Archivbild des Nobelpreistraegers Konrad Lorenz, datiert aus dem Jahr 1987.
APA – BILL LORENZ
APA – BILL LORENZ
50 Jahre Nobelpreis

„Widersprüche von Konrad Lorenz aushalten“

1973 ist Konrad Lorenz mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet worden – akademischer Höhepunkt für den Begründer der Verhaltensforschung und engagierten Umweltschützer. Seine wissenschaftlichen Leistungen waren vor 50 Jahren unbestritten, sein Verhalten in der NS-Zeit wurde erst später kritisiert.

Zum 50. Jahrestag des Nobelpreises haben Benedikt Föger und Klaus Taschwer ihre vor 20 Jahren geschriebene Lorenz-Biografie aktualisiert. Man solle heute seine Widersprüchlichkeiten aushalten, meinen die beiden Autoren im E-Mail-Interview – und Österreichs langjährige Versäumnisse im Umgang mit der NS-Vergangenheit nicht an Lorenz „überkompensieren“.

science.ORF.at: Sie haben Ihre 20 Jahre alte Biografie über Konrad Lorenz neu aufgelegt. Was war der Grund dafür?

Benedikt Föger: Als hauptberuflicher Verleger fand ich es schade, dass unser damaliges Buch seit einigen Jahren vergriffen und nicht mehr lieferbar war. Jetzt hatten wir endlich einen Anlass: Fast auf den Tag genau vor 50 Jahren wurde Konrad Lorenz gemeinsam mit dem Niederländer Niko Tinbergen und dem Bienenforscher Karl von Frisch der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin zugesprochen. Er war damit bis zum Physiker Anton Zeilinger für fast fünf Jahrzehnte der letzte Österreicher, der diese wichtigste Auszeichnung in der Wissenschaft erhielt.

Cover der Konrad-Lorenz-Biografie des Czernin-Verlag von Klaus Taschwer und Benedikt Föger
Czernin-Verlag

Klaus Taschwer und Benedikt Föger, „Konrad Lorenz. Biografie“, Czernin-Verlag, Wien 2023.

Klaus Taschwer: Dazu kam, dass sich bei uns in der Zwischenzeit einiges neues Wissen über Lorenz und sein Umfeld angesammelt hat, wodurch wir einige Dinge etwas besser verstanden als vor 20 Jahren. Wir haben beispielsweise vor einigen Jahren die Autobiografie seines Vaters Adolf Lorenz neu herausgegeben, der immerhin acht Mal für den Medizinnobelpreis vorgeschlagen war und ein fast so spannendes Leben hatte wie der Sohn. Und ich habe ein Buch über die antisemitischen Zustände an der Uni Wien geschrieben, wo Lorenz bis 1938 politisch nicht weiter auffiel – im Gegensatz zu anderen Nazi-Professoren.

Dennoch hat es Lorenz in den letzten Jahren vor allem wegen seiner braunen Vergangenheit in die Schlagzeilen geschafft: als ihm die Uni Salzburg 2015 jenes Ehrendoktorats posthum entzog, das sie ihm 1983 verliehen hatte. Was war damals Ihre Reaktion?

Taschwer: Ich war einigermaßen irritiert. Vermutlich war Lorenz der erste Nobelpreisträger in der Wissenschaftsgeschichte, dem so etwas passierte. Ich fand diese Aktion eher peinlich für die Uni Salzburg. An der Uni Oxford, einer der besten Unis der Welt, wo Lorenz lange zuvor eines seiner ersten Ehrendoktorate erhalten hatte, würde man wohl nie auf so eine Idee kommen. Ursprünglich wurde Lorenz von der Uni Salzburg vorgeworfen, sich das Ehrendoktorat erschlichen zu haben – als ob er das nötig gehabt hätte. Die Entscheidung wurde vom damaligen Rektor verteidigt, der katholischer Theologe ist, was eine besondere Ironie ist: Lorenz hatte im katholisch-autoritären Dollfuß-Schuschnigg-Regime als Anhänger von Darwins Evolution keine Chance auf eine wissenschaftliche Karriere. Was wiederum dazu beitrug, dass Lorenz sich am nationalsozialistischen Deutschland orientierte. Schließlich ließ der nachträgliche Bericht mit der Begründung monatelang auf sich warten.

