Filmszente aus  Universum History Maria Theresias dunkle Seite: Maria Theresia (Fanny Krausz) unterschreibt den Vertreibungsbefehl.
ORF/EPO Film/Oliver Indra
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Antijudaismus

Maria Theresias dunkle Seite

Der gerade um sich greifende Antisemitismus hat eine lange Vorgeschichte. Ein unterbelichtetes Kapitel betrifft Maria Theresia, Königin von Böhmen und Ungarn. 1744 ließ die „gütige Landesmutter“ alle Juden und Jüdinnen aus Prag vertreiben – die Habsburgerin war von Judenhass angetrieben. Mit diesem lange tabuisierten Aspekt befasst sich nun eine neue „Universum History“-Doku.

Der Historische Hintergrund: Prag ist Ende des 17. Jahrhunderts eine der bedeutendsten und wichtigsten jüdischen Gemeinden Europas. Als Maria Theresia die Juden vertreiben lässt, kämpfen Österreich und Preußen gerade im Zweiten Schlesischen Krieg (1744/45) um die Vorherrschaft in Schlesien. Die Juden werden der Unterstützung Preußens und der Illoyalität beschuldigt. Maria Theresia hatte bereits 1742 Pläne zu ihrer Ausweisung aus Prag, erzählt der israelische Historiker Michael Silber von der Hebrew University, Jerusalem, und sie wollte die Juden aus ganz Böhmen und Mähren vertreiben: „Den Befehl für Böhmen und Mähren widerrief sie zwar nicht, beschloss jedoch, ihn aufzuschieben. 1748 durften die Juden nach Prag zurückkehren.“

Eine Art Familientradition

In einem Brief an eine ihrer Hofdamen schreibt Maria Theresia, sie empfinde Ekel gegenüber Juden. Michael Silber sagt: „Leute, die sie kannten, meinten, in dieser Sache sei sie krankhaft gewesen.“ Sie habe eine instinktive Abneigung gegen Juden gehegt, so Silber, einen unerklärlichen Hass, dessen Intensität selbst ihr Nahestehende überrascht habe.

Sendungshinweis

„Universum History“: Maria Theresias dunkle Seite – Die Vertreibung der Juden aus Prag (31.10., 21:07 Uhr, 2.11. 12:15 Uhr, ORF 2)

Silber verweist auf eine Art Familientradition unter den Habsburgern: „Ihr Großvater Leopold I. hat im 17. Jahrhundert die Juden aus Wien vertrieben. Sie war eine Nachfahrin von Isabella und Ferdinand, die schon 1492 die Juden aus Spanien vertrieben haben.“ Auch die deutsche Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger spricht gegenüber science.ORF.at. von einer „Familientradition“ – bereits Maria Theresias Vorfahren hätten eine erbarmungslose Judenpolitik betrieben.

Kolorierter Kupferstich über das Pogrom im November 1744 in Prag, ausgestellt in der Maisel-Synagoge in Prag.
ORF/EPO Film/Oliver Indra
Kolorierter Kupferstich über das Pogrom im November 1744 in Prag, ausgestellt in der Maisel-Synagoge in Prag

Christlich motivierter Judenhass

Stollberg-Rilinger sieht die Wurzeln für Maria Theresias Antijudaismus zum Teil in einem religiösen Judenhass: Juden galten als Christusmörder, als geborene Feinde der Christen, die diesen zu schaden suchten, wo sie nur könnten. In diesem Fall, weil sie angeblich den Feind Preußen unterstützten, was Motiv für den Ausweisungsbefehl war.

Aber, so Stollberg-Rilinger: „All das erklärt den beharrlichen, geradezu irrationalen Hass nicht vollkommen. Es bleibt ein Rest, der sich meinem Verständnis entzieht. Dass sie zum Beispiel als vielfache Mutter kein Mitleid mit den Frauen und Kindern hatte, die mitten im eiskalten Winter von einem Tag auf den anderen zu Tausenden die Stadt verlassen mussten, ohne woanders eine Bleibe zu haben, das ist schwer zu begreifen.“

In Standardwerken thematisiert

„In Standardwerken zur jüdischen Geschichte in der Habsburgermonarchie war Maria Theresias Judenhass immer schon ein prominentes Thema“, sagt Stollberg-Rilinger. Sie erwähnt Quellen wie die hebräische Chronik Igereth Machalath aus dem 18. Jahrhundert, in der die Leiden der Prager Juden als „gottgesandtes Verhängnis“ beschrieben sind. Auch der Kaiserliche Oberhoffaktor „Hofjude“ Wolf Wertheimer berichte in Korrespondenzen der Jahre 1744-48 über ihren Antijudaismus. In der klassischen Biographie Maria Theresias, die der Wiener Archivdirektor Alfred von Arneth im 19. Jh. verfasst hat, kommt das Thema ebenfalls vor, sagt Stollberg-Rilinger: „Arneth, sonst ein uneingeschränkter Bewunderer der Kaiserin, fand immerhin Worte der Missbilligung.“

Der jüdische Friedhof in Prag
ORF/EPO Film/Oliver Indra
Der jüdische Friedhof in Prag

Nach 1945 dezent verschwiegen

In der populären Literatur nach 1945 wurde das Thema jedoch dezent verschwiegen. Im kollektiven Gedächtnis Österreichs ist Maria Theresia als positive Figur verankert, sagt die Direktorin des Jüdischen Museums Wien, Barbara Staudinger: „Sie wird als Landesmutter erinnert – da passt Judenhass nicht dazu!“ Bisher sei auch zu wenig über den Antijudaismus am ganzen Hof Maria Theresias bekannt – da gebe es ein Forschungsdesiderat, so Staudinger.

