Afrika, Giraffen, Savanne, Natur, Landschaft, Wolken, Bäume
noon@photo – stock.adobe.com
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Wie Filme Klischees über Afrika fördern

Über Afrika werden im Kino nach wie vor viele Klischees verbreitet. Eine wichtige, bisher aber wenig erforschte Rolle spielt dabei die Filmmusik. Die Musikwissenschaftlerin Maria Fuchs beschreibt in einem Gastbeitrag diese musikalischen Stereotype.

„Im Titel müssen Sie immer Afrika oder Finsternis oder Safari unterbringen. Im Untertitel können Worte wie Sansibar und Massai vorkommen oder Zulu, Sambesi, Kongo, Nil, groß, Himmel, Schatten, Trommel, Sonne oder vergangen.“

Was den Text angeht, empfiehlt der Autor Kenneth Binyavanga Wainaina in seinem satirisch-bissigen Essay „Wie man über Afrika schreiben soll“ weiters, den Kontinent als ein einziges Land zu behandeln und sich ja „nicht in präzisen Beschreibungen“ zu verlieren. Auf jeden Fall sei zu verdeutlichen, „dass Musik und Rhythmus tief in der afrikanischen Seele wohnen“.

Dies sind nur einige Beispiele der von Wainaina kritisierten Afrika-Klischees, die das koloniale Erbe des Sprechens, Schreibens und audiovisuellen Erzählens über den zweitgrößten Kontinent der Erde bis heute hartnäckig prägen und mit Blick auf deutschsprachige Film- und Fernsehproduktionen alltägliche Realität sind. Wie die bewegten Filmbilder kann auch Musik oder Sound als sinnliche Dimension des Alltags und als kulturelles Ausdrucksmittel nicht losgelöst von den Stereotypen Afrikas betrachtet werden, die im Westen seit der Kolonialzeit als das „Andere“ konstruiert werden und auch das Bild Afrikas in den Massenmedien prägen.

Postkoloniale Narrative in TV-Serien

In Literatur, Film, Fotografie und den dafür „zuständigen“ Wissenschaften findet die kritische Auseinandersetzung mit diesem medial verzerrten Afrika-Bild und der Instrumentalisierung dieses Klischeewissens zur Stabilisierung der (post-)kolonialen Herrschaft einen breiten Diskurs. Insbesondere die abendfüllenden TV-Serien wie „Traumschiff in Afrika“ (2022), TV-Melodramen wie „Mein Herz in Afrika“ (2007) oder auch das filmische „Afrika“ im österreichischen Autorenkino stehen in der Literatur- und Filmwissenschaft seit langem unter dem Generalverdacht postkoloniale Narrative und Mythen sowie ausbeuterische Machtverhältnisse zu bestätigen.

Maria Fuchs, IFK
IFK

Über die Autorin

Maria Fuchs hat Musikwissenschaft, Komparatistik und Gender Studies an der Universität Wien und der Freien Universität Berlin studiert und ist derzeit IFK Research Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften der Kunstuniversität Linz in Wien.

Dabei erreichen Spielfilme, die ihre Liebes- oder Kriminalgeschichten vor der Kulisse afrikanischer Landschaften spielen und ein rassistisches Stereotyp nach dem anderen reproduzieren, regelmäßig Marktanteile zwischen 15 und 20 Prozent. Was wissenschaftlich bisher kaum berücksichtigt wurde, ist der Einfluss von Filmmusik auf kolonial geprägte Konzepte Afrikas sowie die postkolonialen Verhältnisse der Filmmusikproduktion, die das Bedürfnis nach exotischer Unterhaltung befriedigen und Klischees von Authentizität und Exotismus abbilden.

Dudelsack und Kastagnetten

Filmmusikalische Klischees kursieren seit der Stummfilmzeit in verschiedenen Genres. Bekannte Beispiele sind Frederic Chopins „Marche funébre“ (1839) für die Untermalung von Beerdigungsszenen oder Felix Mendelssohns „Hochzeitsmarsch“ (1842) für eben jene programmatische Szenerie. Dudelsack ist im Film noch im Zusammenhang mit Schottland oder Kastagnetten mit Spanien zu hören.

Die geografische Palette in Bezug auf den konventionalisierten Einsatz von Instrumenten, aber auch musikalische Genres wie Barock für Historienfilme oder Soul und Blues für die Beschreibung afroamerikanischer, ghettoisierter Lebensstile, ließe sich vielfach ergänzen – zu den Stereotypisierungsprozessen in kommerziellen audiovisuellen Medien trägt flächendeckend die Praxis von Produktionsmusik (Library Music) bei. Auch das filmische „Afrika“ ist seit den frühesten Stunden der Kinematographie mit musikalischen Stereotypen versehen worden.

