Man greift in eine Schüssel mit Chips
Vadym – stock.adobe.com
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Tabakkonzerne

Erst Zigaretten, dann Junk Food

In den 1990er Jahren ist die Zahl der Raucherinnen und Raucher in den Industrieländern gesunken. Tabakfirmen investierten darauf hin nicht mehr nur in Zigaretten, sondern auch in die Lebensmittelindustrie. Von ihnen übernommene Firmen stellten in Folge deutlich mehr – ebenso – ungesundes Junk Food her als andere Vertreter der Branche, wie eine neue US-Studie zeigt.

Die 1950er und 1960er Jahre waren aus Sicht der Tabakindustrie paradiesisch: Die Inhaltsstoffe der Zigaretten wurden so kombiniert, dass Raucherinnen und Raucher maximal abhängig wurden. Zugleich erschlossen aggressive Werbekampagnen immer größere Zielgruppen. Aus Sicht der Industrie zahlte sich das aus – sie lukrierte Milliardengewinne, die gesundheitlichen Folgekosten trug die Allgemeinheit.

Erst ab den 1990er Jahren wurden diese Zusammenhänge öffentlich breiter diskutiert, in Folge kam es zu gesetzlichen Einschränkungen und Verboten. „Zum Teil als Reaktion auf diese Regulierungen diversifizierten die größten US-Tabakfirmen, Phillip Morris (PM) und RJ Reynolds (RJR), ihre Investitionen, indem sie sich in die US-Lebensmittelindustrie einkauften“, schreibt ein Team um die Psychologin Tera Fazzino von der University of Kansas soeben im Fachmagazin „Addiction“. PM etwa kaufte in den frühen 1980er Jahren Kraft Food und General Food, RJR den Keks- und Snackhersteller Nabisco.

„Ultraschmackhafte“ Lebensmittel

Diese Investitionen blieben nicht folgenlos, und zwar vor allem für Lebensmittel, die im Fachjargon „hyperpalatable“ heißen – übersetzt in etwa „ultraschmackhaft“. Dabei handelt es sich um Junk Food, das vor allem auf Kombinationen von Fett, Zucker und Salz beruht und dessen Geschmack auf künstliche Weise maximiert wird. „Diese ultraschmackhaften Lebensmittel sind so gemacht, dass man mehr essen möchte als geplant“, erklärt Fazzino. „Sie können das Belohnungssystem im Gehirn auslösen und bringen die Signale durcheinander, dass wir eigentlich schon voll sind – deshalb ist es so schwierig, mit dem Essen aufzuhören.“ Über zwei Drittel der gesamten Nahrung, die in den USA konsumiert wird, seien heute von dieser Art.

Mit ihrem Team fand sie heraus, dass die Firmen in Tabakbesitz zwischen 1988 und 2001 29 Prozent mehr ultraschmackhafte Lebensmittel herstellten, die auf einer Kombination von Fett und Salz beruhten, als Vergleichsfirmen. Bei ultraschmackhaften Lebensmitteln, die vor allem Salze und Kohlenhydrate kombinieren, betrug der Unterschied sogar 80 Prozent. Für ihre Studie verwendeten die Fachleute zum einen öffentlich einsichtige Dokumente der Tabakindustrie, zum anderen Daten des US-Landwirtschaftsministeriums.

Folgekosten muss Allgemeinheit bezahlen

Warum die Firmen in Tabakbesitz so stark auf diese Art von Lebensmitteln setzten, ist laut Fazzino aus den Daten nicht ablesbar. „Was wir aber sagen können, ist, dass sie es getan haben, solange sie an der Spitze des US-Nahrungsmittelsystems standen.“ Der naheliegende Hintergrund: Ähnlich wie Tabakfirmen alles unternommen haben, um den Konsum von Zigaretten zu steigern, taten dies auch die von ihnen kontrollierten Lebensmittelfirmen. Beide lagerten die Kosten der Gesundheitsfolgen – Krebs, Lungenleiden etc. auf der einen Seite, Dickleibigkeit, Diabetes etc. auf der anderen – an die Öffentlichkeit aus.

Gemeinsamkeiten zwischen „Big Tobacco“ und „Big Food“ seien schon lange festgestellt worden (etwa hier oder hier). Die aktuelle Studie aber „unterstreicht, dass diese Gemeinsamkeiten das direkte Resultat der geteilten Eigentümerschaft sind“, wie es darin heißt.

Ab den frühen 2000er Jahren begannen die Tabakkonzerne ihre Kapitalbeteiligungen in der Lebensmittelindustrie zu verringern. Ihr Schatten hängt aber bis heute über ihnen. Denn auch 2018, dem jüngsten Vergleichsjahr der Studie, hätten die betroffenen Firmen deutlich mehr gesundheitsschädliche Lebensmittel hergestellt als Vergleichsfirmen – und zwar gleichgültig, ob es mittlerweile einen Eigentümerwechsel gegeben hat oder nicht.