse für den Naturschutz bringen.

Artenverteilung weltweit ist energieabhängig

Auf großer Skala wird die Artenvielfalt in den Tropen übrigens mit der Species-Energy-Hypothese erklärt. Demnach ist die – je nach Breitengrad variierende – verfügbare Energie ausschlaggebend für die Artenvielfalt. Um den Äquator ist die Sonneneinstrahlung am stärksten, außerdem ist dort in der Regel viel Wasser zur Verfügung. Das erlaubt eine hohe Photosyntheseleistung – übersetzt aus der Pflanzensprache also Energiegewinnung – und das wiederum ermöglicht das Vorkommen vieler Individuen und vieler Arten. Abhängig ist das Ganze außerdem noch von klimatischen Bedingungen und Interaktionen mit anderen Lebewesen, die die Evolution und die Entwicklung neuer Arten vorantreiben können.