Auch im Katalog zur Wiener Ausstellung anlässlich des 200. Todestages von Maria Theresia 1980 ist das Thema nicht enthalten. Historikerin Stollberg-Rilinger schreibt in ihrer 2018 erschienenen Maria Theresia-Biografie (Leseprobe) darüber.

Und zwar so anschaulich, dass Filmregisseurin und Autorin Monika Czernin beim Lesen wusste: Dieses Thema möchte sie in einem Film darstellen. Ihr war es vor allem wichtig, es einem breiteren Publikum nahezubringen, so die Regisseurin. Der Film kratzt am Mythos der gütigen „Mutter der Völker“ Maria Theresia, in dem er diese dunkle Seite der Herrscherin darstellt.

Ökonomie bringt Maria Theresia zum Einlenken

Die Juden von Prag starten eine europaweite Kampagne, um die Regentin zum Einlenken zu bringen. Anführer der ersten diplomatischen Großaktion der Juden als Volk sind Wolf Wertheimer und Diego d’Aguilar. Zahlreiche Schreiben treffen in Wien ein, die Gesandten Englands und Hollands werden bei Maria Theresia vorstellig und sogar der Papst bittet die fromme Katholikin um Nächstenliebe.

Letztlich überzeugen Maria Theresia ökonomische Gründe, den Ausweisungsbefehl zurückzunehmen. Denn die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Prag ist ein wirtschaftlicher Rückschlag. Die Wirtschaft des wichtigsten Kronlandes Böhmen bricht zusammen, die Auswirkungen sind bis ins Heilige Römische Reich zu spüren. 1748 zieht Maria Theresia ihren Befehl zurück und gewährt den Juden einen befristeten Aufenthalt von zehn Jahren in Böhmen.

“Hofjuden“ sorgten für Finanzierung

Sogenannte Hoffaktoren, die zeitgenössische Quellen als „Hofjuden“ bezeichnen, besorgen für Maria Theresia und andere europäische Herrscher Luxuswaren, Kapital oder Heereslieferungen. „Sie übernahmen die riskantesten Finanzierungen, die andere nicht erfüllen konnten oder wollten“, analysiert Historiker Michael Silber.

Solche Risken bedeuteten entweder hohe Gewinne – die wiederum den Neid anderer hervorriefen – oder aber hohe Schulden, bis hin zum Bankrott, wenn undankbare Monarchen sich weigerten, ihre Schulden zurückzuzahlen. Maria Theresias Großvater Leopold I., erzählt Silber, habe sich zum Beispiel geweigert, Samuel Oppenheimer die millionenhohen Schulden zurückzuzahlen, und diesen so in den Bankrott getrieben.

Privileg von Maria Theresia für die Prager Juden 1755, nachdem sie 1748 nach Prag zurückgekehrt sind.
ORF/EPO Film/Oliver Indra
Privileg von Maria Theresia für die Prager Juden 1755, nachdem sie 1748 nach Prag zurückgekehrt sind

Parallelen zum 20. Jahrhundert

Filmemacherin Monika Czernin spannt in ihrer Doku den Bogen zum 20. Jahrhundert und zur Shoah. Der religiöse Antijudaismus über Jahrhunderte könne durchaus als Wurzel für den Antisemitismus der Nationalsozialisten gesehen werden, meint der israelische Historiker Michael Silber. „Der Exodus von 10.000 Menschen, bei Eiseskälte und mitten im Winter erinnert an die 1930er Jahre, als die Juden Deutschland verlassen mussten“, so Silber.

Bei ihrer Vertreibung aus Prag mussten die Juden all ihr Eigentum verkaufen, weil sie nicht wussten, dass sie in drei Jahren zurückkommen würden. So verkauften sie vieles unter dem Preis, was ebenfalls eine Parallele zu den 1930er Jahren ist. Als die Juden 1748 nach Prag zurückkehren dürfen, müssen sie eine sogenannte Toleranzabgabe zur Wiedergutmachung der Schäden im zerstörten Ghetto entrichten. Assoziationen an die 1931 eingeführte und 1934 verschärfte „Reichsfluchtsteuer“, die „ausreisewillige“ Juden dem Nazi-Regime zahlen mussten, werden wach. Nach Jahrhunderten der antijüdischen Verfolgung im christlichen Europa ist Maria Theresias Befehl der letzte von einer Herrscherin oder einem Herrscher verordnete Terrorakt gegen Juden vor der Shoah.