Gletscher am Zanfleuronpass
Glacier 3000, Schweiz
Glacier 3000, Schweiz
Klimaerwärmung

Wie Klimawandelleugner Gletscherschmelze ausnutzen

In der Schweiz wird durch das Abschmelzen zweier Gletscher ein Pass eisfrei, der in der Römerzeit möglicherweise zum Überqueren der Alpen genutzt wurde und für mindestens 2.000 Jahre unter Eis lag. Klimawandelleugner und Klimawandelleugnerinnen benutzen diese Nachricht als Beleg für eine „übertriebene Klimahysterie“ – Fachleute halten dagegen.

Bei dem Zanfleuronpass handelt es sich um einen dünnen Landstrich zwischen den Kantonen Waadt und Wallis, der auf einer Höhe von 2.800 Metern liegt. Bisher konnten Skifahrerinnen und Skifahrer diesen unter Schnee liegenden Pass nutzen, um bequem vom Zanfleuron-Gletscher bis zum Sessellift am unteren Ende des Scex-Rouge-Gletschers zu fahren. Wurde die Eisdicke im Jahr 2012 noch auf rund 15 Meter gemessen, so war der Pass im September 2022 bereits teilweise komplett eisfrei.

Die Seilbahnbetreiber des Schigebiets Glacier 3000 überlegen nun, die Trasse des aktuellen Sessellifts zu versetzen, damit der Skibetrieb vorübergehend bestmöglich weiterlaufen kann. Doch der Scex-Rouge-Gletschers wird sich wahrscheinlich in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren in einen natürlichen See mit einer Tiefe von zehn Metern verwandeln.

Gletscherschmelze beschleunigt sich

Der Zanfleuronpass war mindestens 2.000 Jahre mit Eis bedeckt, laut dem Glaziologen Mauro Fischer von der Universität Bern aber wahrscheinlich noch länger. Es müsste jedoch weiter untersucht werden, ob der Pass auch am Ende des nacheiszeitlichen Wärmemaximums vor ungefähr 6.000 Jahren wirklich unter Eis lag.

Fest steht nur, dass sich das Abschmelzen gegenwärtig beschleunigt. Der warme Sommer 2022, der in der Schweiz auf einen niederschlagsarmen Winter folgte, führte laut Fischer dazu, dass der Verlust an Gletscherdicke in der Region alleine im vergangenen Jahr drei Mal höher war als im Durchschnitt der zehn Sommer davor.

Gletscher am Zanfleuronpass
Glacier 3000, Schweiz
Gletscher am Zanfleuronpass

Klimawandelleugner sehen Beleg für „Klimahysterie“

Die Nachricht um den abschmelzenden Zanfleuronpass benutzten Klimawandelleugner sofort dazu, um die globale Erwärmung zu verharmlosen. Viral ging etwa ein in lachende Smileys eingebettetes Zitat: “Wenn man unter weggeschmolzenen Gletschermassen einen 2.000 Jahre alten Passweg entdeckt, der zur Römerzeit noch fleißig genutzt wurde, sollte man seine paranoide Klimahysterie vielleicht mal etwas hinunter schrauben.“ Faktenchecker-Plattformen wie Mimikama reagierten mit entsprechenden Gegendarstellungen.

Günstiges Klima in der Römerzeit

Doch war es in der Antike wirklich wärmer und warum war der Zanfleuronpass damals eisfrei? Laut dem Innsbrucker Paläo-Klimaforscher Kurt Nicolussi, ist das nicht zweifelsfrei belegt: “Es gibt keinen direkten Belege, dass der Pass in der Römerzeit abgeschmolzen war und er zur Überquerung der Alpen benutzt wurde. Wir wissen allerdings, dass die Römerzeit eine klimatisch relativ warme Periode im Vergleich zu anderen Phasen der letzten zweitausend Jahre war. Das Klima war bezüglich der wärmeren Abschnitte ungefähr vergleichbar mit dem Ende des 20. Jahrhunderts."

