Ein Mann sitzt vorne übergebeugt und müde an einem Tisch
Getty Images/fStop/Halfdark
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Gesundheit

ME/CFS-Erkrankte warnen vor Versorgungsnotstand

Ähnlich wie Long Covid ist ME/CFS eine schwere Erkrankung, die u. a. durch extreme Erschöpfung gekennzeichnet ist. Betroffene warnen nun davor, dass sich ihre Versorgungskrise weiter zuspitzen könnte. Statt des Aufbaus von Expertise und Strukturen werde die Krankheit in Leitlinien „ausgeklammert“ und Long-Covid-Ambulanzen geschlossen.

Eine genaue Zahl der Erkrankten wird in Österreich nicht erhoben, erläuterte die heimische Gesellschaft für ME/CFS von Betroffenen für Betroffene (ÖG Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom). Aus internationalen Studien lasse sich abschätzen, dass hierzulande bereits vor der Pandemie 26.000 bis 80.000 Patientinnen und Patienten gab. Dazu kämen Zehntausende Betroffene infolge von Covid-19.

Hauptsymptom ist die Post Exertional Malaise (PEM), eine Belastungsintoleranz bereits nach geringer körperlicher oder kognitiver Tätigkeit, die Stunden, Tage oder länger anhalten kann. Betroffene leiden an einer extrem eingeschränkten Leistungsfähigkeit und krankhafter Fatigue über den Zustand einer „normalen“ Erschöpfung hinaus, viele sind nicht mehr arbeitsfähig.

Keine Spezialambulanz

„Es gibt keine einzige Spezialambulanz für ME/CFS, so wie es für andere schwere und komplexe Erkrankungen in Österreich üblich ist. Die Betroffenen und ihre Familien sind komplett auf sich allein gestellt“, kritisierte Kevin Thonhofer, Obmann der ÖG ME/CFS. Auch die Schließung von Long-Covid-Ambulanzen, die in einigen Bundesländern eingerichtet wurden, sei für Betroffene fatal.

Diese werde mit fehlendem Bedarf begründet, was für die ÖG ME/CFS nicht nachvollziehbar ist. Die Patientenorganisation sei „täglich mit verzweifelten Anfragen konfrontiert und es werden immer mehr“. Es brauche „dringend einen Aufbau von interdisziplinären, universitär angebundenen Kompetenzzentren für ME/CFS und nicht den Abbau von Strukturen“, forderte Thonhofer.

Kritik an Behandlungsleitlinie

Kritik kommt auch an der überarbeiteten Behandlungsleitlinie zu Post Covid, die im Auftrag des Gesundheitsministeriums im August von der Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM) veröffentlicht wurde. Die Erweiterung um einzelne Kapitel sowie die Forderung nach Kompetenzzentren wurde zwar von der ÖG ME/CFS begrüßt.

„Umso unverständlicher ist, dass ME/CFS als schwerste Form von Post Covid explizit ausgeklammert wird“, berichtete Astrid Hainzl, stv. Obfrau der ÖG ME/CFS. In der Leitlinie wird ME/CFS zwar mehrmals erwähnt, allerdings betont, dass das Thema aufgrund der hohen Komplexität „nicht umfassend behandelt“ werden konnte und auf die nationale Leitlinie zu Müdigkeit sowie internationale Leitlinien zu ME/CFS weiterverwiesen.

Vor der Überarbeitung der Leitlinie wurde laut ÖG ME/CFS eine Beteiligung von Patientenorganisationen zugesichert. Umgesetzt sei dies – genau so wie die thematische Verankerung der Krankheit in aktuellen Leitlinien – nicht worden. „Das zeigt leider deutlich, dass es noch immer weder Bewusstsein für die dramatische Situation der Betroffenen noch Interesse an echter Teilhabe bei den Verantwortlichen gibt,“ kritisierte Thonhofer.

Stellungnahme der ÖGAM

Die Präsidentin der ÖGAM, Susanne Rabady, hält dazu fest: „Die Leitlinie zu den postviralen Syndromen hat ein klar beschriebenes Ziel: Das ist vor allen die rasche und gezielte Diagnostik von Symptomen, die aufgrund einer Virusinfektion etwa durch Covid-19 entstanden sein können – und zwar vor allem durch jene Berufsgruppen, die als Hausärztinnen und Hausärzte primär kontaktiert werden und für die Begleitung der Patientinnen und Patienten in erster Linie zuständig sind.“

Die Leitlinie, die nicht vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegeben worden sei, beschreibe, welche Berufsgruppen dabei welche Rolle einnehmen können und sollen. „Die Therapie von ME/CFS gehört zu Spezialistinnen und Spezialisten. Die Österreichische Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin hat nicht die Aufgabe, eine Leitlinie zu ME/CFS zu initiieren oder zu verantworten, wir haben dazu auch mehrfach mit den Betroffenen gesprochen“, so Rabady.

Es sei zentral, dass die Betroffenen zu Beginn korrekt diagnostiziert und schnell weitergeleitet werden können. „Wir sind uns mit den Betroffenen einig, dass es spezialisierte Strukturen und Angebote für eine Versorgung dringend braucht. Leider gibt es diese Expertise noch nicht in dem Ausmaß, wie wir sie brauchen.“ Die nun vorliegende Leitlinie sei der erste wichtige Schritt in diese Richtung.