Eine junge Frau schaut in die Kamera, im Hintergrund in grau zwei weitere Versionen von ihr, die Angst bzw. Wut ausdrücken
lassedesignen – stock.adobe.com
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Psychologie

Stimmen hören – künstlich ausgelöst

Manche Menschen, besonders psychisch Erkrankte, hören Stimmen in ihrem Kopf, ohne dass andere sprechen. Schweizer Fachleute haben nun eine Methode entwickelt, diese „auditorischen Halluzinationen“ künstlich auszulösen. Sie wollen damit neue Ansätze für Therapien finden.

„Wir haben eigentlich noch keine Ahnung, was bei auditorischen Halluzinationen im Gehirn passiert“, sagt Pavo Orepic von der Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) und der Universität Genf. Laut dem Hirnforscher hören mehr als siebzig Prozent der Menschen mit Schizophrenie Stimmen. Und was diese Stimmen sagen, sei meist negativ.

Künstliche Verwirrung der Versuchspersonen

Um nicht-halluzinierende Menschen inexistente Stimmen hören zu lassen, haben die Forscherinnen und Forscher ein Experiment entworfen, um die Gehirne der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer zu verwirren.

Frühere Studien wiesen darauf hin, dass auditorische Halluzinationen auftreten, wenn sensorische Eindrücke nicht den Erwartungen des Gehirns entsprechen. Andere Studien erklärten Stimmhalluzinationen damit, dass das Gehirn Sinneswahrnehmungen verfälscht interpretiert, wenn es durch vorherige Eindrücke geprägt ist. Im Experiment kombinierten die Fachleute diese zwei Theorien und berichten im Fachblatt „Psychological Medicine“ über die Resultate.

Falsche Präsenzwahrnehmung

In einem ersten Schritt mussten die Versuchspersonen mit verbundenen Augen auf einen Hebel drücken, der sich vor ihnen befand. Gleichzeitig berührte sie ein für sie nicht sichtbarer Roboter am Rücken, wie der Schweizerische Nationalfonds (SNF) am Montag mitteilte. Dies zielte auf die erste Theorie ab, da der sensorische Eindruck der Berührung des Rückens nicht den Erwartungen des Gehirns entsprach. Bereits frühere Studien haben demnach belegt, dass dies mit der Zeit die Illusion generiert, dass sich Personen durch das Drücken des Hebels selbst am Rücken berühren.

In einem nächsten Schritt wurde dieser Stupser verzögert. Die Idee dahinter: Wenn sich die Berührung am Rücken nicht mehr mit dem Drücken des Hebels synchronisiert, muss das Gehirn eine neue Erklärung dafür finden – etwa die Anwesenheit einer weiteren Person. Eine solche falsche Präsenzwahrnehmung kann laut der zweiten Theorie Halluzinationen begünstigen.

„Halluzinations-Engineering“ wirkte

Um zu testen, ob dieses Experiment wirklich Stimmhalluzinationen auslöste, spielten die Forscherinnen und Forscher den Versuchspersonen Geräusche vor. Teilweise waren darin Aufnahmen der eigenen Stimme oder von fremden Stimmen beigemischt, teilweise nicht.

Dabei zeigte sich, dass die Personen mit dem verzögerten Stupser häufiger fremde Stimmen in den Geräuschen hörten, auch wenn keine Stimme beigemischt war. Das „Halluzinations-Engineering“, wie es in der Studie bezeichnet wird, hat also gewirkt.

Auch Gesunde können Stimmen hören

Das Experiment zeige, dass die beiden Theorien zur Entstehung von Halluzinationen möglicherweise ineinandergriffen, hieß es vom SNF. Die Studie bestätige außerdem, dass die Mechanismen, die hinter den Halluzinationen stecken, eigentlich in jedem Hirn vorhanden seien, sagte Orepic. „Aber aus irgendwelchen Gründen sind manche anfälliger dafür als andere.“

Wie der SNF in der Mitteilung betont, heißt das Hören von Stimmen nicht unbedingt, dass eine Erkrankung dahintersteckt. Fünf bis zehn Prozent aller Menschen hören demnach manchmal Stimmen, zum Beispiel von einer verstorbenen Großmutter, die Ratschläge gibt. Laut Orepic verläuft die Grenze zwischen harmlosen und krankhaften Halluzinationen fließend.