Beate Sirota 1946
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Beate Sirota

Die Wienerin, die Japans Frauenrechte entwarf

In Japan gilt sie als feministische Ikone, in Österreich ist sie wenig bekannt: Beate Sirota Gordon. Die gebürtige Wienerin hat die frauenrechtlich relevanten Artikel der japanischen Verfassung entworfen. Vor 100 Jahren, am 25. Oktober 1923, wurde Sirota geboren – Anlass für eine Würdigung.

Wie kann die Lebenssituation japanischer Frauen verbessert werden? Von welchen Veränderungen würden sie am meisten profitieren? Diese Gedanken gehen der 22-jährigen Beate Sirota durch den Kopf, als sie im Februar 1946 in Tokyo fieberhaft die Verfassungen mehrerer Länder studiert. Sie weiß: Frauen in Japan haben keine freie Partnerwahl, keine Vermögensrechte, sind nicht klageberechtigt, haben kein Recht auf Bildung, kein Wahlrecht. Sie sind machtlos. „Frauen sind als inkompetent zu betrachten“, heißt es in der alten japanischen Verfassung. Diese soll nun, nach dem Ende des Pazifischen Krieges, durch eine neue, von der Siegermacht USA verfasste, ersetzt werden.

Weshalb eine neue Verfassung?

Japan, im Februar 1946. Das Land ist nach den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki und der Kapitulation im August 1945 unter Besatzung der USA. Japan soll eine demokratische, friedvolle, auf Gleichheit und Bürgerrechten beruhende Gesellschaft werden. In einer Top-Secret-Aktion lässt der Chef der US-Besatzungsbehörde, General MacArthur, die neue Verfassung entwerfen und gibt seinem Team rund eine Woche Zeit.

Eine der beiden Frauen im Team ist die Dolmetscherin Beate Sirota. Sie spricht perfekt Deutsch, Japanisch, Englisch, Französisch und Russisch. Sie wird Artikel 14 und 24 entwerfen, und damit Japans Frauen zu Rechten bezüglich Heirat, Scheidung, Besitz und Erbschaft verhelfen, die sie bisher nicht hatten. Artikel 24 ersetzt das alte japanische Hausherrenrecht, und legt fest, dass eine Ehe „nur auf der gegenseitigen Zustimmung der Partner“ gründen und „auf der Grundlage der Gleichberechtigung von Mann und Frau“ geführt werden darf.

Beate Sirota 1947
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Beate Sirota 1947

Enge Verbindung zu Japan

Beate Sirota wächst in Japan auf und kennt die japanische Gesellschaft gut. Am 25. Oktober 1923 in Wien geboren, emigriert sie mit fünf Jahren mit ihren Eltern nach Japan. Vater Leo Sirota ist der berühmte russisch-jüdische Klaviervirtuose aus Kiew, Mutter Augustine stammt aus der Familie des Dirigenten Jascha Horenstein. Beate besucht zuerst die Deutsche Schule in Yokohama, doch als der nationalsozialistische Einfluss immer grösser wird, geht sie nach Kalifornien. Die Kriegsjahre verbringt sie in den USA. Die Eltern werden im japanischen Bergort Karuizawa interniert. Nach dem Krieg arbeitet Beate für die amerikanische Armee und kehrt mit dieser nach Japan zurück, um ihre Eltern zu suchen.

In ihrer Autobiografie „The Only Woman in the Room“ erzählt sie, wie ihr während der Arbeit am Verfassungstext Familien in Japan einfallen, die zu arm waren, die Kinder zur Schule oder zum Arzt zu schicken, oder die ihre Kinder verkaufen mussten, um die restlichen Münder zu stopfen. Sie erinnert sich an japanische Frauen, die mit den Konkubinen ihres Mannes im selben Haushalt leben mussten.

Buchcover „The only woman in the room“
University of Chicago Press

Buchhinweise

Beate Sirota Gordon, The Only Woman in the Room, Kodansha Tokyo NewYork London 1997; Nassrine Azimi und Michel Wasserman, Last Boat to Yokohama. The Life and Legacy of Beate Sirota Gordon.