Nicht nur „traditionelle“ Musik

„Zulu or African dance“ heißt beispielsweise ein Musikstück des bekannten US-Filmkomponisten John Stefan Zamecnik aus dem Jahr 1913, das speziell auf afrikanische Filmereignisse zugeschnitten war. Mit seinen offenen Quinten und seinem Achtelrhythmus hätte es aber auch für die unspezifische Darstellung eines anderen, nicht-westlichen Settings funktionieren können.

Vortrag

Maria Fuchs hält am 13. November 2023, 18:15 Uhr, am IFK einen Vortrag mit dem Titel „Die Vertonung Afrikas. Filmmusik als kultureller Kolonialismus“; dieser findet hybrid statt.

Dem Musikwissenschaftler Kofi Agawu zufolge ist das musikalische Hollywood ohne die imaginären Klänge Afrikas nicht denkbar, Klänge, die Andersartigkeit und Exotik suggerieren, sich auf die Natur und die Wildnis beziehen und vom Ursprünglichen und Unzivilisierten sprechen. Und so dient der Einsatz von Perkussionsmusik, Vokalmusik und Gruppengesang in den Massenmedien bis heute meist dazu, eine Differenz zwischen Europa und Afrika oder Schwarz und Weiß zu schaffen und Fremdheit zu inszenieren.

Diese Verwendung von Filmmusik, die fast ausschließlich zur Illustrierung des „Indigen“ verwendet wird, verrät jedoch viel über die kolonialen Phantasien des Westens, oder um mit Chimamanda Ngozi Adiche zu sprechen: Diese Stereotypen lassen „eine Geschichte zur einzigen Geschichte werden“. Natürlich hat der Kontinent mit seinen 53 sehr unterschiedlichen Ländern nicht nur „traditionelle“ Musik und eine orale Kultur zu bieten, sondern auch komponierte Musiktraditionen, die in der internationalen Musikforschung zunehmend auch untersucht werden.

Suche nach Authentizität und kulturelle Aneignung

Bei der Untersuchung neokolonialer Praktiken der Filmmusik in westlich produzierten Filmen, kommt auch der Prozess der Musikproduktion selbst ins Spiel. Es stellt sich die Frage, wie die musikalischen Stereotypisierungsprozesse bei der Kodierung des filmischen „Afrikas“ entstehen?

So sind etwa ethnografische Aufnahmen afrikanischer Musik, die als Grundlage für einen Soundtrack verwendet werden, um Authentizität und Exotismus zu vermitteln, in der Geschichte der Filmmusik kein Einzelfall, wurden aber in der Musikwissenschaft kaum erforscht. Ein Beispiel für ethnographische Aufnahmen afrikanischer Musik, die als „Rohmaterial“ zu Klischees verarbeitet werden und vielfach ohne Credits in kommerziellen audiovisuellen Medien zirkulieren, sind etwa Sample-Bibliotheken und Musikdatenbanken.

Fallstudie: „Der König der Löwen“

Eine berühmte Fallstudie in der Geschichte der kulturellen Aneignung im Bereich der Filmmusik ist auch die Verwendung des Pophits „The Lion Sleeps Tonight“ von The Tokens aus den 1960er Jahren, der in dem Disney-Klassiker „The Lion King“ (1994, dt. „Der König der Löwen“) und der späteren Bühnenproduktion verwendet wurde. Das Lied mit dem originalen Titel „Mbube“ stammt ursprünglich von Solomon Linda und den Evening Birds und wurde 1939 von dem südafrikanischen Label, der Gallo Record Company, veröffentlicht. Erst 2006 gelang es den Erben, zurückliegende und zukünftige Tantiemen einzufordern, die ihnen auch zugesprochen wurden.

Kurzum: Es ist die Aufgabe von Wissenschaft, die anhaltende Ausbeutung von Musiker:innen der „global majority“ durch die Musikindustrie und die globalen Prozesse der Aneignung zu thematisieren, die Entstehung von Stereotypen zu verstehen und globale musikalische Vielfalt sichtbar zu machen. Diese sollte auch in Mainstreamfilmen westlicher Produktion vermehrt zum Klingen gebracht, gezeigt und vergütet werden. Zum Beispiel indem Filmproduktionen einen sensibleren Umgang mit Musik finden, die in Verbindung mit den Filmbildern wohl oder übel Bedeutung annimmt und eben auch Erzählungen und ökonomische Machtstrukturen aus der kolonialen Vergangenheit transportiert.