Designerin und Forscherin Dani Clode von der University of Cambridge (Gro§britannien) mit der Daumen-Prothese.
APA/ÖAW/DANIEL HINTERRAMSKOGLER
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Technologie

Dritter Daumen: Zwischen Prothese und Erweiterung

Prothesen werden dank technischen Fortschritts echten Armen und Beinen immer ähnlicher. Doch der Grat zwischen hilfreicher Prothese und eher fragwürdiger Körpererweiterung ist schmal. Darauf machten Fachleute bei einer Konferenz in Wien aufmerksam – und zeigten ein Beispiel: einen „dritten Daumen“.

Dieser „dritte Daumen“ geht auf die Arbeit der Designerin und Forscherin Dani Clode von der University of Cambridge zurück, eine der Sprecherinnen bei der Konferenz. Der „dritte Daumen“ sitzt knapp unter dem kleinen Finger und kann sich mittels zweier Motoren in etwa so bewegen wie der ihm dann gegenüberliegende natürliche Daumen.

Angesteuert wird das System über unter den Zehen angebrachte Drucksensoren. Damit umzugehen, lernt man schnell, wie britische Forscherinnen und Forscher aus dem „Third Thumb Project“ u. a. im vergangenen Jahr bei einer Wissenschaftsausstellung in London zeigten, als Kinder und Jugendliche den künstlichen Daumen testeten.

Zusätzliche Schicht des Körpers

Was in der Welt der Prothetik heute schon alles möglich ist und welche teils weitreichenden Ideen es für Verbindungen zwischen technischen Systemen und lebenden Organismen schon gibt, ist Gegenstand des noch bis Mittwoch dauernden Forschungstreffens unter dem Titel „Convergence?“ – in etwa zu übersetzen mit „Zusammenwachsen?“.

Die Konferenz „Convergence?“ wird von der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und dem Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) organisiert.

Eines der damit verbundenen Fragezeichen ist auch, ob man sich hier noch im Bereich der medizinisch untermauerten und angezeigten Hilfestellung für Menschen, die unter körperlichen Beeinträchtigungen leiden, bewegt, oder ob es schon um die gezielte Erweiterung des menschlichen Körpers mittels Technik („Augmentation“) geht.

Gerade der „Dritte Daumen“ kann das illustrieren: Einmal angebracht an der verstümmelten Hand eines Patienten oder einer Patientin fungiert er gewissermaßen als Prothese; an der anderen, gesunden Hand könnte er eher als Erweiterung angesehen werden. Für Clade ist letzteres als eine Art zusätzliche Schicht des Körpers anzusehen – wenn etwa ein Exoskelett einem Arbeiter oder einer Arbeiterin dabei hilft, schwere Dinge zu bewegen.

Wahrnehmung und Gehirn reagieren schnell

Prothese oder Augmentation hin oder her: Die Nutzung von Technologien mit mehr oder weniger direkter Schnittstelle zum menschlichen Körper und Geist wirkt zurück. So hat zum Beispiel Clode u.a. zusammen mit ihrer Uni Cambridge-Kollegin Tamar Makin herausgefunden, dass sich bereits nach fünf Tagen moderatem Training mit dem dritten Daumen die Wahrnehmung der Finger im Gehirn der Versuchspersonen ein Stück weit zu verschieben beginnt.

Makin konnte in Untersuchungen auch bereits zeigen, dass für künstliche Extremitäten im Gehirn ihrer Träger neue Kategorien gebildet werden können. Sie müssen also nicht unbedingt an die Ansteuerungs- und Wahrnehmungskanäle für „Hand“ oder „Werkzeug“ gekoppelt werden. „Das Gehirn kann andere Lösungen finden“, betonte Makin.

Der zentrale Schlüssel für eine sinnvolle und hilfreich erlebte Prothesennutzung sei aber trotz aller technologischer Überlegungen der Faktor, zu welchem Grad das System als Teil des eigenen Körpers erlebt werden kann. Die Forschung nennt das „Embodiment“.

Hände sind Wahrnehmungsorgane

In Zukunft werden Hightech-Prothesen in das Skelett integriert, über umgeleitete Nervensignale in Muskeln angesteuert und von Hochleistungsalgorithmen unterstützt auch Rückmeldung an den Nutzer geben – diese Vision beschrieb ein Forscherteam um Oskar Aszmann von der Medizinischen Universität Wien schon vor mehr als zwei Jahren im Fachblatt „Nature Biomedical Engineering“. Warum es vor allem schnelle Rückmeldung von der Prothese an den Körper braucht, machte Aszmann nun im Festsaal der ÖAW klar.

Darum müsse man die „Sprache der Nerven“ und der Muskeln verstehen lernen, so der Mediziner und Technologieentwickler, der in den vergangenen Jahren mit seinem Team aufsehenerregende Fortschritte etwa mit direkt am Knochen angebrachten, neuartigen Arm- oder Beinprothesen erzielen konnte.

Für ihn ist klar: Eine Hand ist bei weitem nicht nur ein ausführendes Organ für Bewegungen, sie ist ein „Wahrnehmungsorgan“, das im Gehirn beginnt. Nicht umsonst sage man etwa, dass man in einer Tasche „nachschauen“ wird, um dann mit den Fingern hineinzulangen: „Meine Finger können sehen“, so Aszmann. In den kommenden Jahren wird sich auch durch neue Ideen für Verbindungen direkt ins Gehirn, den Einsatz von Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) und große Investitionen großer Tech-Unternehmen klarer zeigen, inwieweit solche Fähigkeiten künftig mit technischer Hilfe umgesetzt werden können.