Jemand hält Algen/Seetang in seinen Händen
AFP – LOIC VENANCE
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Archäologie

Algen waren in Europa schon früher ein „Superfood“

Algen gelten heutzutage als gesundheitsförderndes und nachhaltiges Superfood aus dem asiatischen Raum. Doch laut einer neuen Studie sind verschiedene Wasserpflanzen und Meeresalgen bis ins frühe Mittelalter auch in Europa oft auf dem Speiseplan gestanden.

Das berichtet ein Forschungsteam um den Archäologen Stephen Buckley von der britischen University of York soeben in der Fachzeitschrift „Nature Communications“. Die Fachleute haben den Zahnstein von 74 Individuen vor allem aus der Mittel- und Jungsteinzeit untersucht, die aus 28 Ausgrabungsstätten in ganz Europa stammen – von Nordschottland bis Südspanien.

Dabei fanden sie eindeutige Beweise, dass sowohl Meeresalgen als auch Süßwasserpflanzen wichtige Nahrungsquellen darstellten. Einige der Ausgrabungsstätten stammen aus dem sechsten und zehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung.

Ernährungsphysiologische Vorteile

Bisher wurde angenommen, dass mit Beginn des Ackerbaus und der Viehhaltung in der Jungsteinzeit Nahrungsmittel aus dem Meer und anderen Gewässern an Bedeutung verloren haben. Die neue Studie zeigt, dass die Menschen aber schon damals die ernährungsphysiologischen Vorteile von Algen erkannt und wohl bewusst weiter genutzt haben. Algen sind etwa gute Lieferanten von Jod.

"Heute sind Seetang und Süßwasserpflanzen in der westlichen Ernährung praktisch nicht vorhanden. Es hat lange gedauert, bis sie sich hier von einem verbreiteten Nahrungsmittel zu einem Tierfutter und Notfallmittel bei Hungersnöten gewandelt haben“, sagt die Archäologin und Studien-Hauptautorin Karen Hardy von der Universität Glasgow.

Eine der steinzeitlichen Ausgrabungsstätten auf einer Orkney-Insel im Norden Schottlands, von hier stammen 15 der untersuchten Individuen
Karen Hardy
Eine der steinzeitlichen Ausgrabungsstätten auf einer Orkney-Insel im Norden Schottlands, von hier stammen 15 der untersuchten Individuen

Nachhaltige Lebensmittelressource

Zeugnisse für diesen Übergang sind relativ rar: Der römische Geschichtsschreiber Plinius erwähnte im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung Echten Meereskohl als Mittel gegen Skorbut für Seefahrer, historische Dokumente berichten etwa von Gesetzen zum Sammeln von Algen in Island, der Bretagne und Irland im 10. Jahrhundert.

Später galten Algen in Europa als Hungernahrung, und obwohl Algen und Süßwasserpflanzen in Teilen Asiens sowohl ernährungsphysiologisch als auch medizinisch weiterhin wirtschaftlich wichtig sind, gibt es auf dem „alten Kontinent“ nur einen geringen Konsum. Mit der Wiederentdeckung der Algentradition möchte die Forschungsgruppe um Hardy und Buckley auf das Potenzial „alternativer, lokaler und nachhaltiger Lebensmittelressourcen“ hinweisen – im Vergleich zu jenen, die in der heutigen intensiven Landwirtschaft des Westens vorherrschen und Gesundheit sowie Umwelt belasten.