Komplexitätsforschung

Warum die Qing-Dynastie unterging

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat China die Weltwirtschaft dominiert. Für den Niedergang danach gibt es eine Reihe von Erklärungen. Wiener Fachleute fügen dem nun eine neue hinzu: Mit Mitteln der Komplexitätsforschung wollen sie zeigen, warum die damals herrschende Qing-Dynastie unterging.

Das Team um Peter Turchin vom Complexity Science Hub (CSH) wählte als methodischen Rahmen die „Structural Demographic Theory“ (SDT), die von Turchin mitentwickelt wurde. Darin werden Gesellschaften als komplexe, sich ständig verändernde Systeme angesehen, wie der CSH mitteilte.

Mathematischer Ansatz

Für ihre Analysen griffen die Fachleute auf die von dem russisch-amerikanischen Komplexitätsforscher mit aufgebaute „Global History Databank Seshat“ zurück. Das ist eine Sammlung historischer und archäologischer Daten für 373 Gesellschaften weltweit.

Mit ihrem mathematischen Ansatz versuchten sie sich an der, den Angaben zufolge bisher umfassendsten Analyse zu dem Thema – auch um daraus für die Gegenwart zu lernen, denn: „Es ist von großer Bedeutung zu verstehen, wie diese Instabilität entstand. Es wäre ein Fehler zu denken: Das war damals und kann nicht wieder geschehen. Die Mechanismen hinter solchen Umbrüchen sind vielmehr erstaunlich ähnlich“, so Turchin.

Mehrere Prozesse ließen Druck steigen

Im Fall der damals in China herrschenden Qing-Dynastie, die von 1644 bis 1912 herrschte, gab es der jüngsten Analyse zufolge drei große Prozesse, die über längere Zeit den sozialen Druck stark ansteigen ließen. Zuerst kam es zwischen den Jahren 1700 und 1840 zu einer Vervierfachung von Chinas Bevölkerung, was das verfügbare Land pro Person verringerte und die Landbevölkerung verarmen ließ. Die stark gewachsene Bevölkerung drängte in der Folge in großer Zahl in die begehrten Führungspositionen in der Verwaltung. Letztlich konnten zwar mehr Menschen einen akademischen Abschluss machen, die Anzahl der Stellen blieb aber gering.

Die daraufhin vielfach schwer enttäuschten Eliten, ohne entsprechende Chancen auf sozialen Aufstieg, wurden zur Triebfeder für blutige Aufstände und Bürgerkriege. Das wiederum erhöhte die Ausgaben des Staates zur Unterdrückung der Unruhen stark. Dazu kam eine sinkende wirtschaftliche Produktivität pro Kopf und ein steigendes Handelsdefizit aufgrund schwindender Silbervorräte und steigender Opiumimporte, schreiben die Fachleute im Fachmagazin „Plos One“.

Qing waren Probleme bewusst

Der größte soziale Druck baute sich laut der Analyse zwischen 1840 und 1890 auf. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts konnten die institutionellen Strukturen die Qing aber noch an der Macht halten. Dann bereiteten große innere Spannungen und Druck aus dem Ausland der Dynastie nach über 250 Jahren ein Ende.

Den Qing seien die sich aufbauenden Probleme durchaus bewusst gewesen, die Gegenmaßnahmen, wie etwa Vorbeugung gegen Hungersnöte, Maßnahmen zur Bekämpfung von Aufständen, aber auch Reformen in der Verwaltung, konnten die Entwicklungen jedoch nicht aufhalten, die China destabilisierten. Es sollte letztlich bis jetzt dauern, bis das Land seine geopolitisch-wirtschaftliche Vormachtstellung wieder erlangte.

Parallelen zu anderen Gesellschaften

Im Untergang der Qing-Dynastie sehen die Forscher auch viele Parallelen zum Niedergang des zaristischen Russlands unter der Romanow-Dynastie (1613-1917). Und auch im Heute gebe es einige Staaten, in denen sich ähnliche Entwicklungen abzeichnen bzw. ablaufen, so die Fachleute.

Die Schlussfolgerungen aus der Studie können durchaus weitreichend gelesen werden: „Ohne langfristige Visionen und gezielte Strategien zur Entschärfung dieses sozialen Drucks besteht für viele Regionen die Gefahr, den gleichen Weg einzuschlagen wie die Qing-Dynastie“, bringt es CSH-Forscher Daniel Hoyer auf den Punkt.