Im Zuge der Coronapandemie richtete die US-Katastrophenschutzbehörde FEMA (Federal Emergency Management Agency) die „Coronavirus Rumor Control“-Website ein, um die Bevölkerung aufzuklären und etwaige Gerüchte rund um die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zu widerlegen.
Eine ganze Reihe weiterer US-Bundesbehörden betreiben entsprechende Rumor Control Websites – ob es um die Sicherheit von Wahlen geht oder die Gefahren, welche von E-Zigaretten für die Gesundheit der Menschen ausgehen: Stets soll der Verbreitung von Gerüchten mit verlässlichen Informationen vorgebeugt werden, so die Idee.

Über den Autor
Thilo Neidhöfer hat Geschichte und Politikwissenschaft in Oldenburg und Long Beach studiert und ist derzeit IFK Research Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften der Kunstuniversität Linz in Wien.
Hinter diesen Aufklärungskampagnen, die mittlerweile mit Begriffen wie „misinformation“, „disinformation“ und „malinformation“ (MDM) im Wesentlichen zwischen der unbeabsichtigten und der beabsichtigten Weitergabe von Falschinformationen unterscheiden, steht die Annahme, dass diese eine mögliche oder reale Gefahr für die amerikanische Gesellschaft darstellen. Und zwar indem sie das Vertrauen in Institutionen untergraben, zu schädlichem Verhalten anleiten oder Gewalt auslösen können. Unter dem Banner der Gerüchtebekämpfung geht es jeweils um die öffentliche oder nationale Sicherheit.
Gerüchtebekämpfung an der home front
Die Bekämpfung von Gerüchten hat eine längere Geschichte. Das staatlich organisierte Rumor Control in den USA nahm indes während des Zweiten Weltkriegs seinen Anfang. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor hatten sich Falschinformationen darüber so massiv verbreitet, dass der Präsident Franklin D. Roosevelt darin eine ernste Bedrohung für sein Land erkannte.
Um der Gerüchte Herr zu werden, wurde 1942 das „Rumor Project“ von der US-Regierung lanciert. Einerseits befasste es sich mit dem Sammeln von Gerüchten. Dafür rekrutierte man unterschiedliche Leute aus der Bevölkerung: Friseure, Polizisten, Bibliothekare, Lehrer, Taxifahrer, Bankangestellte oder Zahnärzte. Diese sollten Gerüchte aus ihren Communities zusammentragen und an die Bundesbehörde melden. In insgesamt 42 Bundesstaaten wurden solche „Local Rumor Control Projects“ initiiert.

Mit breitangelegten Aufklärungskampagnen, im Radio, mit Filmen und vor allem Postern, die an Bahnhöfen, Postämtern und Lebensmittelgeschäften aushingen, sollte die Bevölkerung andererseits für die vermeintlichen Gefahren, die von Gerüchten für die eigenen Kriegsanstrengungen ausgingen, sensibilisiert werden. Man befürchtete, dass der Feind durch „careless talk“ wichtige Informationen zum amerikanischen Militär erfahren und Gerüchte insgesamt die Kriegsmoral der eigenen Gesellschaft schwächen könnten.
Daneben entstanden in ganz Nordamerika zahlreiche sog. „Rumor Clinics“, für die Boston das Vorbild lieferte. Dort arbeiteten Gordon Allport und sein Doktorand Robert Knapp vom Psychologie Department der Harvard University mit dem „Boston Herald“ zusammen. In einer wöchentlichen Kolumne wurden weitverbreitete Gerüchte analysiert und widerlegt.
Rumor Control als Riot Control
Die in den 1940er Jahren unternommene Forschung zu Gerüchten und ihrer Eindämmung wurde auch nach dem Krieg weitergeführt. Als es Mitte der 1960er Jahre im Zuge der Bürgerrechtsbewegung zu sogenannten Race Riots kam, griffen Sozialwissenschaftler die Ideen von Rumor Control wieder auf. In fast einhundert Städten des Landes wurden Rumor Control Centers errichtet, die jeweils eng mit der örtlichen Polizei kooperierten.
Vortrag
Thilo Neidhöfer hält am 30. Oktober 2023, 18:15 Uhr, am IFK einen Vortrag mit dem Titel „Gefährliche Gerüchte. Eine Geschichte von Rumor Control in den USA“; dieser findet hybrid statt.
Über Telefonhotlines sollte die Bevölkerung Gerüchte über bevorstehende Unruhen melden. So sollten gewaltsame Ausschreitungen schon im Keim erstickt werden, so die Vorstellung. In der Praxis wurden die Zentren aber überwiegend von Weißen, insbesondere Frauen aus den Suburbs genutzt, die ihre oftmals rassistisch motivierten Ängste berichteten. Den schwarzen Communities der Städte haben die Rumor Control Centers hingegen nicht gedient. Mit dem vorübergehenden Ende der Race Riots schien auch die Existenzgrundlage der Zentren zu entfallen, die nach und nach ihren Betrieb einstellten.

Gerüchte als Waffe
In ganz anderer Weise wiederum wurden Gerüchte von der US-Regierung systematisch eingesetzt, um die schwarze Bürgerrechtsbewegung zu diskreditieren. Das berüchtigte Counter Intelligence Program (COINTELPRO) des FBI unter J. Edgar Hoover bediente sich u.a. Methoden aus dem Arsenal der psychologischen Kriegsführung. Mit dem sog. “Bad-jacketing" etwa wurden absichtlich Falschinformationen über führende Mitglieder der Bewegung verbreitet, um Misstrauen unter ihnen zu erzeugen und die Bewegung zu zersetzen. Es wurden sogar Briefe an Frauen geschickt, in denen ihren Männern Affären angedichtet wurden, um ihre Ehen zu zerstören.
Vertrauenssachen
Die Geschichte von Gerüchten und ihrer Eindämmung lässt sich gerade in den USA als eine des Vertrauens- und Misstrauensverhältnisses von Bevölkerung und Regierung betrachten. Um dieses ist es in letzter Zeit jedenfalls nicht gut bestellt. Seit Ende der 1970er Jahre nimmt das Vertrauen der Bürger in die wichtigsten Institutionen des Landes kontinuierlich ab.
Eine Gallup-Umfrage aus dem Juli dieses Jahres bescheinigt den Amerikanern sogar ein historisches Tief diesbezüglich. Der Kongress erreichte mit mageren acht Prozentpunkten einen der niedrigsten Werte aller Zeiten. Ob die historischen Versuche von Rumor Control jemals zu einer Vertrauensbildung in dieser Hinsicht beigetragen haben, erscheint jedenfalls zweifelhaft.