Wurden in dem Bericht neue Fakten zu Lorenz’ Verhalten in der NS-Zeit präsentiert?

Föger: Eben nicht. Seit unseren Recherchen Anfang der Nullerjahre ist da nichts Wesentliches dazugekommen. Jene Passagen über die „noch schärfere Ausmerzung ethisch Minderwertiger“, die am Ende als Begründung übrigblieben, hat man spätestens seit den frühen 1970er-Jahren in aller Öffentlichkeit diskutiert. Diese Aussagen hätten auch den Verantwortlichen der Uni Salzburg 1983 bekannt sein können.

Hat es nicht auch mit Ihren Arbeiten zu tun, dass Konrad Lorenz in den letzten Jahren von vielen vor allem als ehemaliger Nazi gesehen wird?

Taschwer: Jein. Es stimmt einerseits natürlich, dass wir vor unserer Biografie in einem eigenen Buch alles zusammengetragen haben, was sich über Lorenz’ Verhalten in der NS-Zeit finden ließ und was er selbst zum Gutteil verschwiegen hat: so etwa auch seinen Antrag auf NSDAP-Mitgliedschaft, die er bis zu seinem Tod geleugnet hat. Lorenz konnte umgekehrt vor 50 Jahren wortwörtlich und nahezu unwidersprochen behaupten, dass jeder der ihn in die Nähe der Nazis rückt, eine Dreckschleuder sei. Mittlerweile ist das Pendel womöglich ins andere Extrem umgeschlagen – und damit sind wir beim „Andererseits“: Es scheint ein bisschen so, als ob man am prominenten Beispiel Lorenz Österreichs langjährige Versäumnisse im Umgang mit der NS-Vergangenheit überkompensiert. Ähnlich, wie man früher seine „braunen Fehltritte“ verdrängte, werden jetzt seine unbestreitbaren Verdienste um die Wissenschaft und die Umwelt vergessen, was ähnlich falsch ist und ihm auch Unrecht tut.

Was würde ihm denn gerecht werden?

Föger: Seine Widersprüchlichkeiten zu akzeptieren und auszuhalten. Lorenz war halt einfach beides: Auf der einen Seite war er ein visionärer Forscher mit einem großen Ego, der weit über die Wissenschaft hinaus einflussreich wurde und ohne den es in Österreich vermutlich die Kraftwerke in Zwentendorf und Hainburg geben würde. Auf der anderen, dunkleren Seite war er einige Zeitlang ein begeisterter Parteigänger der Nazis, was sowohl mit politischer Naivität, Opportunismus, aber auch den politischen Umständen vor 1938 zu tun hatte. In unseren polarisierten Zeiten, wo es fast nur schwarz oder weiß gibt, sind solche Widersprüche und Ambivalenzen anscheinend besonders schwer auszuhalten.

Taschwer: Aber genau das macht seine Lebensgeschichte mit all ihren Höhen und Tiefen aber auch so spannend, in denen sich auch die Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert spiegelt: seine paradiesische Kindheit in der Monarchie, die wissenschaftlichen Durchbrüche in der krisenhaften Zwischenkriegszeit, seine Fehltritte nach 1938, die Jahre der Bewährung in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, seine Triumphe in den 1960er- und 1970er-Jahre als Wissenschaftler und danach auch noch als Umweltschützer. Eigentlich wäre dieses Leben der ideale Stoff für eine mehrteilige Fernsehserie. Es ist jedenfalls kein Zufall, dass demnächst im Piper-Verlag auch ein Roman über ihn herauskommen wird.

