Das mit einem Raster-Elektronen-Mikroskop aufgenommene Foto zeigt kugelförmige Sporen, die der Schimmelpilz Emericella nidulans (weiße Fäden) für seine Verbreitung produziert.
dpa/Pressefoto BASF
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Invasive Pilze

Pilzinfektionen nehmen weltweit zu

Pilze gehören wie Bakterien und Viren zur Lebensumgebung des Menschen. Immer häufiger werden sie aber zum gesundheitlichen Problem, sagt die Mikrobiologin Cornelia Lass-Flörl. Resistenzen gegen Medikamente nehmen zu – vor allem in Ländern, in denen Fungizide sehr häufig in der Landwirtschaft eingesetzt werden.

Der Mensch ist primär von zwei Arten von Pilzen besiedelt: von Schimmelpilzen und Hefepilzen. Schimmelpilze geben Sporen in die Luft ab, die Menschen einatmen. Sie können die Lunge besiedeln. Während das Immunsystem von gesunden Menschen damit gut zurecht kommt, kann die Besiedlung für geschwächte Menschen zum Problem werden.

Hefepilze wiederum findet man bei geschätzt 90 Prozent der Menschen im Darm – vor allem bei jenen, die gerne Süßes essen, so Cornelia Lass-Flörl. Auch hier entsteht das Problem erst bei einem geschwächten Immunsystem. Dann geht der Pilz vom Darm ins Blut über, es entsteht eine invasive Infektion.

Invasive Pilze wurden in letzter Zeit als ein immer größeres Problem für die menschliche Gesundheit thematisiert. Wie nehmen Sie das wahr?

Cornelia Lass-Flörl: Ich stimme dem zu. Begonnen hat das vor 15 bis 20 Jahren primär in der Behandlung von Blutkrebspatienten. Ihnen fehlen neutrophile Granulozyten, also Zellen des Immunsystems – zum einen bedingt durch die Therapie, zum anderen durch die Krebserkrankung. Dadurch sind diese Patienten einem sehr hohen Risiko ausgesetzt, dass sich der Pilz im Körper verbreitet.

Hinzu kommen grundsätzlich natürlich positive Fortschritte in der Medizin, neue Therapien, die ins Immunsystem eingreifen, zum Beispiel neuartige Krebstherapien. Bei jedem kleinen Schräubchen, an dem ich im Immunsystem drehe, gibt es aber einen Nachteil. Und einer der häufigsten Nachteile derzeit ist, dass Pilzinfektionen manchmal nicht mehr optimal erkannt und behandelt werden.

Und was passiert, wenn man zum Beispiel eine Pilzinfektion nicht mehr so gut erkennen kann?

Lass-Flörl: Der Pilz breitet sich im Körper aus. Er verlässt den Ort, wo er sich normalerweise aufhält, etwa den Darm. Wenn die Immunzellen nicht mehr da sind, kann der Pilz plötzlich über die Epithelzellen im Darm in das Blut übergehen. Im Blut breitet er sich dann aus und schädigt letztendlich die Organe. Dadurch kann es zu einer schweren Erkrankung kommen.

Cornelia Lass-Flörl, Direktorin des Institutes für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie an der Medizin-Universität Innsbruck
Medizinuni Innsbruck / Christof Lackner

Cornelia Lass-Flörl ist Direktorin des Instituts für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie an der Medizin-Universität Innsbruck und leitet mehrere Zentren für invasive Pilzinfektionen. Sie gehört zu den weltweit meistzitierten Forscherinnen und Forschern und ist eine von nur drei Frauen aus Österreich auf der vom Datenkonzern Clarivate jährlich publizierten Liste.

Sehen Sie solche Erkrankungen häufiger in den letzten Jahren?

Lass-Flörl: Wir sehen sie wesentlich häufiger, weil die Population an Risikopatienten zunimmt: Menschen werden trotz Krankheiten immer älter. Und auch neue Krankheiten haben dazu beigetragen. Zum Beispiel hat ein Covid-Patient auf einer Intensivstation, der beatmet wird und Cortison braucht, ein erhöhtes Risiko einer Pilzinfektion. Das sehen wir auch in den international gemeldeten Zahlen.

Haben Sie Zahlen für Ihren Bereich? Von wie vielen Pilzinfektionen sprechen wir?

Lass-Flörl: Bei Patienten mit Blutkrebs variiert der Anteil der Menschen mit invasiver Pilzinfektion zwischen einem und vier Prozent. Auf der Intensivstation, wo Menschen meist schon mit Antibiotika behandelt werden und durch den Rückgang der Bakterien im Darm mehr Platz für Pilze ist, sind laut den neuesten Zahlen zehn Prozent der Patienten von einer invasiven Hefepilzinfektion betroffen. Das ist, denke ich, ganz schön viel.

Was tut man dann medizinisch, wenn es zu so einer invasiven Pilzinfektion kommt?

Lass-Flörl: Man nimmt Proben des menschlichen Körpers und schaut, wie der Krankheitserreger heißt. Und dann greift man zu Pilzmedikamenten und versucht zu therapieren. Das Problem dabei: Das Bakterium wächst innerhalb von 24 Stunden und ist damit identifizierbar. Pilze brauchen 76 Stunden, bis sie im Labor sichtbar sind. Durch diese Verzögerung ist die Infektion oft schon weiter fortgeschritten. Und: Wir haben wesentlich mehr Antibiotika gegen Bakterien zur Verfügung als Pilzmedikamente.

Wie sieht es denn mit Resistenzbildungen bei den Pilzen aus?

Lass-Flörl: Wir haben nur drei Medikamentengruppen gegen Pilze. Wenn gegen eine Gruppe eine Resistenz entsteht, dann haben wir nur mehr zwei oder gar nur mehr eine Gruppe in der Therapie. In Österreich sind wir mit recht niedrigen Resistenzraten noch auf einer Insel der Seligen. Aber in den Niederlanden sind bereits zehn Prozent der Schimmelpilze resistent gegen das erste Medikament, das gegen sie in der Medizin eingesetzt wird. Man vermutet, dass in den Niederlanden zahlreiche Fungizide, also Pilzmedikamente, in der Landwirtschaft eingesetzt werden – primär in der Blumenwirtschaft bei den Tulpen. Damit möchte man verhindern, dass die Pflanzen vom Schimmel befallen werden. So dürften die Resistenzen entstehen.

Sind neue Medikamente in der Pipeline?

Lass-Flörl: Ja, es kommen neue Pilzmedikamente. Zwei Produkte stehen derzeit in Österreich vor der Marktzulassung. Aber der Wahnsinn ist: Diese für die Medizin neuen Substanzen werden bereits seit fünf Jahren in der Landwirtschaft eingesetzt; vor allem beim Getreide, damit es frei bleibt von Schimmelpilzen. Dadurch sind es nicht mehr wirklich neue Substanzen, die wir in der Medizin bekommen. Und Länder, die sie schon länger in der Landwirtschaft einsetzen, sehen jetzt schon wieder Resistenzen. Damit beißt sich die Katze in den Schwanz.

Es gibt Menschen aus der Wissenschaft, die sagen, die nächste Pandemie werde durch Pilze entstehen. Wie sehen Sie diese Aussage?

Lass-Flörl: Diese Debatte ist durch Candida Auris entstanden – eine neue Pilzart, die primär in ärmeren Ländern Probleme macht. Dort kommt es immer wieder zu Ausbrüchen. Aber bei Pandemien bleiben meiner Einschätzung nach Viren bevorzugt.