Links

Als sich Amerikaner und Japaner an einen Tisch setzen, um den Entwurf für die neue japanische Verfassung zu besprechen, ist Beate Sirota die einzige Frau im Raum – das wird sie später zum Titel ihrer Autobiografie inspirieren. Aufgrund ihrer Sprachkenntnisse ist sie ein wichtiges Bindeglied zwischen der amerikanischen Besatzungsbehörde und der japanischen Regierung. Am 3. November 1946 wird die Verfassung verkündet, ein halbes Jahr später tritt sie in Kraft.

50 Jahre Schweigen

Jahrzehntelang schweigt Beate Sirota über ihre Mitarbeit an Japans Nachkriegsverfassung. Erst 1997, nach Ablauf der amerikanischen Sperrfrist, erzählt sie in ihrer Autobiografie davon. Sie sei besorgt gewesen, dass es der politischen Rechten in Japan und den Gegnern der Verfassung in die Hände spielen könnte, wenn diese wüssten, dass eine so junge Frau, die noch dazu keine Juristin war, diese Artikel entworfen hat, erzählt die japanische Verfassungsrechtlerin Noriko Wakao im science.ORF.at-Interview.

Artikel 24 habe den japanischen Frauen großen Mut gegeben, sagt Wakao. Sie selbst traf Beate Sirota 2003 bei einem Vortrag in Hiroshima, und fragte sie, ob sie selbst nicht auch Mut aus Artikel 24 geschöpft habe. Das sei sie zum ersten Mal gefragt worden, antwortete Sirota Gordon erfreut, und: „Ja! Seit meiner Rückkehr in die USA habe ich viel über Artikel 24 nachgedacht und selbst danach gelebt.“

Anhaltender Kampf um die Verfassung in Japan

„Meine Mutter war eine große Kämpferin sowohl für Feminismus als auch für Frieden“, sagt ihr Sohn Geoffrey Paul Gordon im science.ORF.at-Interview. Sie sei auch auf Artikel 9 der japanischen Verfassung überaus stolz gewesen. Der „Friedensartikel“ verbietet Japan ein eigenes Heer, erlaubt nur Selbstverteidigungstruppen und enthält den Verzicht auf Krieg. Auch in den – anhaltenden – Kampf für den Erhalt von Artikel 9 und gegen die Bestrebungen rechter Kräfte, diesen auszuhöhlen oder abzuschaffen, sei Beate involviert gewesen, erzählt ihr Sohn. Das letzte Interview vor ihrem Tod habe sie der Zeitung Asahi-Shimbun zu Artikel 9 gegeben.

1947 kehrte Beate Sirota Gordon, die mittlerweile den amerikanischen Geheimdienstoffizier Joseph Gordon geheiratet hatte, in die USA zurück. Sie engagierte sich im interkulturellen Kulturaustausch, förderte vor allem Performing Arts aus Asien und leitete die Asia Society. „East meets West“ sei ihr Lebensthema gewesen, sagt Geoffrey Paul Gordon, ebenso die Vermittlung von Wissen über Japan.

Beate Sirota Gordon-Preis

Am 30. Dezember 2012 stirbt Beate im Alter von 89 Jahren. In Würdigung ihrer Verdienste um die Frauenrechte ruft das Österreichische Kulturforum Tokyo 2022 unter der Leitung des damaligen Direktors Mario Vielgrader den Beate Sirota Gordon-Preis ins Leben. Er habe eine faszinierende Persönlichkeit und ihre Verdienste vor den Vorhang holen und Projekte in ihrem Sinne fördern wollen, sagt der Diplomat.

Ausgezeichnet werden künstlerische Arbeiten aus Österreich auf den Gebieten Gendergerechtigkeit und Frauenrechte. Um Beates Geschichte zu vermitteln, hat das Kulturforum das für Japan sehr adäquate Medium eines Mangas gewählt: Die nächste Ausschreibung für den Beate Sirota-Preis 2024 ist demnächst, verliehen wird er am 8. März 2024.