Mythen rund um den Klimawandel

Durch die globale Erwärmung wurde in der Schweiz nun ein alter Pass sichtbar, der zwei Gletscher miteinander verbindet und der seit der Römerzeit nicht mehr eisfrei gewesen sein dürfte. Klimawandel-Leugner verbreiten diese Nachricht nun freudig als angeblichen Beleg für eine Klimahysterie.

Außerdem sei gesichert, dass die Gletscher während der Antike relativ klein waren. Erst im vierten Jahrhundert rückten sie wieder vor. Nicolussi beruft sich dabei auf Forschungserkenntnisse, die er nicht nur aus Gletschern, sondern auch Baumringen gewinnt. Er ist Leiter des Dendrochronologie-Labors in Innsbruck, das ein weltweit außergewöhnliches Archiv an Hölzern hat, die einzigartige Einblicke in die Klimavergangenheit der Alpen geben.

Klima seit der Antike wechselhaft

Klimawandelleugnerinnen und -leugner nutzen grundsätzlich gerne das Totschlagargument, dass sich das Klima schon immer verändert habe und die aktuelle Erwärmung „doch kein Problem darstellen“ könne. Doch der mit der Industrialisierung begonnene Klimawandel sticht gerade im Vergleich zum relativ wechselhaften Klima der Vergangenheit deutlich hervor, wie diese Grafik von Geosphere Austria belegt.

Grafik zur Verlaufskurve der Temperaturentwicklung seit 2000 Jahren
Geosphere Austria

Die Temperaturabweichungen vom Mittel des 20. Jahrhunderts zeigen, dass es vor zweitausend Jahren in der Zeit der Völkerwanderung bis auf wenige Spitzen generell kühler war als heute. Ende Frühmittelalter und Hochmittelalter war es wiederum vergleichsweise warm, die Klimaforschung nennt dies die Mittelalterliche Klimaanomalie. Danach hat jedoch ab dem späten 13. Jahrhundert die sogenannte Kleine Eiszeit eingesetzt, angetrieben durch Vulkanereignisse und wiederholt reduzierte Sonnenaktivität. Seit bald hundert Jahren treibt jedoch der vom Menschen gemachte Klimawandel die Temperaturen kontinuierlich nach oben.

Betrachtet man das Erdklima der letzten Million Jahre, so befinden wir uns in einer Zwischeneiszeit, die laut Nicolussi unter natürlichen Bedingungen wohl erst in 55.000 Jahren ihr Ende gefunden hätte. Mit dem aktuellen massiven Eingriff ins Klima durch den Menschen sei die zukünftige Entwicklung nicht mehr berechenbar.

Klima war in Römerzeit nicht wärmer

Die Fake-News vom angeblich wärmeren Klima in der Antike als Beleg für eine „Klimahysterie“ zieht jedoch immer weitere Kreise und hat bisweilen sogar öffentlich-rechtliche Medien in die Irre geführt. Das ZDF behandelte in einer Sendung das Thema und berief sich dabei auf die vom ORF produzierte Dokumentation “Carnuntum – Weltstadt im Land der Barbaren", in der behauptet wird, dass die Temperatur vor rund 2000 Jahren um etwa zwei Grad höher gewesen sein dürfte als heute. Auch hier sorgte ein Faktenchecker-Portal sofort für eine Richtigstellung.

Der ORF bedauert die falsche Information, allerdings handelt es sich hier um einen Film aus dem Jahr 2006. Laut Nicolussi wäre der Wert aber auch aus damaliger Sicht falsch gewesen: „Im Vergleich zur mittleren Sommertemperatur der letzten beiden Jahrzehnte vor der Jahrtausendwende war es im Alpenraum in den ersten Jahrhunderten der Römerzeit sogar etwa um ein Grad kühler, nimmt man zum Vergleich jedoch das gesamte 20. Jahrhundert, so sind die Mitteltemperaturen in etwa vergleichbar. Dies verdeutlicht wieder, wie außergewöhnlich die aktuelle Erwärmung ist."