Boden unter einem Kirschbaum in der Schweiz
AGROSCOPE, GABRIELA BRÄNDLE, URS ZIHLMANN / LANAT, ANDREAS CHERVET
AGROSCOPE, GABRIELA BRÄNDLE, URS ZIHLMANN / LANAT, ANDREAS CHERVET
Biodiversität

Nirgends wimmelt es so von Arten wie im Boden

Die Artenvielfalt blüht in Baumkronen, der Tiefsee und an Korallenriffen – aber nirgends wimmelt es so von Arten wie unter unseren Füßen. Böden seien weltweit das artenreichste Ökosystem, berichtet ein Forschungsteam: 59 Prozent aller bekannten Arten leben dort und nicht nur 25 Prozent wie bisher angenommen.

Das Team verweist in seiner soeben im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschienenen Studie zum Beispiel auf Springschwänze, eine urtümliche Form der Sechsbeiner, die nicht zu den Insekten zählt. Dazu gehören der bis zu 17 Millimeter lange Holacanthella spinosa, der in Neuseeland vorkommt, oder Dicyrtomina minuta, der nur ein, zwei Millimeter lang wird, kugelig aussieht und eine blassgoldene Farbe hat. Springschwänze tragen im Boden zur Humusbildung bei. Viele von ihnen haben eine Sprunggabel am Körper und können sich so bei nahender Gefahr sprunghaft aus dem Staub machen.

Springschwanz Dicyrtomina minuta auf Schneckeneiern
Andy Murray
Springschwanz Dicyrtomina minuta auf Schneckeneiern

Das Team hat Bakterien, Viren, Pilze und etliche andere Organismen angeschaut. Viele davon sind wichtig für den Nährstoffkreislauf oder die Kohlenstoffspeicherung. Andere sind Krankheitserreger oder Partner der Bäume. Bei den Säugetieren leben nach den Schätzungen nur 3,8 Prozent aller bekannten Arten im Boden. Aber bei Pilzen sind es 90 Prozent, bei Pflanzen und ihren Wurzeln 86 Prozent und bei Weichtieren wie Schnecken rund 20 Prozent. Schwierig sei die Abschätzung bei Bakterien und Viren, schreibt das Team um Hauptautor Mark Anthony von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Birmensdorf.

Große Spanne bei Schätzungen

Die Forscher und Forscherinnen haben für die Studie nicht selbst gebuddelt, sondern die Fachliteratur durchforstet, wie das WSL berichtet. Beteiligt an der Studie waren auch die Universität Zürich und der landwirtschaftlichen Versuchsanstalt Agroscope. Vielfach gebe es große Wissenslücken, schreiben sie. So reiche die Spanne beim Anteil der Bakterien, die im Boden leben, je nach Region von 25 bis 88 Prozent. Ihre Studie sei nur ein erster Anlauf, weitere Forschung sei nötig.

Springschwanz Holacanthella spinosa
Andy Murray
Springschwanz Holacanthella spinosa

Die Studie soll ein Beitrag für Entscheidungen über einen besseren Bodenschutz sein. „Die Böden stehen enorm unter Druck, sei es durch landwirtschaftliche Intensivierung, den Klimawandel, invasive Arten und vieles mehr“, zitiert die WSL Anthony. „Unsere Studie zeigt, dass die Vielfalt in den Böden groß und entsprechend wichtig ist und sie somit im Naturschutz viel stärker berücksichtigt werden sollte.“

Die Umweltstiftung WWF begrüßte die Studie. „Der Boden unter unseren Füßen ist im wahrsten Sinne Terra Incognita“, teilte sie mit. Auch dort schreite das Artensterben voran. Die Biologie im Boden entscheide über die Ernährungssicherheit. „Nur gesunde Böden produzieren gesunde Lebensmittel.“ Es seien mehr Forschungsgelder für die Agrarökologie nötig.