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Seventyfour – stock.adobe.com
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Österreich

Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen verdreifacht

Expertinnen und Experten der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (ÖGKJP) schlagen angesichts neuer Zahlen zur Suizidalität bei jungen Menschen Alarm. Daten aus dem klinischen Bereich belegen seit 2018 eine Steigerung bei suizidalen Gedanken und Handlungen bei unter 18-Jährigen um das Dreifache.

Die ÖGKJP forderte bei einer Onlinepressekonferenz mehr Präventionsmaßnahmen. Vor allem die medizinische Versorgung gehöre dringend verbessert.

In Österreich sterben pro Jahr etwa 1.100 Menschen durch Suizid, etwa 25 bis 30 davon in der Altersgruppe der unter 18-Jährigen. Diese Zahl ist seit einigen Jahren stabil. Dennoch ist Suizid die zweithäufigste Todesursache in der Altersgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

„Das Thema der zunehmenden Suizidversuche, die wir sehen, beschäftigt uns sehr im klinischen Alltag“, sagte Paul Plener, Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Medizinischen Universität Wien und Präsident der ÖGKJP. In der Altersgruppe würden zum ersten Mal suizidale Gedanken auftauchen, laut Studien denke gut ein Drittel der Jugendlichen einmalig darüber nach, sich das Leben zu nehmen. Es ist laut Plener auch das Alter, wo sich zum ersten Mal Suizidversuche manifestieren.

Suizidversuch „einer der Hauptrisikofaktoren“

Der Versuch stelle „einen der Hauptrisikofaktoren für spätere Suizide“ dar, sagte der Mediziner. „Und wenn diese Zahl steigt, dann müssen wir dringend darüber nachdenken, wie wir Suizidprävention besser gestalten, damit wir das, was wir momentan sehen – einen Anstieg der Suizidversuche in den Kliniken, aber auch im niedergelassenen Bereich -, eben nicht zu einem Anstieg der Suizide führt“, so Plener.

In seiner Klinik im Wiener AKH hat sich die Zahl der Jugendlichen, die sich nach einem Suizidversuch gemeldet haben, von 67 (2019) auf 200 (2022) gesteigert. Suizidgedanken finden sich bei mehr als der Hälfte (53 Prozent) der Jugendlichen, die sich in eine „Akutvorstellung“ begeben.

„Besonders erschreckend war für mich die Erfahrung, dass immer jüngere Kinder, auch schon im Volksschul- und eines sogar im Kindergartenalter, über Suizidgedanken und teilweise konkrete Suizidpläne gesprochen haben. Sie waren einfach in einer verzweifelten Lage und wollten so nicht weiterleben“, berichtete auch Ulrike Altendorfer-Kling, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin in Salzburg und Generalsekretärin der ÖGKJP.

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Österreichweit und in den Bundesländern gibt es Anlaufstellen, die Rat und Unterstützung im Krisenfall anbieten.

Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet auch Rat auf Draht unter der Nummer 147.

„Endgültigkeit dieser Entscheidung“

Diese Kinder würden kein konkretes Konzept haben und nichts über die Endgültigkeit dieser Entscheidung wissen, aber haben das – vermutlich auch innerhalb der Familie – als „Problemlösungsstrategie“ vorgelebt bekommen. Die Betroffenen und deren Angehörige würden aus „Angst vor Stigmatisierung“ Hilfe oft zu spät in Anspruch nehmen. In Salzburg würden Menschen aus ländlichen Gebieten oft zwei Stunden Fahrtzeit in Anspruch nehmen, um zu einem Facharzt zu gelangen.

Altendorfer-Kling, die die Kinder-Jugend-Seelenhilfe der Pro Mente Salzburg leitet, berichtete auch von einer Häufung vollendeter Suiziden Jugendlicher im Zeitraum Oktober 2022 bis März 2023 in der Stadt Salzburg. Bei der Kids-Line, einer Telefonseelsorge für Kinder und Jugendliche, gab es mehr als eine Verdreifachung der Chatanfragen und Telefonate seit der Covid-19-Pandemie.

Akute Belastungen und psychische Krisen

Ähnlich die Situation in der Steiermark: Am LKH Süd II in Graz wurden 103 Kinder und Jugendliche im Jahr 2018 aufgrund einer suizidalen Krise aufgenommen, 2022 waren es schon 310 Patientinnen und Patienten, berichtete Isabel Böge, Abteilungsleiterin an der Klinischen Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin der MedUni Graz sowie Primaria der Abteilung für Kinder und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin am LKH Süd und Vizepräsidentin der ÖGKJP. Dabei nahmen akute Belastungen und psychische Krisen als zugrunde liegende Diagnosen deutlich zu, während die Depression gleichbleibend hoch vorhanden war.

„Die Wiederaufnahmerate aufgrund von wiederkehrenden Suizidgedanken nimmt zudem deutlich zu“, so Böge. „Wir haben aktuell noch keine Zunahme an vollendeten Suiziden. Das ist das, was es dringend gilt zu verhindern: dass wir nicht so lange zuwarten und der Entwicklung zuschauen, bis wir dann in einer zunehmenden Zahl von vollendeten Suiziden ankommen“, so die Fachärztin.

„Zu wenig stationäre Kapazitäten“

Diese Zahlen machen deutlich, dass die Bemühungen im Rahmen der Suizidprävention in Österreich drastisch und schnell erhöht werden müssen. Die ÖGKJP forderte erneut einen kassenfinanzierten Zugang zu kinder- und jugendpsychiatrisch-fachärztlicher, psychotherapeutischer und psychologischer Hilfe für alle von psychischen Erkrankungen betroffenen Minderjährigen.

„Wir haben zu wenig stationäre Kapazitäten, was auch mit einem Fachkräftemangel ein Stück weit zu tun hat“, sagte Plener. Österreichweit sind von etwa 800 Betten, die auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie laut österreichischem Strukturplan Gesundheit verfügbar sein sollten, nur 432 vorhanden, sagte der Mediziner. „Wir sind weit entfernt von einer guten Versorgung.“ Im Burgenland etwa gebe es kein einziges kinder- und jugendpsychiatrisches Bett.

„Bauliche Maßnahmen bei ‚Suizid-Hotspots‘“

Auch sollten Fördergelder in die Adaptierung und Implementierung von internationalen Best-Practice-Modellen zur Nachsorge nach Suizidversuchen an Kliniken zur Verfügung gestellt werden, mit dem Ziel, diese an die österreichische Versorgungsrealität zu adaptieren. In den Kliniken gebe es bei den Abläufen durchaus Optimierungspotenzial, meinte Plener. Suizidpräventionsprogramme, die bereits jetzt vorhanden sind, sollten im Rahmen der schulischen Suizidprävention im Zusammenwirken zwischen Gesundheits- und Bildungsressort flächendeckend in Österreich implementiert werden.

Als Beispiel nannte Plener das „Youth Aware of Mental Health“-Programm aus Schweden, wo in den Schulen über mentale Gesundheit gesprochen werde. Zusätzlich müssten bauliche Maßnahmen zur Sicherung von bekannten „Suizid-Hotspots“ getroffen werden und müssten Suizidmittel – etwa durch Reduktion von Abgabemengen bei Medikamenten – weniger leicht verfügbar gemacht werden. Am Sonntag ist der Welttag der Suizidprävention.