Konrad Lorenz erhält den Nobelpreis vom schwedischen König Carl XVI. Gustaf
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Konrad Lorenz erhält 1973 den Nobelpreis vom schwedischen König Carl XVI. Gustaf

Das neue Cover Ihrer Biografie zeigt Konrad Lorenz in etwas ungewohnter Pose: in kurzer Badehose mit Flossen und Schnorchel in der Hand, im Hintergrund Palmen und Meer. Was hat es damit auf sich?

Föger: Abgesehen davon, dass es ein schönes Foto ist, wollten wir damit auch ein Stückweit vom Gänsevater und den üblichen Konrad-Lorenz-Klischees wegkommen. Das Foto entstand in den 1960er-Jahren in Florida, wo er immer wieder zum Schnorcheln hinflog und wo er sich entscheidende Anregungen für sein Buch „Das sogenannte Böse“ holte. Dieses damals heiß diskutierte Werk – und vor allem die englische Übersetzung „On Aggression“ – machte ihn endgültig zum Weltstar. Es ist auch heute noch sein in der Wissenschaft mit Abstand meistzitiertes Buch, obwohl es praktisch ohne Fußnoten und Bibliografie auskommt und eher dem Genre des Nature Writing zuzurechnen ist.

Taschwer: Diese Aufnahme hat auch insofern einen interessanten Hintergrund, als sie von Hans Zeisel gemacht wurde, einem jüdischen und sozialdemokratischen Rechts- und Sozialwissenschaftler, der nach dem „Anschluss“ in die USA flüchten musste. Lorenz und Zeisel waren vor 1938 befreundet, und nach einem klärenden Gespräch Anfang der 1950er-Jahre erneuerte Zeisel seine Freundschaft, obwohl er mit seiner Frau 38 Familienmitglieder im Holocaust verloren hatte. Er war dann allerdings enttäuscht darüber, dass sich Lorenz insbesondere nach dem Nobelpreis in der Öffentlichkeit nie offen zu seinem Verhalten in den NS-Zeit äußerte.

Zurück zur Wissenschaft: Was bleibt Ihrer Ansicht nach 50 Jahre nach dem Nobelpreis von Konrad Lorenz als Wissenschaftler?

Föger: Lorenz war der eigentliche Begründer der vergleichenden Verhaltensforschung als Fach. Diese historische Leistung, die ihm letztlich auch den Nobelpreis eintrug, bleibt natürlich. Zugleich war diese Forschungsrichtung zumindest im deutschsprachigen Raum sehr eng mit seiner Person verbunden. Das zeigt sich auch daran, dass jenes Max-Planck-Institut (MPI), dass er bis 1973 leitete, eine Generation nach Lorenz in ein Institut für Ornithologie umbenannt wurde. Und seit heuer heißt es MPI für tierische Intelligenz: Während Lorenz vor allem am arttypischen angeborenen Verhalten interessiert war, geht es heute in der Forschung wieder sehr viel mehr um die individuellen kognitiven Leistungen bei den Tieren.

Taschwer: Ich würde noch zwei andere Dinge ansprechen, die bis heute nachwirken. Lorenz zog in der NS-Zeit einige krude Analogieschlüsse zwischen tierischem und menschlichem Verhalten – Stichwort Domestikation – und erhielt 1940 als Zoologe auch eine Professur für Psychologie. Das führte nach 1945 insbesondere im deutschsprachigen Raum zur Errichtung einer Art Brandmauer zwischen der Tier- und Humanpsychologie, die bis heute existiert, aber meines Erachtens längst kontraproduktiv ist. Zum anderen sind es seine wunderbar erzählten Tierbücher, die nach wie vor eine lohnenswerte Lektüre sind und viele Menschen für Tiere und die Biologie begeisterten. Lorenz war ein genialer Kommunikator, und das ist etwas, was angesichts der grassierenden Wissenschaftsskepsis gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.